Unter Dauerüberwachung

Seit 25 Jahren ist die PKK in Deutschland verboten. Darunter leidet die gesamte kurdische Minderheit

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 8 Min.

Eine gewöhnliche Woche in Deutschland: Dienstag, 13. November 2018: Ein Gericht verurteilt den Aktivisten und Journalisten Anselm Schindler zu einer Strafe von 4400 Euro. Er hatte im Februar auf einer Demo die Flagge der syrisch-kurdischen Frauenmiliz YPJ getragen.

Mittwoch, 14. November: Ein Gericht verurteilt den kurdischen Flüchtling Ahmet Çakmak zu einer Strafe von 1000 Euro. Er hatte sich auf einer Demo gegen den türkischen Angriff auf Afrin ausgesprochen und das kurdische Lied Çerxa Şoreşê gesungen.

Donnerstag, 15. November: Der Regisseur und Schauspieler Ludo Vici steht vor Gericht, weil er auf Facebook einen Beitrag teilte, in dem ein Symbol der syrisch-kurdischen Miliz YPG zu sehen war. In seinem Fall entscheidet das Gericht für Freispruch. Unklar ist, ob die Staatsanwaltschaft noch in Berufung geht. Der Kontext all dieser Prozesse: Das seit 1993 bestehende Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK. Ein Verbot, das eine gesamte Minderheit kriminalisiert, Grundrechte gefährdet und politisch statt strafrechtlich begründet ist.

Wie die Repression begann

Die Repression gegen die PKK beginnt einige Jahre vor dem Verbot. In Düsseldorf kommt es 1989 zum ersten Massenprozess gegen rund 20 mutmaßliche Führungsfiguren. Man will die PKK als terroristische Vereinigung brandmarken, was aber noch misslingt. 1993 spitzen sich die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Südosten der Türkei zu, in Deutschland verüben Kurden Anschläge auf türkische Einrichtungen. Die Gewalt, die sich mitunter auch gegen vermeintliche Abtrünnige richtet, wird in der deutschen Linken stark diskutiert. Innenminister Manfred Kanther beschließt im November ein »Betätigungsverbot« für die PKK. Neben der inneren Sicherheit verweist man auf die Beziehungen zu Ankara: »Die gewalttätigen Aktionen ... stören erheblich das Verhältnis zum türkischen Staat«, heißt es. Und: »Die politische Agitation der PKK hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht.« Auf die Unterdrückung der Kurden in der Türkei geht der Bescheid nicht ein.

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, ist von einer politischen Motivation auch heute noch überzeugt. »Die Hintergründe sind in der rund 150-jährigen wirtschaftlich und geopolitisch begründeten Waffenbrüderschaft beider Länder zu suchen.«

Das Verbot will nicht nur die Führungskader, sondern vor allem die Masse der Sympathisanten und Unterstützer treffen. Hysterie ist die Folge: Demos, Fußballspiele und Hochzeiten werden verboten, Kulturvereine und Wohnungen durchsucht. Medien hetzen - auch im Kontext der Asylrechtsverschärfungen - gegen »Terror-Kurden«. 1994 erschießt in Hannover ein Zivilpolizist den 16-jährigen Halim Dener beim Kleben von Plakaten. Im selben Jahr wird eine 1. Mai-Demo des DGB verboten. Die Begründung: Es könnten Kurden mit ihren Fahnen kommen. Die Situation entspannt sich 1996 leicht, als PKK-Mitbegründer Abdullah Öcalan zum Gewaltverzicht aufruft. 2010 beschließt der Bundesgerichtshof dennoch, die PKK als »ausländische terroristische Vereinigung« einzustufen. Damit können fortan Aktivisten, die legale Tätigkeiten ausüben, für Kampfhandlungen der Guerilla im Ausland verantwortlich gemacht werden. Deutsche Gerichte urteilen damit auch über die Rechtmäßigkeit des Handelns der Konfliktparteien in einem weit entfernten Gebiet.

2014 öffnet sich mit dem Kampf der Kurden in Nordsyrien und Nordirak gegen den IS und den gleichzeitig stattfindenden Friedensverhandlungen zwischen PKK und Ankara ein kurzes Fenster für einen Wandel. SPD-Politiker Rolf Mützenich spricht von einer »Chance zur Neueinordnung der PKK«, CDU-Politiker Volker Kauder bringt gar Waffenlieferungen ins Spiel. Die Türkei bricht jedoch aus Angst um Machtverlust die Friedensverhandlungen ab und auch Berlin bleibt auf seiner Linie.

Im März 2017 und im Januar 2018 weitet das Innenministerium mit Rundschreiben sogar das PKK-Verbot aus: Symbole der in Deutschland legalen kurdisch-syrischen Partei PYD wie auch der YPG/YPJ-Milizen können nun als verboten eingestuft werden, »wenn sie von der PKK für ihre Zwecke benutzt werden«. In der Praxis bleibt den jeweiligen Behörden überlassen, ob ein solcher Bezug besteht. »Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet, was genauso beabsichtigt ist«, sagt Monika Morres von Azadi, dem Rechtshilfefonds für Kurden in Deutschland. Ihr Resümee: »In den 25 Jahren gab es mal mehr, mal weniger Repressionsdruck, aber nie eine repressionslose Zeit.«

Dem Bundesinnenministerium zufolge soll die Repression auch fortbestehen. »Die PKK ist nach wie vor eine Vereinigung, die ihre Ziele durch die Begehung von schweren Gewalttaten einschließlich der Tötung von Menschen zu erreichen sucht«, sagt ein Ministeriumssprecher dem »nd«. Es bestehe derzeit »kein Anlass, dieses Verbot aufzuheben«. Die jüngsten Erfahrungen würden viel mehr zeigen, dass die Länder das Verbot »extensiv durchsetzen« und so »die Propagandaaktivitäten der PKK in Deutschland erfolgreich verhindern«. Der Vorwurf, dass die Verfolgung außenpolitisch bestimmt sei, weißt er zurück. »Das Verbot wurde zum Schutz der Inneren Sicherheit erlassen. Alle hierauf bezogenen Maßnahmen folgen ausschließlich dieser Maxime.«

Verbotene Bücher und Feste

Zumindest in einem Punkt hat der Ministeriumssprecher recht: Die Repression gegen die PKK ist umfassend. Azadi hat zwischen 2010 und Juli 2018 insgesamt 29 Verfahren gegen vermeintliche oder tatsächliche Funktionäre wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« registriert. Derzeit seien zehn Personen in Straf- beziehungsweise Untersuchungshaft. Azadi verfüge über 180 Dossiers von Fällen, die man seit der Gründung 1996 betreut habe. Präsenter sind in der Öffentlichkeit die Strafverfahren, bei denen es sich um Verstöße gegen das Vereinsgesetz handelt, also das Zeigen verbotener Symbole oder das Rufen verbotener Parolen. Die Rote Hilfe kann das Ausmaß nur schätzen: »Eine genaue Zahl ist kaum zu ermitteln, weil es sicherlich viele Tausend Menschen betrifft«, sagt Heiko Lange vom Bundesvorstand dem »nd«. Für die Rote Hilfe steht ebenfalls eine politische Motivation außer Frage: »Die Kriminalisierungswellen folgen der politischen Konjunktur. Immer dann, wenn es um Verhandlungen mit der Türkei geht, oder das Regime in Ankara behauptet, die BRD würde nicht entschlossen gegen ›Terroristen‹ vorgehen, kommt es zu Verhaftungen, Beschlagnahmungen und Durchsuchungen.«

Die Folgen der Repression sind vielschichtig. Im März fanden Durchsuchungen im Mezopotamien-Verlag statt, nicht nur Bücher von Abdullah Öcalan oder Orhan Pamuk wurden beschlagnahmt, auch kurdische Kinderbücher oder Werke von Autoren wie Tolstoi oder Dostojewski. Versammlungsbehörden versuchten im März, in Köln und Hannover bundesweite Feierlichkeiten zum kurdischen Newrozfest zu untersagen, da diese reine »PKK-Propagandaveranstaltungen« seien. Gerichte stellten die Unrechtmäßigkeit fest, kurdische Organisationen zeigen sich jedoch besorgt. »Wir erleben aktuell dramatische Einschränkungen in Hinblick auf den Schutz von Grundrechten. Demonstrationen werden verboten oder mit solchen Auflagen überzogen, dass die Inhalte kaum vermittelt werden können«, sagt Ali Cicek vom kurdischen Öffentlichkeitszentrum Civaka Azad. In der kurdischen Öffentlichkeit entstehe der Eindruck, »die Bundesregierung agiere als Vollstrecker der AKP«. Auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie warnt: »Die kurdische Gemeinschaft befindet sich unter übergreifender Dauerüberwachung.« Solidarische deutsche Linke sollten gleichzeitig »eingeschüchtert« und von der kurdischen Bewegung »abgespalten« werden. Die Abgeordnete Jelpke weist darauf hin, dass die Repression gegen die PKK generell als »Schrittmacherin für eine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen, den Abbau von Flüchtlingsrechten und für Angriffe auf Grundrechte« benutzt werde.

Belgien macht’s anders

Unter der Kriminalisierung leidet als Folge die gesamte kurdische Minderheit. Nur ein Teil, wenn auch ein relevanter, steht dabei der PKK nahe. Die Gleichsetzung »Kurde = PKK = Terrorist« hat rassistische Folgen: Die Mordkommission ermittelte auch bei dem NSU-Opfer Habil Kiliç nicht in Richtung Rechtsterrorismus, obwohl es Indizien dafür gegeben hätte, sondern nach einem Drogen- und PKK-Bezug. Offenbar hatte es aus dem Umfeld von Kiliç falsche Denunziationen in diese Richtungen gegeben - bei den Ermittlern passte es ins Weltbild. »Das PKK-Verbot führt zu einer generellen politischen Diskriminierung von Kurden, womit es sich auch als Integrationshemmnis auswirkt«, sagt Jelpke. Neben Geld- und Haftstrafen drohen bei PKK-Unterstützung die Verweigerung der Einbürgerung oder die Aberkennung des Asylstatus.

Bespiele aus dem Ausland zeigen, dass andere Einschätzungen möglich sind. In Belgien hatte 2017 ein Gericht geurteilt, dass die PKK nicht terroristisch sei, sondern im Sinne des Völkerrechts legitimen Widerstand gegen koloniale Unterdrückung leiste. Die Verfolgung von kurdischen Aktivisten in anderen europäischen Staaten fußt meist auf der EU-Terrorliste - diese wurde am Donnerstag infrage gestellt. Ein EU-Gericht urteilte, dass die PKK zwischen 2014 und 2017 zu Unrecht auf der Liste geführt worden ist. Die Mitgliedstaaten hätten ihre Auflistung nicht hinreichend begründet. Für 2018 steht die PKK jedoch bereits auf dem halbjährlich aktualisierten Papier, der Beschluss gilt nur rückwirkend. Es ist daher ungewiss, ob das Urteil konkrete Auswirkungen haben wird. Der Vorgang zeigt nichtsdestotrotz die Unbestimmtheit der »Terror«-Definition auf.

Viele kämpfen dafür, dass auch in Deutschland nach 25 Jahren ein Einlenken beginnt. Abgesehen davon, dass selbst laut Verfassungsschutz die PKK trotz des Verbots die »schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation« ist: Nicht nur für die Situation hierzulande wäre ein Ende der Repression wünschenswert. »Wie soll ein Friedensprozess in Gang gebracht werden, wenn eine Seite selbst im politischen Exil weiterverfolgt wird?«, fragt Jelpke. Für Heiko Lange von der Roten Hilfe ist stärkerer öffentlicher Druck auf Behörden nötig: »Es wichtig, dass noch mehr linke Organisationen, Friedensinitiativen, Bürgerrechtsgruppen und andere sich gegen dieses Verbot positionieren, das einen großen Teil der kurdischen Bevölkerung kriminalisiert, viele linke Gruppen betrifft und einer politischen Lösung im Wege steht.« Ali Cicek von Civaka Azad zeigt sich vorsichtig optimistisch: »Das PKK-Verbot ist ein Fass ohne Boden, doch seine gesellschaftliche Akzeptanz bröckelt.«

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