Legalismus oder Republik?

Katalonien Unabhängigkeitsparteien leisten sich Machtkämpfe / Druck von der Straße wächst

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bewegung zur Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien durchlebt derzeit eine sehr schwierige Phase. Denn es fehlen klare Konzepte, wie der Wunsch nach einer eigenen Republik umgesetzt werden kann. Die daraus resultierende Uneinigkeit zeigte sich zuletzt deutlich. Sie eskalierte am Donnerstag und Beobachter sahen schon Neuwahlen aufziehen.

Vordergründig ging es bei dem Streit im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter um Fragen, die längst geklärt schienen. Doch statt voranzuschreiten wurden Parlamentsgeschäfte, Aussprache und alle Gesetzesinitiativen erneut auf kommende Woche vertagt. Regierungschef Quim Torra und sein Vize Pere Aragonès kamen eilig am Freitag zur Krisensitzung zusammen, um den Streit beizulegen.

Die war unnötig, schließlich hatte sich das Parlament schon am Dienstag darauf geeinigt, mit den Stimmen der spanischen Linksformation Podem en Comu (Gemeinsam können wir es) die Suspendierung von gefangenen und exilierten Politikern durch den Richter Pablo Llarena nicht hinzunehmen, da dies allein in die Kompetenz des Parlaments fällt. Llarena hat Mitglieder der vorhergehenden Regierung suspendiert, die er wegen »Rebellion« anklagt.

Der Umgang damit lähmt wiederum seit Monaten und sollte durch einen Mittelweg gelöst werden: »Solange die juristische Situation andauert«, hieß es im Parlamentsbeschluss vom Dienstag, »können die Rechte der Parlamentarier Carles Puigdemont, Oriol Junqueras, Jordi Turull, Raül Romeva, Josep Rull und Jordi Sànchez durch einen Parlamentarier ihrer Fraktion ausgeübt werden, den sie bestimmen«. So würde die Mehrheit gesichert, die Richter Llarena mit seinen Anklagen in Frage stellt, für die beispielsweise deutsche Richter im Auslieferungsverfahren gegen Puigdemont keine Basis sahen.

Ernannten die Vertreter der Republikanischen Linken (ERC) sogleich Vertreter für die Suspendierten, taten dies die Abgeordneten von Puigdemonts Koalition nicht so, wie im Parlamentsbeschluss festgehalten. Die Parlamentsjuristen erklärten deshalb, ihre Stimmen könnten dann nicht gezählt werden. Die ERC fühlte sich hintergangen und der schwelende Richtungsstreit mit »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) eskalierte. Warum JxCat und Puigdemont so vorgingen, ist nicht klar.

Vermutlich stehen dahinter ein schädlicher Machtkampf sowie eine Retourkutsche dafür, dass die ERC bremst und einen legalistischeren Weg geht, um Zeit zu gewinnen und die Basis der Unabhängigkeitsbewegung zu verbreitern. Vor allem die linksradikale CUP kritisiert sie dafür vehement. Die CUP will allein über zivilen Ungehorsam die vor einem Jahr ausgerufene Republik in die Praxis umsetzen. Unterstützt wird sie dabei von den Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR), die am Montag, dem Jahrestag des erfolgreichen Unabhängigkeitsreferendums, Muskeln zeigten und Straßen, Autobahnen und Bahnstrecken blockierten.

Die ERC aber will ausloten, was unter der schwachen spanischen Minderheitsregierung des Sozialdemokraten Pedro Sánchez möglich ist, da dieser im spanischen Parlament von katalanischen Stimmen abhängig ist. Der ERC hat es daher gar nicht gefallen, dass Kataloniens Regierungschef Torra auf Druck der Straße klar auf Konfrontationskurs mit Madrid eingeschwenkt ist. Er lobte die CDR und stellte Sánchez ein Ultimatum bis November, um ein »verbindliches und anerkanntes Referendum über die Unabhängigkeit« nach dem Vorbild Schottlands oder Quebecs auszuhandeln, das »international anerkannt wird«. Sonst könne man ihm »keinerlei Stabilität garantieren«, so Torra zu Sánchez. Die ERC distanzierte sich davon. Ultimaten seien »Teufelszeug«, erklärte beispielsweise Gabriel Rufián, ERC-Parlamentarier in Madrid.

Teilweise ruderte Torra wieder zurück. In einem Brief an Sánchez aus der zurückliegenden Woche, in dem Torra zum Dialog einlädt, taucht kein Ultimatum mehr auf. Auch in den Briefen, in denen er vom Papst, Angela Merkel, Wladimir Putin, Donald Trump und anderen um Vermittlung nachsucht, fehlt das Ultimatum. Torra führt an, die Gegensätze seien »nicht unüberbrückbar« und über ein Referendum auflösbar. Er verweist darauf, dass die Inhaftierung von neun ehemaligen Regierungsmitgliedern und die Tatsache, dass sich weitere sieben im Exil befinden, nicht zur Entspannung beitragen.

Klar ist, dass die Unabhängigkeitsbewegung nun dringend eine Strategie und Einheit braucht. Bis zur Ausrufung der Republik gab es dies, so erst war das Referendum trotz massiver staatlicher Repression ermöglicht worden. Nach der Krisensitzung versuchten Torra und Aragonès am Freitag neugewonnene Einheit zu demonstrieren. Sie beriefen sich dabei auf den Kompromiss zu den suspendierten Parlamentariern als Grundlage. Selbstkritisch wurde von einer »verbesserungswürdigen Kommunikation« gesprochen.

Für die ERC machte Aragonès klar, dass auch die Geduld seiner Partei begrenzt sei. Man könne der Sánchez-Regierung keine Kontinuität garantieren, wenn sie weiter wie die Vorgänger der konservativen Volkspartei (PP) vorgehe. Torra und Aragonès sind sich einig, dass man nur gemeinsam erfolgreich sein kann. Und für beide Politiker ist klar, dass mögliche anstehende Rebellionsurteile einen »Wendepunkt« markieren dürften.

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