Radikales Gelände

Von Wackersdorf über Seebrücke bis Ende Gelände - Für eine Veränderung zum Guten muss man oft zu radikalen Maßnahmen greifen, findet Lorenz Gösta Beutin.

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer jüngst den neuen Film »Wackersdorf« gesehen hat, der konnte leicht mit einem zwiespältigen Gefühl nach Hause gehen. Erzählt wird einer der größten Erfolge der deutschen Anti-Atombewegung: Nach Jahren des Kampfes im Gemeindewald des Dörfchen Wackersdorf in der bayerischen Oberpfalz konnte der Bau einer Atommüll-Wiederaufbereitungsanlage verhindert werden.

Filmheld des Streifens, der mit dem revolutionären Slogan »Wehrt euch! Leistet Widerstand« wirbt, ist im CSU-Freistaat ein tapferer SPD-Landrat. Den Mensch und Politiker Hans Schuierer hat es tatsächlich gegeben. Seine David-Figur nimmt im Film, wie damals im echten Leben, den Kampf mit übergroßen Goliath-Mächten auf. Seine Gegenspieler sind die Franz-Josef-Strauß-Amigos im fernen München und die Anzugträger der skrupellosen Atomindustrie.

Doch bleibt der Film erstaunlich gesittet. Zwar gibt es ab und an Original-Einspieler, die Gewalt und Gegengewalt zwischen Protestierenden und Staatsmacht zeigen, Tränengas, Gummiknüppel, brennende Polizeiautos, kreisende Helikopter, Maschinenpistolen im Anschlag, schreiende Frauen. Doch schlussendlich malt der Film allein den Aufstand der Anständigen nach, dokumentiert deren geduldig-netten Appelle an den Rechtsstaat, ihren treuen Glauben an Grundgesetz und Demokratie, an die herrschende Ordnung, und an Gott.

Im Rückblick kann die Wackersdorf-Geschichte tatsächlich so brav erzählt werden, warum nicht. Doch das ist nicht genug, wenn es um Widerstand und echte Veränderung geht. Denn die brennende Frage, die offen bleibt, nicht nur mit Blick auf diese zum Lehrstück gewordene bayerische Provinzposse mit deutschlandweiter Strahlkraft, sondern auch auf das Hier und Heute weisend: Ist aktiver Widerstand legitim, der einzelne Rechtsnormen übertritt, zivilen Ungehorsam als Mittel übt, zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele?

Es gibt sie heute, die mutigen Menschen, die Widerstand leisten. Die mit Schiffen ohne Flagge übers Mittelmeer kreuzen und Männer, Frauen und Kinder aus dem Wasser fischen, damit diese Verzweifelten auf ihrer unendlichen Reise zur Wohlstandsinsel Europa nicht ertrinken.

Die im Wendland Straßenblockaden bauen, Schienen blockieren und mit nichts als ihren Körpern tonnenschwere Atommüll-Transporter aufhalten. Die sich im Hambacher Forst in Baumhäusern verbarrikadieren, in schwindelnder Höhe, riesige Kohlebagger-Monster besteigen, Kohlegruben überrennen und Kohle-Züge stoppen, unter Einsatz ihres Lebens.

Es gibt Whistleblower, die ihre Zukunft aufs Spiel setzen, Bankgeheimnisse veröffentlichen, als Staatsverräter hinter Gitter landen oder ins Ausland flüchten müssen, weil sie geheime Informationen aus Armee und Diplomatie weitergeben. Es gibt Bürgerinnen und Bürger, die sich Aufmärschen von engstirnigen, aufgehetzten Menschenfeinden entgegenstellen, und dafür in Polizeikesseln landen.

Diese mutigen Menschen stehen für die Veränderung zum Guten. Sie finden sich nicht damit ab, dass wir in der »besten aller Welten« leben. Sie wollen diese Welt besser machen. Sie sind jene Menschen, die als »Gutmenschen« angefeindet werden. Sie alle landen in Handschellen, Untersuchungshaft, hinter Gittern, vor Gericht, den Staatsanwalt im Nacken. Sie alle übertreten geltendes Recht. Ein Rechtsbruch, der neues Recht schaffen will, weil das geltende Recht aus ihrer Sicht ungenügend ist.

Am Wochenende werden wieder tausende Aktivistinnen und Aktivisten des Bündnisses »Ende Gelände« zivilen Ungehorsam leisten, sich dem langen Arm der Kohleindustrie entgegenstellen, Klimagerechtigkeit einfordern. Am »Hambacher Forst« war die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite, jetzt wird sich zeigen, wie entschieden sie ist, dieses Land zum Guten zu ändern, sich mit den Mächtigen anzulegen.

Von Polizeiführung und zumindest der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wird versucht werden, den Protest zu kriminalisieren, ihm die Legitimität abzusprechen. Doch wird die Geschichte den »Rechtsbrechern« von heute Recht geben. So war es bei der Abschaffung der Sklaverei, die ebenfalls auf dem Verstoß geltenden Rechts beruhte. So war es beim Kampf um Arbeiterrechte, beim Kampf gegen die Aristokratie für Demokratie und Freiheit.

Und so wird es auch beim Kampf zum Schutz der Umwelt sein. Das Bayerische Parlament befasste sich 1986 mit der Schuldfrage, wie es zum Fiasko von Wackersdorf kommen konnte. Das Fazit des Hohen Hauses spricht Bände: »Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Untersuchungsausschuss ein irgendwie geartetes Fehlverhalten der Bayerischen Staatsregierung nicht feststellen konnte«. Die Herrschenden fühlen sich immer im Recht. Leisten wir also zivilen Ungehorsam.

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