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- Asylpolitik in Brandenburg
Endstation Erstaufnahme
Der Innenminister will Abschiebungen erleichtern, die LINKE ist strikt dagegen
Auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt gibt es zwar schon lange nicht mehr die provisorische Zeltstadt. Das Land Brandenburg hat in menschenwürdige Unterkünfte investiert. Angenehm ist es trotzdem nicht. Drei Monate lebte Iles Kadijew hier, als er nach Deutschland kam. »Dort war es nicht gut, dort mögen die Leute keine Ausländer«, erinnert sich der Tschetschene an die Verhältnisse. Wenn er mit Frau und Sohn in der Stadt spazieren ging, wurden sie mehr als einmal fremdenfeindlich beschimpft. Inzwischen lebt die Familie in einer Wohnung in Groß Schönebeck und fühlt sich hier sehr wohl.
Nicht länger als sechs Monate sollen Asylbewerber in der Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt oder in einer der Filialen bleiben, bevor sie einem Landkreis zugeteilt werden. Doch wenn es nach Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) und nach den Landräten und Oberbürgermeistern gehen würde, müssten Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive künftig bis zu zwei Jahre in der Erstaufnahme ausharren. Außerdem würde sich das Innenministerium anstelle der Landkreise zentral und »effizient« um Abschiebungen kümmern, dazu Dokumente beschaffen und Flüge buchen.
»Wenn Menschen lange in der Kommune gelebt haben und sich integriert haben, ist es sehr schwer, sie dort wieder herauszulösen, wenn sie dann ausreisepflichtig werden«, argumentiert der Landrat von Oberspreewald-Lausitz Sigurd Heinze (CDU) nach einem Treffen der Landräte und Oberbürgermeister mit dem Innenminister. Das ist so. Da finden sich in der Regel Nachbarn, Sportsfreunde und Klassenkameraden, die etwas gegen den Rauswurf der Flüchtlinge aus Deutschland haben.
Der Innenminister kann seinen Plan aber nicht so mir nichts dir nichts verwirklichen. Das Landesaufnahmegesetz müsste geändert werden - und der Koalitionspartner, die LINKE, ist in dieser Frage strikt dagegen. Nach nd-Informationen hat Sozialstaatssekretär Andreas Büttner (LINKE) das gleich bei dem Treffen am Mittwoch deutlich gesagt.
Dass Menschen in Not geholfen werde, akzeptiere die Gesellschaft dauerhaft nur, »wenn wir uns auch effizient um die Ausreise derjenigen kümmern, die keinen Anspruch auf Hilfe haben«, findet die Landtagsabgeordnete Barbara Richstein (CDU). Zu ihrem Bedauern räumt sie den Absichten des Innenministers wegen der »Blockadehaltung« der Linkspartei geringe Erfolgschancen ein.
»Ich halte es für eine bodenlose Frechheit, dass der Innenminister zum wiederholten Mal Sachen in die Öffentlichkeit posaunt, die nicht im Ansatz mit seinem Koalitionspartner besprochen sind, geschweige denn von diesem befürwortet werden«, schimpft die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE). Zur Änderung des Aufnahmegesetzes bräuchte der Innenminister eine Mehrheit im Landtag. »Keine Ahnung, wo er die finden will, bei der Linksfraktion jedenfalls ganz sicher nicht. Er weiß sehr genau, dass es eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme mit uns nicht geben wird.« Johlige warnt: Wenn Flüchtlinge zwei Jahre mit wenig Kontakt zur Bevölkerung und ohne Deutschkurse untergebracht sind und die Kinder nicht zur Schule gehen müssen, »und sich dann herausstellt, dass sie doch bleiben können, beginnt die Integration erst nach zwei Jahren« - mit allen negativen Effekten langen Nichtstuns auf engstem Raum. Es sei nicht schädlich, Deutsch zu lernen, zu arbeiten, die Schule zu besuchen, auch wenn die Flüchtlinge später doch in ihre alte Heimat zurückmüssen. Außerdem gebe es viel Leerstand in den Asylheimen der Kommunen. Bleiben Flüchtlinge länger in der Erstaufnahme, müsste dort zusätzlich gebaut werden, während sich der Leerstand in den kommunalen Asylheimen vergrößert. Das würde unnötig Geld kosten.
Aktuell gebe es das Problem, dass mehrere hundert Flüchtlinge länger als die vorgesehenen sechs Monate in der Erstaufnahme verbringen. Das liege am kooperativen Freimeldeverfahren. Die Landkreise und kreisfreien Städte melden freie Plätze in ihren Asylheimen, die dann von der Erstaufnahme belegt werden. Seit mehreren Jahren gebe es aber immer wieder Landkreise wie Barnim, Märkisch-Oderland und Potsdam-Mittelmark, die keine oder zu wenige Plätze als frei melden, berichtet Johlige. Dies habe dadurch kompensiert werden können, dass andere Landkreise ihr Aufnahmesoll übererfüllten. Nach Ansicht Johliges müsste bei Kreisen, die ihr Soll nicht erfüllen, vom Meldeverfahren abgewichen werden. Sie müssten Flüchtlinge ohne Freimeldung zugewiesen bekommen.
Was die Zentralisierung von Abschiebungen betrifft, die es bis 1997 in Brandenburg gegeben hat, so verweist Johlige darauf, dass die LINKE bislang die Ansicht vertrat, dass die Kommunen die persönliche Situation der Betroffenen am besten einschätzen können. Doch da Asylentscheidungen teilweise die nötige Fachkenntnis vermissen lassen, was zu unnötigen Härten führe, könne man unter Umständen über eine Zentralisierung reden.
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