Werbung

Völker, hört Kiels Signale!

Die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt erinnerte an den Matrosenaufstand vor 100 Jahren

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Kieler Matrosenaufstand vor 100 Jahren wird in der Landeshauptstadt mit einem Gedenkmarathon gewürdigt. In den Vorjahren war das anders. Der Blick auf die damaligen Ereignisse und deren Wertschätzung haben sich geändert. Am Samstag gab es einen Festakt der Stadt Kiel im Gewerkschaftshaus und damit an einem geschichtsträchtigen Ort, wo Anfang November 1918 Kiels erste Zusammenkünfte bis zur Gründung eines ersten Arbeiter- und Soldatenrates stattfanden. Ferner zogen am Samstag zwei große Demonstrationen sowie historisch verkleidete Schauspieler durch die Stadt.

Der Matrosenaufstand, der streng genommen in Wilhelmshaven durch meuternde Marine-Mannschaftsgrade seinen Anfang nahm, trug letztlich dazu bei, dass Kaiser Wilhelm II Ende November 1918 abdanken musste. Die Monarchie wurde abgeschafft und mit der Weimarer Republik eine parlamentarische Demokratie eingeführt. Die Einordnung der damaligen Geschehnisse in Kiel war zentrales Thema beim Festakt. Wenn man ein Brennglas draufhalte, seien sie fortwährend mehr als nur eine Fußnote der Weltgeschichte, meinte Festredner Jörn Leonhard vom Historischen Seminar der Universität Freiburg.

Kiels ranghöchster Militär, Flottenadmiral Christian Bock als Kommandeur der Einsatzflottille I, sagte, dass die Ereignisse von 1918 zu einem Lehrbeispiel für die Väter der Inneren Führung bei der Bundeswehr wurden, »um genau solche Situationen nicht zu wiederholen«. Der Festakt wurde bei Bocks Rede kurz von einigen Aktivisten unterbrochen, die »NATO raus« riefen und ein Banner mit der Aufschrift »Krieg dem Terror - NATO zerschlagen« ausrollten.

Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) appellierte, die seinerzeit hart errungene Demokratie und den damit verbundenen gesellschaftlichen Fortschritt nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen, sondern jeden Tag aufs Neue zu verteidigen. Damit möge er doch im nächsten Jahr anfangen, lautete die Forderung des Kieler Arbeitskreises Novemberrevolution, der rund 1000 Demonstranten auf die Straße brachte. In einer Resolution an alle Ratsfraktionen wurde dazu aufgerufen, mit der Tradition zu brechen, zur im nächsten Jahr ihr 125-jähriges Bestehen feiernden Kieler Woche Kriegsschiffe einzuladen. Mehrere Redner erinnerten zugleich an die vielen Rüstungsbetriebe in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt und forderten eine sofortige Umstellung der Produktion hin zum Sektor erneuerbare Energien.

Die Demonstration des AK Novemberrevolution sollte eigentlich Abbild des Demozuges vom 3. November 1918 sein, als viele Tausende zum Gewerkschaftshaus marschierten. Die Originalroute konnte aber wegen vieler Baustellen nicht exakt abgelaufen werden. Eine Performance mit vom Rathausbalkon verkündeten Forderungen der damaligen Revolutionäre und von dort hinuntergeworfenen Flugblättern des Arbeiter- und Soldatenrates war ein Höhepunkt. Rot war das prägende Bild der Samstagsdemonstration. Die meisten Fahnen trugen das Logo von SDAJ und DKP, die am Sonntag zu ihrer Bundesmitgliederversammlung an die Kieler Förde eingeladen hatten. Spontan wurde dem Reiterdenkmal von Kaiser Wilhelm I im Kieler Schlossgarten unter großem Beifall ebenfalls eine rote Fahne verpasst. Zudem sangen die Teilnehmer traditionelle Lieder der Arbeiterbewegung wie die Internationale. Ein paar Stunden später nahmen an einer Demonstration aus den Reihen der Autonomen am Abend mehr als 500 Menschen teil.

Noch heute prägen Namen wie die Tirpitzmole, benannt nach dem Großadmiral Alfred von Tirpitz (1849-1930), oder der Scheerhafen, herrührend vom Marineoffizier Werner Scheer (1893-1976), das Kieler Stadtbild und sind Abbild einer unsäglichen militaristischen Traditionspflege. Einen Gegenpunkt setzt dazu seit 1982 die Skulptur »Feuer aus den Kesseln!« des Hannoveraner Bildhauers Hans-Jürgen Breuste - ein Mahnmal zum Matrosenaufstand. Die Errichtung im Kieler Ratsdienergarten war ein Politikum. Sie erfolgte gegen massiven Widerstand der CDU.

Doch die Zeiten ändern sich. Im Mai erklärte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zur Eröffnung von zwei Ausstellungen zum Matrosenaufstand im Kieler Schloss: »1918 (hat) uns gelehrt: Demokratie, Frieden und Grundrechte brauchen mutige Männer und Frauen, die sich um diese Werte sorgen und die für sie kämpfen.« Ein Antrag von SPD und dem Südschleswigschen Wählerverband für die Landtagssitzung am Mittwoch, die Ausstellung zum Matrosenaufstand im Kieler Schifffahrtsmuseum sowie die Wanderausstellung »Aufbruch 1918« über das Jahr 2018 hinaus dauerhaft zugänglich zu machen, müsste also auch von der Jamaika-Koalition unterstützt werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.