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Im House of Lords
Martin Leidenfrost war im britischen Oberhaus und fand eine Szene wie auf einem Gemälde
Neulich war ich auf einem Empfang im House of Lords. Die Londoner Politik drehte sich um den Brexit, ich war aber zu einem anderen Thema eingeladen, erfuhr nichts Unbekanntes über den Brexit und fragte auch nicht danach.
Das Oberhaus des britischen Parlaments ist ein Relikt. Seine 810 Mitglieder werden großteils ernannt, ein Zehntel wird noch vererbt, dazu kommen 26 anglikanische Bischöfe. Lords gelten bis ans Ende ihrer Tage als adelig. Ein Drittel sind Ex-Politiker, meist über 70 und im Großraum London wohnhaft. Wie auch das Unterhaus, das House of Commons, tagt es im Westminster Palace.
Da ich den Marsch meiner Gruppe nach Westminster verpasst hatte, war mein Hineinkommen schwierig. Ich musste eine halbe Stunde vor dem Eingang »Cromwell Green« warten. Es war gegen 20 Uhr, warmer Nieselregen, entspannte Polizisten. Mischwesen aus Büromensch und Jogger rannten vorbei.
Dann wurde ich in den Palast geführt. Zunächst durch den ältesten Teil, 1097 der größter Hallenbau Europas; ich Ignorant hätte »Westminster Hall« für eine leeres Lagerhaus gehalten. Mir wurde die Stelle gezeigt, an der 1535 Thomas Morus verurteilt wurde, unter dem letzten in Westminster residierenden König, Heinrich VIII. Der Rest des Weges atmete die Erhabenheit einer gotische Kathedrale, nur dass die Wache haltenden Bobbies aus allen Erdteilen des Empires stammten.
Zuletzt musste ich über den Flur des Unterhauses. Der dortige Empfang wirkte von weitem edel, wie den ringsum hängenden Perückenträgergemälden entsprungen, das täuschte aber dank der Smokingpflicht. Als die Farbe des Flurteppichs von grün auf rot wechselte, hatte ich die Demokratie hinter mir. Ich war im House of Lords. Plötzlich waren da keine Igelhaarschnitte mehr, keine angeklebten Augenbrauen und keine Dekolletés.
Auf meinem Empfang wurden viele Reden gehalten, bald darauf baten uns die Saaldiener auch schon aus dem Speisesaal der Lords hinaus. Im Flur hing ein sechsteiliges Gemälde: »The House of Lords debating the Queen’s Speech, November 1995«. Damals amtierte noch der Lordkanzler auf dem »Woolsack«, einem großen roten Sitzkissen ohne Lehne. Ich betrachtete das Gemälde lange, die formlos herumstehenden oder auf rot gepolsterten Bänken hingefläzten Lords, unter ihnen Margaret Thatcher. Endlich fiel es mir auf: Kein einziger der 350 Lords, die in dieser Debatte porträtiert waren, sprach! Selbst zwei amüsiert Zusammenstehende lachten über einen offenbar vor langem erzählten Witz, der Maler hatte das letzte Verebben der Pointe gebannt.
Mein Hotel lag schräg gegenüber, an der Themse. Es war Mitternacht, ich stand allein in der City of London und wollte noch was trinken. Die Pubs schenkten aber nicht mehr aus, die Minibar blieb mir mangels Hinterlegung meiner Kreditkartendaten an der Rezeption verschlossen, und da das Zimmer nur über matt leuchtende Täfelchen mit rätselhaften Piktogrammen zu bedienen war, verzweifelte ich auch am Einschalten des Lichts im Bad. Ich legte mich also hin.
Ich schaltete noch den Fernseher ein. Der Parlamentskanal zeigte die Brexit-Debatte jenes Tages im House of Lords. Ein Labour-Veteran sprach lange über die Bedeutung des Karfreitagsabkommens von 1998 für den Frieden in Nordirland. Als ich nachts aufwachte, lief die Debatte immer noch. Die eingeblendeten Namen waren ganz und gar fantastisch. Eine frühere Labour-Ministerin, die mahnend über Nordirland sprach, hatte sich etwa in »The Baroness Armstrong of Hill Top« verwandelt. Die anderen Lords standen und saßen herum. Genau wie auf dem Gemälde, schweigend. Ich schlief wieder ein.
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