Träumen hilft den Kommunen nicht

Hohe Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst beschneiden Geld für Investitionen

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie sind in so vielen Altstädten Ostdeutschlands zu finden - eng beieinander stehenden Wohn- und Geschäftshäuser, wie sie sich durch die Innenstadt von Sömmerda ziehen. Davor Gehwege und Straßen, Laternen, Bäume. Hübsch anzusehen und gepflegt. In einem deutlich besseren Zustand, als vergleichbare Immobilien und die sie umgebende Infrastruktur in vielen westdeutschen Klein- und Mittelstädten sind.

Allerdings sieht man Altstädten wie der von Sömmerda auch an, dass der Zahn der Zeit bereits hier und da wieder zu nagen begonnen hat. Denn in Sömmerda wie auch in so vielen anderen ostdeutschen Städten ist es 20 oder gar 25 Jahre her, dass die Alt- bzw. Innenstädte umfassend saniert worden sind. In den Nachwendejahren floss viel Geld in den ostdeutschen Stadt- und Dorfumbau.

Ralf Hauboldt könnte deshalb heute wieder viel Geld gebrauchen. Für Sömmerda, in dem der LINKE-Politiker seit 2012 Bürgermeister ist. Ungezählten Amtskollegen geht es ähnlich. Hauboldt sagt: »Im Altstadtbereich ist der Wunsch nach Sanierungen größer als das, was wir realisieren können.« Das hat damit zu tun, dass das Geld bei Kommunen immer knapp ist. Nun gibt es noch einen weiteren Grund, weshalb Investitionen geschoben werden müssen. Dabei ist dieser Grund für viele Menschen ein Grund zu Freude: Durch den diesjährigen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst gibt es für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen viel mehr Geld. Der Bundesvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, nannte diesen Abschluss das »bestes Ergebnis seit vielen Jahren«. Doch ganz so einfach wie Gewerkschafter das bejubelt haben, ist es eben nicht.

Schon die nackten Zahlen zu diesem Tarifabschluss hatten jeden auch nur halbwegs Interessierten erahnen lassen, wie teuer diese Einkommenssteigerung werden würde: Im Durchschnitt gibt es für die 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst in drei Stufen und bei einer Laufzeit von 30 Monaten ein Einkommensplus von 7,5 Prozent.

Den Einkommenszuwachs gönnt Hauboldt den etwa 250 Beschäftigten in seiner Stadtverwaltung. Die Kommunen wollten und brauchten ja gut ausgebildetes und motiviertes Personal. »Das kriegen Sie nicht für lau«, sagt Hauboldt.

Zwar gibt es für eher einfache Tätigkeiten im öffentlichen Dienst noch immer ausreichend Bewerber. Doch wenn potenzielle Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes Spezialwissen brauchen, nimmt die Zahl der Bewerber dramatisch ab. Kämmerer beispielsweise sind in vielen Kommunen inzwischen ebenso rar wie IT-Fachleute. In der Privatwirtschaft wird für solche Jobs mehr Gehalt gezahlt als beim Staat, auch weil es dort oft sozial nicht so sicher ist. Weshalb auch der stellvertretender Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebunds Thüringen, Bernhard Schäfer, die Sache mit den Beschäftigten bei den Kommunen so zusammenfasst: »Unser größtes Problem ist ja die Gewinnung von Personal. Oder die Leute, die schon da sind, zu halten.« Den öffentlichen Dienst attraktiver zu machen, sei deshalb richtig.

Aber Hauboldt und Schäfer wissen eben auch, welche Schattenseiten es hat, dass die Jobs im öffentlichen Dienst nun noch besser bezahlt werden: Die Kosten für den Tarifabschluss sind enorm, was zu Folgen führt, die in Städten wie Sömmerda ganz konkret werden. Dort, sagt Hauboldt, liege das Haushaltsvolumen der Stadt bei etwa 30 Millionen Euro jährlich. Schon jetzt gebe die Kommune davon zwölf Millionen Euro für ihr Personal aus; also 40 Prozent ihres jährlichen Etats. Durch den aktuellen Tarifabschluss würden diese Personalkosten nun um weitere etwa zwei Millionen Euro pro Jahr steigen. Bald jeder zweite Euro im Haushalt dieser so typischen deutschen Kleinstadt wird also für das Personal ausgegeben werden müssen.

Sömmerda und die meisten anderen Kommunen müssen nun überlegen, wie sie das Geld zusammenzubekommen, das sie für ihr Personal brauchen. »Die Personalkosten«, sagt Schäfer, »sind eine Pflichtaufgabe, die gemacht werden muss. Da können Sie nicht sparen.« Weshalb es nur zwei Möglichkeiten gibt, aus eigenen Einnahmequellen an das Geld zu kommen - oder beim Land betteln zu gehen. Entweder, sagt Schäfer, sie erhöhten Steuern und Gebühren. Oder sie sparten bei freiwilligen Leistungen; also allem, was das Leben in einer Kommune lebenswert macht. »Die Kommunen haben bei so was immer die Wahl zwischen Pest und Cholera. Das sind Entscheidungen, um die man weder die Bürgermeister noch Ratsmitglieder beneidet.«

Davon, wie wenig Spielräume es vielerorts überhaupt noch gibt, um an Geld zu kommen, kann man sich in Sömmerda überzeugen. Sich noch mehr Geld bei den Bürgern oder bei der lokalen Wirtschaft zu holen, lehnt Hauboldt ab.

Weshalb in der Stadt nördlich von Erfurt nun bei der Aufstellung der städtischen Haushalte vor allem um Gelder für Jugendklubs, Sportvereine, Musikschulen und Bibliotheken gerungen werden wird. »Rotstift hört sich nicht so toll an, aber wir hinterfragen natürlich alle Positionen«, sagt Hauboldt. Überall dort, wo eine Kommune - im Amtsdeutsch - »freiwillig« Geld ausgibt, wird man also lernen müssen, mit noch weniger Geld auszukommen.

Gewerkschafter und linke Kommunalpolitiker würden nun sagen, dass man Mitarbeiter nicht gegen Schlaglöcher und Musikschulen ausspielen dürfe. Dass alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssten, um den Kommunen so viel Geld zur Verfügung zu stellen, dass sie sowohl ihr Personal als auch Jugendklubs, Musikschulen und Vereine bezahlen können. Gewerkschafter fordern seit Jahren mehr Umverteilung von Vermögen in Deutschland, etwas über die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer. Linke Kommunalpolitiker rechnen vor, dass es nur gerecht sei, zur Finanzierung der Infrastruktur langlaufende Kredite aufzunehmen, Schulden zu machen. Denn immerhin werde eine Straße ja nicht nur von den Menschen heute, sondern auch von denen in der Zukunft genutzt.

Doch weder im Alltag von Sömmerda und vergleichbaren Kommunen nützen derartige Einwürfe etwas. Denn die Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte und die dort lebenden Menschen müssen mit dem auskommen, was sie haben. Und das ist weder mehr Geld aus der nicht-vorhandenen Vermögenssteuer noch die Möglichkeit, endlos neue Kredite aufzunehmen; gerade, weil viele Kommunen noch Altschulden in beträchtlicher Höhe haben.

»Die Kommunen können jeden Euro nur einmal ausgeben«, sagt Schäfer. »Entweder für Sach- oder für Personalkosten.« Hauboldt formuliert die gleiche Erkenntnis so: »Es gibt kein Geheimrezept beim Geldausgeben. Wir müssen Prioritäten setzen, jeden Tag.« - Sätze, die all jene mehrfach lesen sollten, die von mehr Personal im Öffentlichen Dienst träumen.

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