Weniger Spielraum für Begehrlichkeiten

Der ganz große Steuerregen könnte angesichts der sich eintrübenden Wirtschaftsaussichten bald vorbei sein

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn diesen Donnerstag Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die Ergebnisse des Arbeitskreises Steuerschätzung bekannt gibt, wird dies wieder eine Debatte über Steuersenkungen befeuern. Dabei werden schon jetzt Begehrlichkeiten laut. »Der internationale Steuerwettbewerb wird immer schärfer«, fordert etwa der Steuerzahlerbundpräsident Reiner Holznagel gegenüber dpa Steuersenkungen. Mit der US-Steuerreform sei die Belastung der dortigen Unternehmen drastisch gesenkt worden - und viele europäische Länder würden nachziehen.

Seit 1955 besteht der Arbeitskreis Steuerschätzungen. Zweimal im Jahr begibt er sich in eine mehrtätige Klausur, um zu berechnen, wie viele Einnahmen Bund, Länder und Kommunen für dieses und die nächsten vier oder fünf Jahre zur Verfügung haben werden. An diesem Dienstag ist es wieder so weit. Neben Vertretern des Bundesfinanzministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums, der Länder, Kommunen sowie von Bundesbank und des Statistischem Bundesamts werden auch Experten von Wirtschaftsinstituten die Einnahmen aus den jeweiligen Einzelsteuern prognostizieren.

Noch ist relativ viel Geld da zum Verteilen. Dank der guten Konjunktur und Arbeitsmarktlage stiegen vor allem die Einnahmen aus Einkommens- und Unternehmenssteuern. Im September wuchs das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Gemeinden im Vergleich zum Vorjahresmonat um 5,8 Prozent auf 68,97 Milliarden Euro, wie aus einem neuen Bericht des Finanzministeriums hervorgeht. Läuft es so weiter, dürfte der Staat in diesem Jahr insgesamt 710,5 Milliarden Euro zur Verfügung haben - ein Plus von 5,3 Prozent gegenüber 2017.

Doch die Steuerquellen könnten bald nicht mehr ganz so gut sprudeln. In den vergangenen Wochen senkten so gut wie alle Konjunkturexperten ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum. Ende September korrigierten fünf führende Wirtschaftsin-stitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose ihre Erwartungen für dieses Jahr von 2,2 auf 1,7 Prozent und für nächstes Jahr von 2,0 auf 1,9 Prozent nach unten. Auch das Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier senkte seine Prognose jüngst für dieses und nächstes Jahr auf 1,8 Prozent. Im Frühjahr war man noch von 2,3 und 2,1 Prozent ausgegangen. Dies bedeutet für den Staat, dass seine Steuereinnahmen nicht mehr so schnell wachsen werden wie bisher, weil auch die Gewinne und Gehälter von Unternehmen und Angestellten, die mit ihrem Einkommen letztlich die Steuern zahlen, nicht mehr so schnell steigen werden.

CDU-Mann Altmaier will die sich abzeichnende schlechtere Stimmung in der Wirtschaft mit Steuersenkungen für Unternehmen in Höhe von jährlich bis zu 20 Milliarden Euro bekämpfen. In einem Zehn-Punkte-Plan aus seinem Ministerium wird für die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags geworben. Dabei hat sich die Große Koalition darauf verständigt, den Solidaritätszuschlag bis zum Jahr 2021 für 90 Prozent der Steuerzahler abzuschaffen. Für die restlichen zehn Prozent soll er dagegen in voller Höhe erhalten bleiben. Auch soll laut dem Altmaier-Papier der Zinssatz für Steuernachzahlungen von sechs auf drei Prozent sinken. Damit kommt Altmaier der Wirtschaftslobby entgegen, die seit Längerem Steuersenkungen fordert. Sie begründet dies in der Regel mit ähnlichen Entwicklungen in den USA und anderen Ländern. Auch das Bundeswirtschaftsministerium begründete seine Pläne damit, »die internationale Attraktivität des Standortes Deutschland« verbessern zu wollen.

Aus dem Finanzministerium bekam Altmaier für seine Ideen schnell Widerspruch. Die Regierung habe sich bereits eine Reihe von Entlastungsmaßnahmen vorgenommen. »Und dabei wird es bleiben«, erklärte Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Bali. Deutschland verfüge über »ein sehr modernes Unternehmenssteuerrecht«.

Zudem dürften sich nicht alle Bundesländer eine Steuerreform leisten können. So fordert die Bundesbank pünktlich zum Beginn der Steuerschätzung von hoch verschuldeten Bundesländern wie Bremen, Hamburg oder dem Saarland stärkere Sparanstrengungen. Zwar profitieren die Länder laut dem am Montag veröffentlichten Monatsbericht noch vom niedrigen Zinsniveau - dieses dürfte jedoch bald wieder anziehen. mit Agenturen

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