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Die Unvollendete
Andrea Ypsilanti scheidet aus dem hessischen Landtag aus.
Drei Wochen sind es noch bis zur Wahl des Landtags in Hessen. Wie immer verabschieden sich damit zugleich Parlamentarier aus der Landespolitik. Zu ihnen zählt diesmal auch Andrea Ypsilanti. 20 Jahre fast ist sie Mitglied der SPD-Fraktion, und auch wenn man es ihr nicht ansieht, hat sie inzwischen die 60 überschritten. Trotzdem fällt es schwer, sie am Ende ihrer politischen Laufbahn zu sehen. Vor zehn Jahren wäre sie um ein Haar hessische Ministerpräsidentin geworden. Das scheiterte. Man verzieh ihr nicht, dass sie mit der Linkspartei kooperieren wollte. Seither trägt Andrea Ypsilanti für manche einen Makel mit sich herum. Und für andere ein uneingelöstes politisches Versprechen.
Damals hielt sie das Land in Atem. Drei Jahre nach Bundeskanzler Gerhard Schröder verbanden viele mit Ypsilanti die Hoffnung auf eine linke Besinnung der SPD, jenseits der Logik des Neoliberalismus. Mit Hermann Scheer hatte sie einen strategischen Denker an ihrer Seite, der in der fossilen Energiewirtschaft das zentrale Moment für die Defizite der Gesellschaft und in den erneuerbaren Energien das Potenzial einer dezentralen, einer Gesellschaft von unten sah. Das war ganz nach dem Geschmack Ypsilantis. Ein wenig näher sollte die Zukunft schon rücken, wenn der Coup gelang. Und ein Coup war es - der frühere SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement warnte öffentlich vor einer Wahl Ypsilantis.
Die SPD ließ die CDU hinter sich. Sie war jedoch nicht stark genug, mit den Grünen allein zu regieren. Als Ypsilanti erklärte, eine Minderheitsregierung bilden und durch die Linkspartei tolerieren lassen zu wollen, brach ein Sturm der Entrüstung los. Von Wortbruch war die Rede, weil Ypsilanti eine Zusammenarbeit mit der LINKEN vor der Wahl noch ausgeschlossen hatte. Wortbruch wurde in der veröffentlichten Meinung zum Synonym für Ypsilanti. Regieren mit der LINKEN galt als Tabubruch, Regieren mit dem politischen Gegner, der CDU, nicht. Und obwohl ein Parteitag ihr mit 96 Prozent den Rücken stärkte, kündigten vier Mitglieder der SPD-Fraktion an, Andrea Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin zu wählen. Die Mehrheit war somit dahin, die Wahl wurde abgesagt. Es folgte der Absturz der SPD bei der Neuwahl im Januar 2009 von 37 auf 24 Prozent. Andrea Ypsilanti trat vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurück.
Sie hat seither im Landtag nicht mehr im Rampenlicht gestanden, hat den Petitionsausschuss geleitet, in der Härtefallkommission für das Bleiberecht abgelehnter Asylbewerber gekämpft, saß im Hessischen Rundfunkrat. Sie habe dabei viel bewirkt, sagt sie. In der Öffentlichkeit glänzen kann man mit dieser Arbeit jedoch nicht. Und so bleibt da dieses Gefühl einer verpassten Chance.
Sie werde sich nicht zur Ruhe setzen angesichts des Vormarschs der Rechten in Deutschland und in Europa, wehrt sie ab. Sie führt ihre Arbeit im Institut für Solidarische Moderne an, der rot-rot-grünen Denkwerkstatt. Sie führt ihre feministischen Netzwerke an, die Bewegung »Europa neu begründen«, in der sie mitarbeitet. Von der Arbeit im Parlament hingegen hat sie genug. Man kann es ihr nicht verdenken.
Mag sein, dass die Erwartungen an Andrea Ypsilanti gänzlich ungerecht sind. Möglicherweise waren sie es schon, als sie ganz hoch hinaus wollte. Das Kind einer Opelarbeiterfamilie hatte allen gezeigt, dass sie es drauf hatte. Aber es mag sein, dass sie für dieses Amt gar nicht gemacht war. Sie hatte zuvor etwas gebraucht, ihren Weg zu finden. Zunächst als Sekretärin gearbeitet, dann als Stewardess und schließlich Soziologie studiert. Dann ging es steil bergauf in der SPD, als Juso-Chefin und mit einem guten Draht zu Ministerpräsident Hans Eichel, dessen Staatskanzlei sie leitete. Doch ein Machtmensch ist sie nicht. Auch jetzt pflegt Ypsilanti eine Vorstellung von Politik, die unten beginnt. Viel lieber als im öffentlichen Schlagabtausch sieht sie sich in analytischen Debattierrunden, in denen es um die Perspektiven der Gesellschaft, um die Wege zu einem demokratischen Sozialismus geht. Sie kämpft nicht um das letzte Wort. Sie habe auch »keine gute Antwort« auf die Frage, wie die Strukturen in ihrer Partei zu ändern wären, damit sie den Bedürfnissen der Mitglieder und damit auch der Gesellschaft besser entsprächen.
Mit einem Mann wäre man damals nicht so umgegangen, sagte sie in einem Interview. Sie ist nicht rechthaberisch. Und damals, vor zehn Jahren, konnte sie eine Zusammenarbeit mit der LINKEN nicht als Regierungsoption verkünden, weil auch sie dem herrschenden Tabu Tribut zollte. Die Bewegung »Aufstehen« von Sahra Wagenknecht sieht sie mit Interesse und Skepsis zugleich, wie sie sagt. Den Protest zusammenführen, ja. Den fordistischen Kapitalismus zurückwünschen, nein. Vor Monaten hat Ypsilanti ein Buch veröffentlicht: »Und morgen regieren wir uns selbst«. Sie hat es ihrem Freund Hermann Scheer gewidmet, der 2010 starb. Auch darin geht es um Theoretisches und Praktisches, um Ökonomisches und Kulturelles. In vielen Diskussionsrunden spürt sie das Bedürfnis, über Utopie zu sprechen, über ein gutes Leben statt über Abwehrkämpfe der SPD. Aus der Führungsriege der Partei hat sie keine Reaktion auf das Buch erhalten. Niemand hat sie einmal angesprochen? »Niemand«, sagt sie mit einem irgendwie erstaunten Auflachen.
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