Thronfolger oder Bürgerkönigin
In Potsdam entscheidet die Stichwahl über den künftigen Oberbürgermeister
Mit anfangs eher leisen Tönen rang Martina Trauth im Potsdamer Oberbürgermeisterwahlkampf um Zustimmung aus breiten Schichten der Bevölkerung. Sie ist parteilos. Sie tritt für die LINKE an. Sie will jedoch nicht nur deren Stammwähler hinter sich bringen. Ihrem Programm bleibt sie treu. Ihre Ziele hat sie nicht geändert. Doch in den letzten Tagen vor der Stichwahl am 14. Oktober kommt ein erfrischend frecher Zungenschlag in ihre Kampagne.
»28 Jahre SPD sind genug: Trauth statt Thronfolger« steht auf ihren Plakaten, die extra zur Stichwahl gegen Mike Schubert (SPD) herausgehängt wurden. Das ist eine Anspielung darauf, dass die Oberbürgermeister seit 1990 - Horst Gramlich, Matthias Platzeck und Jann Jakobs - alle Sozialdemokraten waren, und dass SPD-Kandidat Schubert, der bereits als Sozialdezernent im Rathaus tätig ist, als ein Nachfolger gesehen wird, der deren Linie ungebrochen fortsetzen würde, auch wenn Schubert beteuert, er habe frische Ideen.
Zu Schuberts Werdegang ist zu bemerken, dass er als Bundeswehrsoldat in Kosovo diente. Dem Auslandseinsatz auf dem Balkan habe er anfangs kritisch gegenüber gestanden, erzählt er. »Ich habe dann jedoch gesehen, dass Mord, Vertreibung und Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien nicht von selbst aufhören, sondern nur durch ein Eingreifen zu beenden waren.« Zur Erinnerung: Es war Verteidigungsminister Rudolf Scharping - auch er SPD -, der den vermeintlichen Hufeisenplan zur Rechtfertigung eines völkerrechtswidrigen NATO-Angriffs auf Jugoslawien benutzte. Angeblich planten die Serben die Vertreibung der Albaner aus der Provinz Kosovo. Das hat Scharping behauptet, aber nicht bewiesen, weil es nicht zu beweisen war.
Doch zurück zur Oberbürgermeisterwahl. Oft ist in Potsdam Trauths Plakat jeweils an dem Laternenmast zu sehen, an dem auch Schuberts Plakat zur Stichwahl hängt - mit der wenig aussagekräftigen Ansage: »Mike Schubert. Entschieden für Potsdam.« Das Kreativitätsduell hat Trauths Team also schon einmal gewonnen.
Dabei ging die Kampagne los mit dem abgegriffenen Slogan »Potsdam gemeinsam gestalten«. Dieser Slogan stand auf Trauths Großflächenwerbung zur ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl am 23. September. Sie erzielte 19,1 Prozent. Damit ließ sie Götz Friedrich (CDU) hinter sich, der auf 17,4 Prozent kam, ebenso Lutz Boede von der linksalternativen Wählergruppe »Die Andere«, der 11,4 Prozent erreichte, auch Dennis Hohloch (AfD, 11,1 Prozent) und Janny Armbruster (Grüne, 8,9 Prozent). 19,1 Prozent genügten Martina Trauth für die Stichwahl. Doch muss sie nun am 14. Oktober im Zweikampf mit Mike Schubert einen großen Rückstand aufholen. Denn dieser lag mit 32,2 Prozent der Stimmen in der ersten Wahlrunde klar vorn.
Aber Trauth steckt nicht auf. Sie legte unmittelbar vor der Stichwahl ein 100-Tage-Programm vor. Darin legt sie dar, was sie zu Beginn von acht Jahren als Oberbürgermeisterin tun würde. Sie benutzt dabei nicht den Konjunktiv, statt der Möglichkeitsform lieber den siegesgewiss klingenden Indikativ. Das hört sich dann so an: »Als Oberbürgermeisterin lade ich alle Bürgerinnen und Bürger, Parteien, Vereine und Gruppierungen unserer Stadt ein, einen parteiübergreifenden Modernisierungs- und Innovationsprozess zu starten und sich an der Suche nach den besten Lösungen für Potsdam zu beteiligen!« Bewusst greife sie Ideen »unterschiedlicher Parteien« auf, verrät sie. »Mir liegt nicht daran, dass sich eine Partei zulasten anderer profiliert!« Zunächst will Trauth einen Kassensturz veranlassen. Wirtschaftsprüfer sollen eine Übersicht über das kommunale Vermögen erstellen, einschließlich einer Bewertung der wirtschaftlichen Lage der kommunalen Unternehmen. Diese Übersicht über Werte wie Grundstücke und Gebäude, Schulden und Potenziale, will Trauth transparent machen, soweit nicht gesetzliche Vorschriften dies verhindern. Nach dem Kassensturz soll das Stadtparlament entscheiden, »welche Vorhaben und Maßnahmen wir über welchen Zeitraum mit Ressourcen ausstatten wollen«. Eine Neuverschuldung für strategisch wichtige Investitionen dürfe kein Tabu sein. Denn unterlassene Investitionen in Klimaschutz oder Bildung seien auf lange Sicht »das teuerste, was sich eine Stadt leisten kann«, ist die 53-Jährige überzeugt.
Was möchte sie sonst noch? Sie will das alte Restaurant »Minsk« für eine öffentliche Nutzung erhalten, vielleicht als Ausstellungshalle für Potsdamer Künstler. Sie will mit dem Konzern »Deutsche Wohnen« verhandeln, dem Investor am Kasernengelände von Krampnitz, denn sie will die angestrebte Zielmiete von 8,50 Euro pro Quadratmeter für die Quartiere dort vertraglich sichern. Dem Verkehrschaos in der Innenstadt will sie durch Zurückdrängung der Autos begegnen, aber nicht mit Fahrverboten, sondern durch einen attraktiveren Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). »Langfristig halte ich einen solidarisch finanzierten, fahrscheinlosen ÖPNV für das nachhaltigste Modell.«
Viele Menschen standen im Wahlkampf an der Seite von Martina Trauth, darunter die Landtagsabgeordnete Anita Tack (LINKE) und auch der LINKE-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger. Der Auftritt des profilierten Gewerkschafters Riexinger gemeinsam mit Trauth am städtischen Ernst-von-Bergmann-Klinikum hatte Symbolkraft. Immerhin hatte der linksalternative Mitbewerber Lutz Boede die Kandidatin kritisiert, weil sie glaubte, als Rathauschefin die Geschäftsleitung des Klinikums nicht anweisen zu können, den Beschäftigten Tariflöhne zu zahlen. Trauth war sich jedoch nur nicht hundertprozentig sicher, ob das rechtlich so einfach funktioniere und ob Anweisungen der richtige Weg sind. Sie ist für Tariflöhne. »Nur so kann dem akuten Personalmangel und der Überbelastung der Belegschaft begegnet werden«, sagt sie. »Als Oberbürgermeisterin werde ich unverzüglich Verhandlungen zur Rückkehr des Klinikums in den Tarif des öffentlichen Dienstes in die Wege leiten.«
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