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Erneute Sammelabschiebung nach Afghanistan

17 Afghanen am Mittwoch nach Kabul abgeschoben / Pro Asyl wirft Bundesregierung vor, UN-Einschätzungen zur Sicherheitslage zu ignorieren

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. In der afghanischen Hauptstadt Kabul ist am Mittwochmorgen ein weiterer Abschiebeflug aus Deutschland eingetroffen. Beamte am Flughafen teilten mit, dass die Maschine aus München kurz vor 8.00 Uhr Ortszeit landete. Es waren demnach 17 abgeschobene Afghanen an Bord.

Es war die 17. Sammelabschiebung seit dem ersten Flug im Dezember 2016. Bei den bisherigen 16 Abschiebungen hatten Bund und Länder 366 Männer nach Afghanistan zurückgebracht. Nach einer Sammelabschiebung Anfang Juli hatte einer der 69 Männer kurz nach seiner Ankunft in Kabul Suizid begangen.

Die Abschiebungen sind umstritten, weil sich in Afghanistan der Krieg mit den radikalislamischen Taliban und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ausweitet. Rund 35 Sicherheitskräfte der Regierung sterben täglich in Gefechten und bei Anschlägen, wie es aus Militärkreisen heißt. Laut einem UN-Bericht erreichte im ersten Halbjahr die Zahl der bei Konflikten in Afghanistan getöteten Zivilisten mit fast 1700 den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat der Bundesregierung deswegen vorgeworfen, neue UN-Einschätzungen zur Sicherheitslage in Afghanistan bei ihrer Abschiebepraxis zu ignorieren. Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt verwies am Dienstag in Berlin auf Feststellungen des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR vom 30. August, wonach die Hauptstadt Kabul generell als Schutzort für Betroffene ausgeschlossen sei. Der Abschiebeflug nach Kabul sei deshalb »unverantwortlich«.

»Die Bundesregierung darf Erkenntnisse internationaler Quellen wie des UNHCR nicht in den Wind schlagen«, forderte Burkhardt. »Unrecht wird nicht zu Recht, indem man die Phrasen von den sicheren Inseln in Afghanistan selbst zum siebzehnten Mal wiederholt und Menschen per Abschiebung in Gefahr bringt«, warf er den Verantwortlichen vor. Geradezu »absurd« sei die Behauptung der Bundesregierung, bei den UNHCR-Feststellungen handele es sich nur um eine unverbindliche »Empfehlung«.

Pro Asyl forderte wegen der Sicherheitslage in Kabul einen sofortigen Abschiebestopp dorthin, wie ihn beispielsweise Finnland nach der Bekanntgabe des UNHCR-Berichts bereits verhängt habe. Auch für andere afghanische Städte verlange das UNHCR konkrete Einzelfallprüfungen, ob diese für Betroffene überhaupt sicher und legal erreichbar seien - was in den Regeln nicht gewährleistet werden könne.

Die deutschen Behörden organisieren regelmäßig Sammelabschiebungen nach Afghanistan. Die bis zum Sommer geltende Einschränkung, wonach nur Straftäter, Gefährder und sogenannte Identitätsverweigerer abgeschoben werden sollten, war von der Bundesregierung ungeachtet der Sicherheitslage in dem Land aufgehoben worden. Allerdings ist die tatsächliche Abschiebepraxis der einzelnen Bundesländer unterschiedlich. Eine offizielle Bestätigung für den geplanten neuen Abschiebeflug gab es wie stets in solchen Fällen zunächst nicht. Agenturen/nd

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