- Wirtschaft und Umwelt
- Streik bei Ryanair
Gewerkschaften im Aufwind
Europaweit kämpfen die Ryanair-Beschäftigten um ihre Rechte und ordentliche Bezahlung
»Es scheint sich etwas zu bewegen« - das zumindest hofft Yves Lambot, der als Vertreter der belgischen Gewerkschaft CNE mit der irischen Billigairline Ryanair verhandelt. Es geht um Gehälter, um Arbeitsbedingungen und vor allem um die Forderung nach Arbeitsverträgen, die der nationalen Rechtsprechung der Arbeitnehmer unterliegen und nicht der irischen. »Die Situation ist überall dieselbe«, bemängelt Lambot. »Ryanair beutet seine Angestellten aus.«
Auch die EU-Kommission macht inzwischen Druck auf Ryanair. »Die Einhaltung des Gesetzes ist nicht etwas, über das die Arbeitnehmer verhandeln müssen«, sagte Sozialkommissarin Marianne Thyssen am Mittwoch nach einem Treffen mit Ryanair-Chef Michael O’Leary in Brüssel. Der Wohnort des Arbeitnehmers bestimmte das geltende Recht, nicht die Flagge des Flugzeugs.
In die Verhandlungen könnte nun tatsächlich Bewegung kommen. Vor allem nach dem Stillstand, der am Freitag an vielen Flugsteigen herrschte, an denen Maschinen der Billigairline starten sollten. In sechs europäischen Ländern waren Piloten und Kabinenpersonal in den Streik getreten. Hunderte Flüge fielen aus. Tausende Passagiere waren betroffen. Trotz der Ankündigung des Unternehmens, der Betrieb werde nur minimal beeinträchtigt werden, regierte mancherorts das Chaos.
Auf Twitter häuften sich Beschwerden über Annullierungen in letzter Sekunde. In Eindhoven, dem wichtigsten Ryanair-Flughafen in den Niederlanden, erfuhren Passagiere erst, als sie schon die Sicherheitskontrollen passiert hatten, dass ihre Maschine nicht starten würde. In Portugal stellte die Fluggesellschaft Reisebusse als Ersatz für Inlandsflüge zur Verfügung. Von Flugstreichungen betroffene Passagiere würden »rechtzeitig« per E-Mail und SMS gewarnt werden, hatte es geheißen. Doch die von Ryanair angekündigten Annullierungen »sind nicht ausreichend, um diesen europäischen Streik abzudecken«, kritisierte die Gewerkschaft CNE.
Gewerkschaften aus Spanien, Portugal, Italien, den Niederlanden und Belgien waren vor zwei Wochen in Brüssel zusammengekommen, um die nächste Runde des seit rund einem Jahr tobenden Arbeitskampfs einzuläuten. Die deutschen Piloten hatten sich am Mittwoch angeschlossen. Die Gewerkschaft ver.di, die in Deutschland das Kabinenpersonal vertritt, erklärte am Donnerstag im letzten Moment die laufenden Verhandlungen für gescheitert und rief zur Teilnahme an der europaweiten Aktion auf.
Auch in Spanien wurde noch bis zum späten Donnerstagnachmittag verhandelt. »Die Regierung hat sich als Vermittler eingeklinkt«, berichtete Ernesto Iglesias von der Gewerkschaft USO. Eine Einigung habe es dennoch nicht gegeben. Zuvor hatte Ryanair erklärt, man habe der zentralen Forderung zugestimmt, ab 2019 Arbeitsverträge nach lokalem Arbeitsrecht zu unterzeichnen. »Aber so wie sie sich aufgeführt haben, konnten wir nicht einwilligen«, erklärte der spanische Gewerkschafter. »Ryanair hat das Angebot an die Bedingung geknüpft, dass Mitarbeiter anderer Airlines nicht mehr an den Verhandlungen teilnehmen dürfen.« Iglesias, der bei Norwegian Airlines arbeitet, sitzt in seiner Funktion als Gewerkschaftsvertreter mit am Verhandlungstisch. »Das ist völlig normal, aber Ryanair wirft mir vor, für meinen Arbeitgeber zu spionieren.«
Es ist nicht der einzige Fall, in dem das Unternehmen eine Verschwörung wittert: »Piloten und Kabinenpersonal der Konkurrenz mischen sich in einigen Ländern in die Verhandlungen ein«, beklagte die Airline. Woraufhin Iglesias erwidert: »Ryanair scheint das Prinzip Gewerkschaft noch nicht verstanden zu haben.« Erst im vergangenen Jahr hatte sich das Unternehmen bereit erklärt, Gewerkschaften überhaupt anzuerkennen. Seitdem ist es mit einzelnen Arbeitnehmervertretungen in einzelnen Ländern in Verhandlungen getreten. »Eine Teile-und-herrsche-Strategie. Ryanair will spalten«, so der spanische Gewerkschafter. »Aber sie können sich nicht aussuchen, mit wem sie verhandeln.«
Für Ryanair-Chef O’Leary sind die Gewerkschaften ein »notwendiges Übel«, das es kleinzuhalten gilt. Im Juli drohte das Unternehmen seinen Beschäftigten in Irland, Arbeitsplätze nach Polen zu verlegen. Auch in Deutschland war nach dem letzten Streik vor zwei Wochen von Stellenstreichungen die Rede. »Ein Streik in Belgien? Euer Land ist klein für Ryanair«, spielte O’Leary die Bedeutung der angekündigten Arbeitsniederlegung herunter. Der belgische Gewerkschafter Lambot gibt sich dagegen kämpferisch: »Ja, wir sind klein für Ryanair, aber wir sind nicht allein.« Teilen und herrschen scheint nicht mehr zu funktionieren.
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