Digitale Technik verändert die Pflege
Rund um die Pflege
Birgit Bruns erinnert sich gut daran, wie die Sache mit den iPads bei ihr auf der Station ankam: Viele Kollegen waren aufgeschlossen, manche sogar euphorisch. Einige Ältere waren aber auch verunsichert, als sie erfuhren, dass sie die Dokumentation von Wundheilungen nun mit diesem, ihnen noch fremden Gerät machen sollten.
Dabei war klar: Alle auf der Krankenstation würden so schneller Zugriff auf die Daten der Patienten haben. »Aber da waren eben auch Mitarbeiter dabei, die in den Jahren zuvor schon Probleme hatten, sich an einen Arbeitsplatz mit einem PC zu setzen. Und die sollten nun mit einem Tablet durch die Station. Das hat sie erst mal überfordert«, sagt Birgit Bruns, Pflegeleiterin im Dortmunder Hüttenhospital.
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland steht einer jüngsten Umfrage zufolge Pflegerobotern offen gegenüber. Wie aus dem unlängst in Berlin vorgestellten »Meinungspuls Pflege« der Techniker Krankenkasse (TK) hervorgeht, würden sich 58 Prozent der Befragten im Pflegefall bei körperlichen Einschränkungen von einem solchen Roboter unterstützen lassen. 26 Prozent rechnen damit, dass in zehn Jahren jeder Pflegebedürftige von einem Roboter unterstützt wird.
90 Prozent können sich laut Studie zudem vorstellen, smarte Sensoren einzusetzen, um länger selbstständig im eigenen Haushalt zu bleiben. Solche Sensoren könnten beispielsweise einen Sturz erfassen und Hilfe anfordern.
Pepper: 1,20 Meter klein und mit Kulleraugen
In Deutschland könnte eine Antwort auf den Fachkräftemangel Pepper heißen: 1,20 Meter klein, rollt der Roboter mit den freundlichen Kulleraugen durch Seniorenheime und über die Altenpflege 2018.
Informatiker der Universität Siegen haben den (in Frankreich entwickelten) Pepper zum Leben erweckt. Unterstützt durch Pflegekräfte, kooperiert Siegen mit der Fachhochschule Kiel, der Computerfirma C&S sowie der Waseda Uni Tokio.
Seit Längerem kooperiert die Uni Siegen auch mit dem Marienheim in Siegen-Weidenau. Dort gab es den Erstkontakt von Pepper mit Pflegekräften und Seniorenheimbewohnern. Anfänglicher Skepsis machten schnell Neugier und Spaß an den Möglichkeiten des Roboters Platz. Denn Pepper kann sich nicht nur bewegen, sondern auch hören, sehen und inzwischen Deutsch sprechen, sogar Emotionen und Stimmlagen erkennen.
Peppers Job ist der eines Begleiters
Bis 2030 könnte in Deutschland die Zahl der Pflegebedürftigen um über 30 Prozent auf 3,5 Millionen ansteigen. Doch bis Roboter semi- und vollautonom in Teilbereichen der Pflege unterstützen könnten, sei es noch ein langer Weg, sagen die Forscher. Ziel sei es, dass Roboter und Menschen als hybride, sich ergänzende Teams zusammenarbeiten.
Derweil ist Peppers Job der eines Begleiters, der Freiräume mit Spiel, Spaß und Abwechslung füllt. Internetfähig, lässt sich der Roboter via Cloud mit zahlreichen Diensten bzw. Apps koppeln. Ziel: Laien und Pflegekräfte können Pepper konfigurieren und ihm Aufgaben geben, ohne ihn programmieren zu müssen.
Über ausgewählte Apps stellt sich Pepper so auf die Bedürfnisse des Bewohners ein und verhält sich gegenüber Menschen mit Demenz anders als bei Senioren mit Gehproblemen. Auch in häuslicher Pflege sollen Roboter zum Einsatz kommen, zum Beispiel zu Übungen motivieren, die Stürzen vorbeugen.
Wie man Roboter in Pflegeheimen einsetzen kann
Beim Projekt »AriA« (Anwendungsnahe Robotik in der Altenpflege) der Universität Siegen und der Fachhochschule Kiel zusammen mit Pflegekräften beschäftigt man sich mit Modellen, wie Robotik im Altenheim eingesetzt werden kann.
Prof. Dr. Jens Lüssem, Projektleiter für die Fachhochschule Kiel: »Jede technologische Innovation ist abhängig von der Akzeptanz durch die menschlichen Akteure, die in (un-)mittelbarer Umgebung von Robotern ihren Routinen nachgehen.« Deshalb sei es wichtig, die Bedürfnisse, Erfahrungen und Ideen von Pflegekräften, Pflegebedürftigen und Angehörigen einzubinden.
Nicht für pflegerische Tätigkeiten einsetzen
Jetzt tourt Pepper durch Deutschland, begleitet von Wissenschaftlern, die analysieren: Wie offen sind Bewohner und Pflegekräfte für die neuen Technologien? Welche Anwendungen können durch den intensiven Austausch für solche Roboter entstehen?
»Pepper soll keine pflegerischen Tätigkeiten wie Waschen oder Ankleiden ausführen«, betont Projektleiter Dr. Rainer Wieching. Roboter sollen Pflegekräfte nicht ersetzen, sondern Freiraum für »mehr menschliche Nähe in der Pflege« schaffen. nd
Mit der Digitalisierung die Arbeit besser organisieren
In der Pflege hält die Digitalisierung derzeit rapide Einzug. Und manchmal klappt das gut und manchmal überhaupt nicht. So jedenfalls lautet das Ergebnis einer Untersuchung der gewerkschaftsnahen Böckler Stiftung. Für die Studie »Wie Technik die Pflege stärken kann« haben Forscher verschiedener Institute rund 600 Klinikbeschäftigte über den Technikeinsatz befragt. »Wir müssen wegkommen von der Pauschaldiskussion, ob Technik gut oder böse ist. Es geht darum, wie man Arbeit besser organisieren kann«, sagt Mitautorin Michaela Evans vom Institut für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen.
Den Forschern zufolge hat die Digitalisierung in der Pflege bereits sehr viele Bereiche erfasst: Es gebe neben der elektronischen Dokumentation beispielsweise Telemonitoring und GPS-Überwachungssysteme für Menschen mit Demenz, viele neue Hebe- und Tragesysteme für Menschen mit Mobilitätseinschränkung, automatische Stunden- oder Tourenplanung und mehr.
Was für sich genommen das Potenzial habe, Abläufe simpler und effizienter zu gestalten, könne in der Praxis Pflegekräfte und Pflegebedürftige überfordern. »Wenn ein digitaler Pflegeassistent Arbeitsschritte vorgibt, kann das eine wertvolle Orientierung sein. Es kann aber auch Druck entstehen, weil der Mitarbeiter nicht hinterherkommt oder das Gefühl hat, er verliere Handlungsautonomie«, erklärt Birgit Bruns aus Erfahrung.
Vielfach fehlt eine digitale Gesamtstrategie
Die Autoren der Studie kritisieren, dass vielen Pflegebetrieben eine digitale Gesamtstrategie fehle. »Die Idee in vielen Einrichtungen ist: Wir möchten effizienter werden. Das wird aber nicht richtig angegangen, daher geschieht genau das Gegenteil«, sagt Michaela Evans. Leitlinie sei oft: »Was gibt es?« statt: »Was hilft uns?«
In der Pflegebranche herrsche nahezu eine Digitalisierungs-Euphorie: So will gegenwärtig jede dritte Einrichtung in diesem Jahr mindestens 20 000 Euro in die Digitalisierung investieren, zehn Prozent der Befragten sogar über 100 000 Euro, wie die Zahlen des »Investitionsbarometers Altenpflege«, die im März erhoben wurden, belegen.
Auch der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte bei seinem Amtsantritt an, in dieser Legislaturperiode die Digitalisierung zu einem Schwerpunkt seines Ministeriums zu machen.
Birgit Bruns vom Dortmunder Hüttenhospital sagt, worauf es aus ihrer Sicht ankommt, um auch die Skeptiker der neuen Technik zu überzeugen: »Wir haben das so gelöst, dass wir viel mit den Kollegen unterwegs waren und sie bei der Einführung sehr an die Hand genommen haben.« epd/nd
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