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Erst die Regierung, dann die Aufarbeitung
CSU-Chef Horst Seehofer steht intern unter Druck. Er will eine Entscheidung über seine Zukunft hinauszögern
Nach dem Wahldebakel seiner CSU bei der bayerischen Landtagswahl am Sonntag hat sich Parteichef Horst Seehofer am Dienstag vorsichtig selbstkritisch geäußert. Bei einer Pressekonferenz in Berlin räumte Seehofer ein, dass er als Bundesinnenminister in der Flüchtlingsdebatte »möglicherweise nicht immer den richtigen Ton« getroffen habe. Allerdings scheint der CSU-Politiker weiterhin kein schlechtes Gewissen zu haben, dass er sich etwa über die Abschiebung von 69 Menschen in das Kriegsland Afghanistan an seinem 69. Geburtstag im Sommer gefreut hatte. Einer der Abgeschobenen hatte wenig später in der afghanischen Hauptstadt Kabul Selbstmord begangen.
Bei der Landtagswahl hatte die CSU nur 37,2 Prozent der Stimmen erreicht und viele ihrer bisherigen Wähler an die Grünen verloren. Um diese zurückzugewinnen, forderte Seehofer seine Partei nun dazu auf, sich mehr um Umwelt- und Klimaschutz zu kümmern. Seehofer hat unter anderem eine Reduzierung des Flächenverbrauchs im Blick. Wie ernst zu nehmen diese Ankündigungen sind, wird sich zeigen. Die CSU war bislang nicht durch ein besonderes Engagement im Bereich Umweltschutz aufgefallen. Vielmehr hatte der CSU-Politiker Christian Schmidt, der zu diesem Zeitpunkt Bundeslandwirtschaftsminister war, vor einem Jahr auf EU-Ebene für die Zulassung des Unkrautgifts Glyphosat votiert.
Intern ist Seehofer wegen der Wahlschlappe unter Druck geraten. Am Montagabend hatte der Vorstand des CSU-Kreisverbands Kronach dem Zeitplan des Vorstands zugestimmt, dass zunächst die Koalitionsverhandlungen in Bayern im Vordergrund stehen sollen. Danach sollte nach dem Willen des Kreisvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Jürgen Baumgärtner aber ein Parteitag stattfinden, auf dem Seehofer abgelöst werden sollte. Der CSU-Kreisverband Bayreuth schloss sich dieser Position an.
Seehofer kündigte Konsequenzen noch vor Weihnachten an. In diesem Zusammenhang sollten auch Entscheidungen zu personellen Fragen, »über die zu diskutieren ich durchaus auch bereit bin«, getroffen werden, sagte Seehofer. Er vermute, »dass wohl das beste Instrument, weil die Basis da am besten versammelt ist, ein Parteitag der CSU wäre, aber das ist noch nicht entschieden«. Denkbar wären ein »großer Parteitag«, ein »kleiner Parteitag« oder Regionalkonferenzen.
Derweil stimmte nach dem Parteivorstand auch die CSU-Fraktion im bayerischen Landtag am Montag dafür, Markus Söder erneut für das Ministerpräsidentenamt zu nominieren. Einstimmig kürten die Abgeordneten den 51-Jährigen am Dienstag per Handzeichen.
Die CSU will am Mittwoch mit den in Frage kommenden Parteien Sondierungsgespräche führen. Neben den Freien Wählern wären rechnerisch auch Bündnisse mit den Grünen, die zweitstärkste Fraktion wurden, und der SPD möglich. Der Vorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, rechnet fest mit einer Koalition seiner Partei mit der CSU. »Ich glaube, dass die Würfel gefallen sind«, sagte Aiwanger am Dienstag im Hörfunksender Bayern 3.
Die bayerische SPD will erst am Sonntag entscheiden, ob sie mit der CSU über mögliche Koalitionsverhandlungen sondieren will. Nach dem Wahldebakel der Sozialdemokraten, die nur 9,7 Prozent der Stimmen erreichten, will der Münchner SPD-Abgeordnete Florian von Brunn Nachfolger von Fraktionschef Markus Rinderspacher werden.
Die Sozialdemokraten werden in den kommenden Tagen auch verstärkt darüber diskutieren, ob die Große Koalition im Bund für sie noch sinnvoll ist. Diverse SPD-Politiker haben das Bündnis zuletzt in Frage gestellt, weil ihre Partei nicht mehr als Alternative wahrgenommen wird. Die Niederlage seiner Sozialdemokraten in Bayern liege auch im »Riesenstreit« der Großen Koalition in Berlin begründet, der immer wieder von der CSU ausgegangen sei, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach am Dienstag im ARD-»Morgenmagazin«.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag, Thomas Kutschaty, riet seiner Partei im Gespräch mit dem »Kölner Stadtanzeiger« dazu, das Regierungsbündnis mit der Union im Bund zu beenden. Mit Agenturen
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