- Politik
- Konsequenzen aus der Hessen-Wahl
SPD-Parteilinke: »Wir müssen raus aus der Großen Koalition«
Mattheis fordert Ausstieg aus Bündnis mit der Union / Juso-Chef Kühnert: Sollten uns auf Neuwahlen vorbereiten / Saleh fordert Mitgliederentscheid
Wiesbaden. Die schwarz-grüne Koalition in Hessen hat bei der Landtagswahl ihre Mehrheit vermutlich knapp verteidigen können. Laut dem in der Nacht auf Montag veröffentlichten vorläufigen amtlichen Endergebnis erreichten CDU (40 Mandate) und Grüne (29 Mandate) zusammen eine hauchdünne Mehrheit von 69 von 137 Sitzen im Landtag. Damit wäre eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition in Wiesbaden rein rechnerisch möglich - stabiler wären aber Dreier-Bündnisse.
Die SPD kam laut vorläufigem amtlichen Endergebnis wie die Grünen auf 29 Sitze, während die AfD 19, die FDP elf und die LINKE neun Mandate erzielten.
Große Wahlverlierer sind die in Berlin gemeinsam regierenden Christdemokraten und Sozialdemokraten. Die CDU von Ministerpräsident Volker Bouffier rutschte im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren um 11,3 Punkte auf 27 Prozent ab. Die SPD von Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel verlor 10,9 Punkte auf 19,8 Prozent. Ministerpräsident Bouffier gewann seinen Wahlkreis in Gießen erneut direkt gegen Schäfer-Gümbel.
Die Grünen setzten ihren Höhenflug fort: Nach ihrem Erfolg bei der Bayernwahl konnte die Partei auch in Hessen starke Zugewinne verbuchen. Sie legte um 8,7 Punkte zu und landete damit wie die SPD bei 19,8 Prozent. Bitter aus Sicht der Sozialdemokraten: Auf den letzten Metern konnten die Grünen ihnen den zweiten Platz noch streitig machen. Die Ökopartei liegt laut vorläufigen amtlichen Endergebnis 94 Stimmen vor der SPD.
Der Erfolg der Grünen wird auch durch den Gewinn von fünf Direktmandaten deutlich. So setzte sich Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir in seinem Offenbacher Wahlkreis mit 27,5 Prozent der Wahlkreisstimmen gegen die Bewerber von CDU und SPD durch.
Die AfD zog mit 13,1 Prozent - ein Plus von neun Punkten - erstmals in den Wiesbadener Landtag ein und ist damit nun in allen 16 Landesparlamenten vertreten. Die FDP verbesserte sich um 2,5 Punkte auf 7,5 Prozent, die LINKE konnte um 1,1 Punkte auf 6,3 Prozent zulegen. Die Wahlbeteiligung lag mit 67,3 Prozent deutlich unter dem Wert von 73,2 Prozent bei der Landtagswahl im Jahr 2013. Allerdings fand vor fünf Jahren parallel die Bundestagswahl statt.
Ministerpräsident Bouffier sagte, das Ergebnis sei trotz der Verluste für die CDU »ein klarer Auftrag«, auch die nächste Regierung anzuführen. »Ich habe die Absicht, mein Amt fortzuführen.« Er zeigte sich unter anderem offen für ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP. Für die Verluste seiner Partei machte Bouffier die Streitereien in der Großen Koalition in Berlin mitverantwortlich. »Wir hatten keine Chance gegen diesen Orkan, der uns aus Berlin entgegenwehte«, sagte er in der ARD.
Die Grünen-Spitzenkandidaten Priska Hinz und Tarek Al-Wazir feierten ein »historisches« und »wunderbares« Ergebnis. Nun werde geschaut, »was rechnerisch geht«, und danach sei »unsere Leitschnur die Sache«, kündigte Al-Wazir an, als es noch nicht nach einer Mehrheit für Schwarz-Grün aussah. Die Grünen seien zu Gesprächen »mit allen demokratischen Parteien« bereit.
SPD-Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel räumte eine »bittere Niederlage« ein. Eine Stellungnahme zu seiner persönlichen Zukunft lehnte er ab.
Kommen jetzt Neuwahlen im Bund?
Der Ausgang der Wahl entfachte erneut die Debatte über die Zukunft der Großen Koalition in Berlin. Die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles sagte, zu den Verlusten in Hessen habe die Bundespolitik »erheblich« beigetragen. »Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel.« Nahles setzte ein Ultimatum für die Große Koalition in Berlin: Bis zur »Halbzeitbilanz« der Bundesregierung im Herbst 2019 werde sich entscheiden, ob die SPD in der Koalition noch »richtig aufgehoben« sei.
Juso-Chef Kevin Kühnert appellierte an die SPD, sich auf Neuwahlen vorzubereiten. »Es ist offensichtlich, dass den Regierungsparteien die Kontrolle über die Existenz der Regierung ein bisschen entgleitet. Jedes kleine Feuerchen kann das Ganze zum explodieren bringen«, sagte er dem Sender Phoenix. Die Parteilinke Hilde Mattheis forderte erneut das Ende des Bündnisses mit der Union. »Wir müssen raus aus der Großen Koalition und zwar ohne Wenn und Aber«, sagte sie der »Augsburger Allgemeinen« (Montag).
Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh verlangte einen neuen Mitgliederentscheid über die Große Koalition. »Die Menschen haben die Schnauze voll von der großen Koalition im Bund und den Streitereien«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die SPD-Vizevorsitzende Malu Dreyer kündigte eine schärfere Abgrenzung ihrer Partei von der Union an. »Wir waren zu nachsichtig mit dem Koalitionspartner in Berlin«, sagte sie der »Rheinischen Post« (Montag).
Der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD-Fraktion, Johannes Kahrs, warf der Union vor, ein »schreckliches Erscheinungsbild« der Koalition zu prägen und die SPD mit hineinzuziehen. »Die Union muss wissen: Wir sind nicht bereit, uns das noch lange anzutun«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Agenturen/nd
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