Sozialrichterin soll Verfassungsrichterin werden
Linksfraktion stellt Kathleen Heinrich-Reiche als Kandidatin vor
Wenn der Landtag im Dezember sechs nachrückende Richter für das Verfassungsgericht wählt, dann ist auch die Neuruppiner Sozialrichterin Kathleen Heinrich-Reichow als Kandidatin der Linkspartei dabei.
Die Zeit, in der die LINKE drei Richter für das Landesverfassungsgericht benennen konnte, sind aufgrund ihrer stark gesunkenen Zustimmung bei Wahlen vorbei, so dass allein die SPD noch drei Richter vorschlagen darf, alle übrigen Fraktionen je einen. Wie Linksfraktionschef Ralf Christoffers am Dienstag sagte, endet auch für Gerichtspräsidenten Jes Möller die zehnjährige Tätigkeit. Doch die Amtszeit des einst von den Sozialisten vorgeschlagenen Laienrichters Andreas Dresen hält noch bis 2022 an. Die LINKE darf aber jetzt noch eine andere Person benennen.
Die parteilose Richterin Heinrich-Reichow - »ich habe nicht vor, in eine Partei einzutreten« - wurde am Dienstag von Fraktionschef Christoffers als Kandidatin vorgestellt. Sie bezeichnete sich als linksdemokratisch eingestellt. Ihre Kindheit verbrachte sie im mecklenburgischen Demmin, einer Stadt, die nach der Wende massiv von Arbeitslosigkeit heimgesucht worden sei. Das habe sie geprägt, wie auch ihre Eltern. Der Vater sei Mitglied der Linkspartei.
Sie bearbeite als Sozialrichterin 560 Gerichtsverfahren, monatlich kommen 31 hinzu, die abgearbeitet werden müssen. Ihre Einstellung überschneide sich mit den Ansichten der Linkspartei, sagte Heinrich-Reichow. Als Sozialrichterin mit der Spezialrichtung Krankenversicherungsrecht habe sie mit armen, kranken, alten oder in prekären Lohnverhältnissen lebenden Menschen zu tun, das werfe für sie das Thema der sozialen Gerechtigkeit auf. Sie befürworte, dass eine Bildungsförderung für alle von Kindesbeinen an garantiert wird.
Als Verfassungsrichterin in spe sagte sie, das Besondere der Landesverfassung sei, dass sie eine »Vollverfassung« sei, also Grundrechte aufführe, und dass sie per Volksabstimmung legitimiert worden sei. Auch die Staatszielbestimmung (Recht auf Arbeit, auf Wohnraum) finde sie »ganz nett«.
Laut Gesetz ist es möglich, dass drei der acht Richterstellen von juristischen Laien besetzt werden können. In der Vergangenheit war die von der Linkspartei vorgeschlagenen Kandidaten meistens ein Politikum und gingen häufig nicht so so widerstands- und geräuschlos über die Bühne wie bei den Kandidaten der anderen Parteien. Andere Fraktionen schätzten das Vorschlagsrecht eher gering und gelegentlich war ein zweiter Anlauf nötig.
Filmregisseur Andreas Dresen wurde gewählt, nachdem die LINKE mit dem Vorschlag der Autorin Julia Schoch gescheitert waren. Als Hochschwangere hatte sie sich den Fraktionen im Landtag vorgestellt. Doch gaben die oppositionellen Fraktionen danach bekannt, sie seien von der Kandidatin nicht überzeugt. Es wurde eine Anhörung im Hauptausschuss anberaumt, doch just an diesem Tage kam Frau Schoch nieder.
In den 1990er Jahren scheiterte die Schriftstellerin Daniela Dahn. Sie erzielte im Landtag nur gut ein Drittel der Stimmen - und das, obwohl von der SPD-Führung Unterstützung zugesichert worden war. Der damalige SPD-Landeschef Steffen Reiche hatte zuvor noch erklärt, der Daniela-Dahn-Vorschlag der Sozialisten sei so gut gewesen, er hätte glatt von der SPD stammen können. Das aber sahen die SPD-Abgeordneten anders. Die sonst so kritiklose Gefolgschaft innerhalb der SPD wurde im Fall Dahn aufgekündigt. Zu hart war die Autorin mit den von Bundeskanzler Helmuth Kohl (CDU) dem Osten versprochenen »blühenden Landschaften« ins Gericht gegangen, als dass sie nach Ansicht des einfachen SPD-Abgeordneten einen Sitz im Verfassungsgericht einnehmen könnte.
Der PDS-Fraktionsgeschäftsführer Heinz Vietze nannte den Vorgang einen Skandal, und er ergänzte, für ihn sei dies nicht nur gegen Frau Dahn, sondern gegen PDS-Kandidaten überhaupt gerichtet. »Der Brandenburger Weg ist beendet«, erklärte der damalige PDS-Fraktionschef Lothar Bisky, womit er die punktuelle Zusammenarbeit meinte, die in den Jahren zuvor das Verhältnis von SPD und PDS im Bundesland bestimmte. Gewählt wurde schließlich - auf PDS-Vorschlag - der Künstler Florian Havemann, Sohn von Bürgerrechtler Robert Havemann.
Im September 2006 wurde der Rechtsanwalt Volkmar Schöneburg auf Vorschlag der Linkspartei zum Verfassungsrichter gewählt, er wurde 2009 Justizminister. Sein Vater Karl-Heinz Schöneburg, war - von der selben Partei nominiert - in den ersten Jahren nach der Wende Verfassungsrichter.
Die neue Wahl im Landtag kann stattfinden, nachdem sich die Kandidaten in allen Fraktionen vorgestellt haben. Zur erfolgreichen Wahl ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich.
Auf die Frage, warum die AfD keinen Kandidaten benenne, sagte der der AfD-Fraktion Thomas Jung am Dienstag, das geschehe aus der Gewissheit heraus, das ein AfD-Kandidat »so oder so nicht gewählt« würde.
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