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»Leider nicht immer gewaltfrei«

Rechtsextremistische Chemnitzer Terrorgruppierung wollte den NSU wie eine Kindergartengruppe aussehen lassen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

»Die Beschuldigten gehören der Hooligan-Szene, der Neonazi-Szene und der Skinhead-Szene im Raum Sachsen an. Sie sind in dieser Szene fest verwurzelt. Das mag wohl auch der Grund sein, warum sie sich selbst als führende Personen in der rechtsextremistischen Szene in Sachsen sehen.« Die Auskünfte der Bundesanwaltschaft, die am Montag die vorläufige Festnahme von sieben der acht Rechtsextremisten - einer sitzt bereits seit 15. September in Untersuchungshaft - angeordnet hat, sind zurückhaltend. Doch in Karlsruhe scheint man sich sicher zu sein, dass die Beweise ausreichen, um den Beschuldigten die Bildung einer Terrorvereinigung und mehr nachweisen zu können.

Vor allem Chatprotokolle aus WhatsApp oder Telegram belegen die Gefahr. Da liest man unter anderem, dass die Verhafteten mit ihren Taten weit über die Verbrechen der 2011 in Sachsen aufgeflogenen Terrorgruppierung Nationalsozialistischer Untergrund hinausgehen wollten. Der NSU würde angesichts jener Taten, die die Mitglieder von »Revolution Chemnitz« planten, nur eine »Kindergarten-Vorschulgruppe« sein.

Zehn Morde, drei Bombenanschläge, über ein Dutzend schwere Raubüberfälle beging der NSU - alles nur ein Kinderspiel? Selbst wenn man den Anteil an Selbstüberschätzung und Eigenmotivierung herausrechnet, zeigt sich eine fanatische Entschlossenheit. Die Behörden, die sonst immer behaupten, ihnen seien mit den verschlüsselten Messengerdiensten unüberwindbare Grenzen der Aufklärung gesetzt, lasen offenbar mit.

Aus dem Nachrichtenverkehr der Gruppe geht hervor, dass die Chemnitzer »Revolutionäre« nicht weniger als eine Systemwende initiieren wollten. Das laufe »leider nicht immer gewaltfrei« und fordert somit »auch Opfer«. Doch um »nur ein klein wenig damit zu bewegen und die Geschichte Deutschlands ändern zu können, sollte das mit Bedacht und Planung geschehen«, ist in einem Chat zu lesen. Zur Planung der Rechtsextremisten soll gehört haben, sowohl Ausländer als auch »Merkel-Zombies« und »Linksparasiten« sowie Medienmacher anzugreifen. »Die Mediendiktatur und ihre Sklaven, Antifanten, Schwarzer Block. Egal wer! Es ist an der Zeit, nicht nur Worte sprechen zu lassen, sondern auch Taten.«

Der Slogan »Taten statt Worte«, den die NPD einst verwendete, leitete auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, als sie die NSU-Verbrechen planten und verübten. Man sah sich als Vollstrecker eines mutmaßlichen Volkswillens und besann sich dabei auf die Zeit des Nationalsozialismus, den der AfD-Führer Alexander Gauland öffentlich als einen »Fliegenschiss« in der deutschen Geschichte wertet.

Unklar ist noch immer, wie der NSU zu seinen Schusswaffen kam. Mutmaßlich leichter zu ergründen sind Bezugs- und Unterstützerlinien im jüngsten Fall. Offenbar hatten die »Revolutionäre« gute Kontakte. Und mittellos waren sie auch nicht. Eine MP 5 von Heckler&Koch samt Magazinen sollte 800 Euro kosten. Das sei teuer, hieß es in der Gruppe, doch die Waffe sei echt und nicht nur aufgebohrt. Ein Gruppenmitglied schrieb: »Ich geb’ Dir gleich mal Meldung wegen der Waffenbestellung. Aber gleich vor weg an Alle: Alles nur bar und anonym machen!« Die Maschinenpistole MP 5 wird in Deutschland vor allem von Polizei und Zoll verwendet.

Interessant ist auch die geplante Art und Weise der beabsichtigten Tatbegehung. Für den Tag der Deutschen Einheit - also am vergangenen Mittwoch - war offenbar eine Aktion geplant. Noch weiß man wenig über das Wie und Wo dieses als Initialzündung gedachten Anschlags, der wie ein Gewaltakt von Linksextremen erscheinen sollte. »Es muss nur so aussehen, als hätten die Parasiten angefangen!« Weiter liest man: »Ich könnte wetten: Sollte ein zweites Hamburg wie zum G20 Gipfel entstehen, sind die Bullen zu 88,88 Prozent auf unserer Seite!«, wünschte sich ein Mitglied. 88, also jeweils der achte Buchstabe im Alphabet, steht in der Naziszene für »Heil Hitler«. Allein die Strategie, große Teile deutscher Sicherheitsbehörden für die Umsturzpläne einzuspannen, zeigt die Gefährlichkeit der Terrortruppe. Diese Überlegungen hat es beim NSU noch nicht gegeben.

Anschläge unter »falscher Flagge« scheinen zur Taktik rechtsextremistischer Gruppen zu gehören. Das Modell dafür gab es im August 1980. Bei dem Anschlag im italienischen Bologna starben 85 Menschen. Beschuldigt wurden die sogenannten Roten Brigaden. Doch verübt wurde der Anschlag von Neonazis, unterstützt von geheimen NATO-Strukturen.

Auch die inzwischen verurteilten Anführer der sächsischen Terrorgruppe »Oldschool Society« planten Anschläge, die so aussehen sollten, »als ob die vom Spektrum links kommen«.

Die Polizei entdeckte bei mehreren Razzien gegen Rechts Sprengstoff, der nach Rezepten islamistischer Attentäter gebraut wurde. Der Neonazi und Bundeswehrsoldat Franco A., dessen Fall allzu schnell aus dem Blickfeld geraten ist, tarnte sich im Dezember 2015 als Flüchtling aus Syrien und träumte von »False Flag«-Attacken. Auf einem PC verhinderter Mittäter entdeckten die Ermittler das »Mujahideen Explosives Handbook« und das in Neonazikreisen beliebte Buch »Der totale Widerstand«. Noch im Januar erklärte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion zum Thema Rechtsterrorismus unter falscher Flagge, ihr lägen »keine Erkenntnisse über eine derartige Strategie als einheitliche und möglicherweise sogar abgesprochene Handlungsvorgabe innerhalb der rechtsextremistischen Szene vor«.

Die Gruppe »Revolution Chemnitz« bestand nicht aus Gelegenheits- oder Hobbytätern. Bei geplanten Aktionen sei Anwesenheit Pflicht. Disziplin und Tarnung standen obenan. Man dürfe die Pläne nicht durch Unbedachtheiten stören. Man beteiligte sich an den Ausschreitungen in Chemnitz, die nach dem gewaltsamen Tod eines Deutsch-Kubaners Ende August Anfang September initiiert wurden. Doch die Mitglieder der Terrorgruppe achteten darauf, nicht durch verbotene Kennzeichen oder waffenähnliche Gegenstände aufzufallen. Die waren offenbar in Gebüschen versteckt und wären auf das Kommando »Die Wölfe sind los!« herausgeholt worden, sagen Ermittler.

Man versucht den Eindruck zu vermitteln, dass die Gruppe sich erst am 11. September zusammengeschlossen hat. Bei der Angabe des September-Gründungstermins setzen die Bundesanwälte mittlerweise den relativierenden Zusatz »spätestens« ein. Das ist auch notwendig, denn die Gruppe hat Geschichte. Es ihr »völlig unverständlich«, warum »Revolution Chemnitz« erst jetzt ins Visier sächsischer Ermittler geriet, merkt die sächsische LINKE-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz an. Sie ist eine ausgesprochene Kennerin der rechtsextremistischen Szene in Sachsen.

In der Tat, bei dem bereits am 14. September wegen besonders schweren Landfriedensbruchs Festgenommenen, der jetzt als Rädelsführer der Terrorgruppe »Revolution Chemnitz« bezeichnet wird, handelt es sich um Tom W. Er war einst Kopf der 2007 verbotenen Neonazi-Kameradschaft »Sturm 34«. Die Truppe, zu der auch Unterstützer des NSU gehört haben sollen, verübte zahlreiche Gewaltstraftaten. Das ist gerichtsfest und in Urteilen bestätigt. W. kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Seine Kameradschaft war in Mittweida (Landkreis Mittelsachsen) entstanden. Ihr Operationsradius reichte bis Dresden und Chemnitz.

Seit 2013 gibt es zudem eine Facebook-Seite namens »Revolution Chemnitz«. Die konnte man noch am Dienstag besuchen und knapp 200 Leuten gefiel sie da noch. Schon in der Frühphase der Gruppe wurde eine Grafik gepostet, die wie ein Entwurf für ein Gruppenlogo wirkt. Im Hintergrund ist die Zahl 34 erkennbar.

Eine Anspielung auf »Sturm 34«? Köditz meint ja und fragte deshalb Anfang 2018 nach möglichen Nachfolgestrukturen und -aktivitäten. Die sächsische Staatsregierung antwortete. »Im Jahr 2017 wurden keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung bekannt.« Im Sinne der Fragestellung? Auch zu Nachfolgestrukturen der 2017 verbotenen Gruppierung »Nationalen Sozialisten Chemnitz« (NSC) konnte Innenminister Roland Wöller (CDU) nichts Substanzielles mitteilen. Dabei waren auch im Zuge der Ermittlungen gegen die NSC Verbindung zu »Revolution Chemnitz« aufgefallen. Nur nicht dem sächsischen Verfassungsschutz? Das kann nicht sein, denn der wird von einem in Sachen rechtsextremistische Terrorgruppe höchst erfahrenen Präsidenten geleitet. Er war einst in Brandenburg V-Mann-Führer. Sein Topspion saß bis zur Befreiung durch den Geheimdienst im Knast. Wegen eines rassistisch motivierten Mordversuchs. Was ihn nicht abhielt, als möglicher Waffenbeschaffer für das NSU-Netzwerk aufzutreten.

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