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Wo die AfD in München am stärksten gewann
Auch bei der Landtagswahl 2018 galt: Die soziale Lage schlägt sich im Wahlverhalten nieder
Im Münchner Stimmbezirk 2412 an der Winterstein- oder der Stösserstraße hatte es oft die niedrigste Wahlbeteiligung der Stadt gegeben. Auch bei der aktuellen Landtagswahl war das so. Neu war, dass zum Rekord der Nichtwähler der Protest hinzukam. Nirgendwo anders erhielt die AfD so viele Stimmen wie in diesem Viertel.
Fährt man hinaus nach Norden, so macht die Schleißheimer Straße an der ehemaligen Trambahn-Endhaltestelle einen Knick nach Westen, und biegt man dann rechts ab, ist man in der Stösserstraße. Hier wohnen die Menschen in langezogenen Sozialwohnungsblocks. Man findet Hilfsorganisationen wie »Lichtblick Hasenbergl«, die sich um das Wohl der Kinder kümmern. Bei der Kirche Mariä Sieben Schmerzen herrscht regelmäßig Andrang, wenn die »Tafel« Lebensmittel verteilt. Das Viertel hat eine lange Tradition, was soziales Abseits anbelangt. Die Pfarrei liegt in unmittelbarer Nähe des ehemaligen »Frauenholzes«. Das war während des Zweiten Weltkrieges ein Barackenlager für Flakhelferinnen in der Wehrmacht. Nach 1945 brachten die Amerikaner dort die sogenannten »Displaced Persons« unter, also von den Deutschen verschleppte Zwangsarbeiter aus Russland. In den 1950er Jahren wohnten im Lager dann ausgebombte Familien, 5000 Menschen lebten in den Baracken am Waldrand. Der Ruf des »Frauenholzes« war schlecht. Dieses Image übertrug sich, als in den 1960er Jahren die Stadt München auf der angrenzenden Heide ein Neubaugebiet errichtete, bekannt als Hasenbergl. Was den 50 000 Einwohnern fehlte, waren Kneipen, ein Kino, ein Schwimmbad und eine weiterführende Schule. Daran hat sich bis heute nicht wirklich etwas geändert. In den Grundschulen sprechen viele Kinder nicht richtig oder gar nicht Deutsch. Und ganz hinten, um die Wintersteinstraße herum, leben viele in sehr prekären Verhältnissen.
Fragt man einen der Männer, so um die 55 Jahre alt, die hier vormittags auf einer der Parkbänke sitzen, wie das hier mit dem Wählen ist, fällt die Antwort eher karg aus: »Na, was schon?«
Mehr Auskunft gibt die Statistik. Bei der Landtagswahl 2018 lag hier die Wahlbeteiligung mit 35,6 Prozent am niedrigsten. Der städtische Durchschnitt betrug 72,7 Prozent. Und jeder Fünfte, der zur Wahlurne ging, machte sein Kreuz bei der AfD. Die Partei erzielte hier mit 22,9 Prozent ihr bestes Ergebnis in der ganzen Stadt. Münchenweit lag die AfD insgesamt bei 7,1 Prozent.
Dieser Zusammenhang zwischen geringer Wahlbeteiligung und hohen AfD-Anteilen galt für das gesamte Stadtgebiet. Daneben fällt auf: Je höher der Anteil an Hartz-IV-Beziehern in einem Stadtbezirk war, desto mehr Sympathie erhielt die AfD. Deutlich wurde dies vor allem in den alten Arbeitervierteln im Norden und im Osten. Zum Beispiel im Stimmbezirk 1606 um die Ayinger- und Bad Schachener Straße. Sozialwohnungsblocks dominieren das Bild, und eine niedrige Wahlbeteiligung von 46,6 Prozent fiel zusammen mit einem vergleichsweise guten Abschneiden der AfD mit 17,4 Prozent. Das ließe sich beliebig fortführen, zum Beispiel im Stimmbezirk 2210 um die Aubinger- und Borinskistraße im Neubaugebiet Am Westkreuz. Auch hier ging eine unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung von 61,6 Prozent mit einer überdurchschnittlichen Präferenz von 15,6 Prozent für die AfD einher.
Man kann sich natürlich auch das andere Ende der Skala ansehen, etwa den Stimmbezirk 0220 in der Innenstadt östlich des Gärtnerplatzes: ein buntes Viertel mit Altbaubestand, vielen Kneipen, jungen Familien und Akademikern. Hier schlug sich die soziale Lage umgekehrt wie am Hasenbergl nieder. Die Wahlbeteiligung war mit 78,3 Prozent hoch, der Stimmanteil für die AfD war mit 1,8 Prozent niedrig. Dafür kamen die Grünen auf stolze 43,5 Prozent. Auch im Stimmbezirk mit der höchsten Wahlbeteiligung in der Landeshauptstadt (87,4 Prozent) an der Alten Alle in Pasing, wo schöne Villen stehen, konnte die AfD mit einem Stimmanteil von 5,7 Prozent vergleichsweise wenige Stimmen abräumen.
Im Grunde wiederholte sich der Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Wahlbeteiligung, der schon bei der vorletzten Bundestagswahl gegolten hat: je prekärer die Lebensverhältnisse, desto geringer die Wahlbeteiligung. Bestätigt hat das eine Studie der Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel »Prekäre Wahlen: Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013«. In den nördlichen Münchner Stadtbezirken Milbertshofen-Am Hart und Feldmoching-Hasenbergl, wo die Arbeitslosigkeit mit rund fünf Prozent am höchsten war, war die Wahlbeteiligung mit 61,5 und 63,6 Prozent gleichzeitig am niedrigsten. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung hatte 2013 bei 71,2 Prozent gelegen. In den beiden Stadtteilen überwiegen laut der Bertelsmann-Studie die ökonomisch schwächeren Milieus. Demgegenüber gingen im westlichen Bezirk Pasing-Untermenzing 75,2 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne, hier sind die Bildungsabschlüsse höher und die Arbeitslosigkeit ist niedriger.
Bei der Landtagswahl 2018 hat sich dieses Ergebnis in München im Prinzip wiederholt, allerdings mit einem Unterschied: Die ökonomisch schwächeren Milieus haben diesmal eindeutig überdurchschnittlich die AfD gewählt.
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