Überwinden ohne abzuschaffen

Eigentlich hatte die SPD angekündigt, Hartz IV hinter sich zu lassen. Doch neuere Forderungen sprechen für marginale Kurskorrekturen

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich sollten Linke aufhorchen, wenn sie plötzlich aus dem konservativen Lager uneingeschränkten Applaus erhalten. So geschah es im Fall von Hartz IV der rot-grünen Bundesregierung. Die CDU findet das Sanktionsregime so gut, dass sie bis heute nichts daran ändern will. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Theurer regte kürzlich sogar ein Denkmal für den Hartz-IV-Kanzler Gerhard Schröder an.

Doch die Sozialdemokrat*innen tun sich schwer mit dem Geist, den sie einst riefen. Abschied von Hartz IV, ja oder nein? Gerade Parteilinke und Gewerkschafter*innen in der SPD machen die Hartz-Reformen für den Abstieg der Sozialdemokratie verantwortlich. Nun, bei 15 Prozent in Umfragen angelangt, hofft die Parteispitze auf das Thema. Nachdem die Partei sich unter anderem schon die kleinen Leute, die »hart arbeiten und nach den Regeln spielen« (Sigmar Gabriel, 2015), Digitalisierung (Klingbeil 2017), und die »Rückkehr zur Sacharbeit« (Groko, Dauerzustand) erfolglos vorgenommen hat, bleibt auch nicht mehr viel, als es doch einmal anzugehen. Parteichefin Andrea Nahles kündigte dementsprechend auf dem SPD-Debattencamp die große »Sozialstaatsreform 2025« an. Sie sagte: »Wir werden Hartz IV hinter uns lassen.« Ihre Idee hat den Namen »Bürgergeld«. Jener Begriff war einst ausgerechnet von der FDP geprägt worden.

Schon länger im Fokus der Kritik stehen bei Hartz IV die Sanktionen. Bei mehrfachen Versäumnissen können derzeit alle Geldleistungen inklusive der Wohnkosten vom Amt gestrichen werden. Zwar kündigte Parteichefin Nahles auf dem SPD-Debattencamp an: »Das Existenzminimum darf nie in Frage gestellt werden.« Doch schon wenige Tage präzisierte Nahles, dass damit keineswegs eine Abschaffung aller Sanktionen gemeint ist. Gegenüber dem »Spiegel« sagte Nahles, dass diese Strafen nur alternativ gestaltet werden sollten, nicht aber, dass sie ganz entfallen. Auch ihr Genosse Arbeitsminister Hubertus Heil ließ am Wochenende gegenüber dem »Tagesspiegel« durchblicken, er sei dagegen, jede Mitwirkungspflicht und alle Sanktionen abzuschaffen. »Wenn jemand zum zehnten Mal nicht zu einem Termin beim Amt erscheint, sollte das Konsequenzen haben.«

Auch das Thema der zu niedrigen Hartz-IV-Sätze wird von der Parteiführung eher ausgeklammert. Dabei waren erst in dieser Woche Zahlen des Europäischen Statistikamtes Eurostat bekannt geworden, wonach die Armutsgefährdungsquote unter Arbeitslosen in keinem anderen EU-Land so hoch ist wie in Deutschland. Hierzulande hat sich der Anteil der von Armut gefährdeten Erwerbslosen von 37 Prozent im Jahr 2000 auf 70,5 in 2017 verdoppelt. Nahles setzt stattdessen auf höhere Zuverdienstgrenzen und Vermeidung von Arbeitslosigkeit.

Hartz IV hinter sich lassen will die SPD damit wohl zu allererst nur verbal. Doch wer genau der Rede von Nahles auf dem Debattencamp zugehört hat, ist wenig überrascht darüber. Dort sagte sie, dass das »Leistungsprinzip« ein entscheidender Maßstab ihrer Sozialstaatsreform sein soll. Ein Maßstab, der einer liberalen Weltsicht entspringt. Das Bedarfsprinzip, das die Sozialdemokraten einst leitete, scheint in den Hintergrund gerückt.

Die Grünen scheinen es inzwischen konzeptionell ernster mit dem Thema zu meinen: Ihr Parteichef Robert Habeck fordert eine »Garantiesicherung«. Diese soll eine gänzliche Abschaffung der Sanktionen und höhere, wenn auch in der exakten Höhe nicht angeführte Beiträge beinhalten. Auch soll der Zwang, Arbeit suchen zu müssen, entfallen. »Wir brauchen Stabilität und Vertrauen und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Insofern sind alle Überlegungen davon geleitet, keinen Druck, keinen Zwang, keine Würdelosigkeit zu schaffen, sondern Anreize zu schaffen«, sagte Habeck im ARD-Morgenmagazin.

Für die LINKE ist die Abschaffung von Hartz-IV essenziell. Die WASG als einer ihrer Vorläufer hatte sich aus Protest gegen die »Reformen« gegründet. Die LINKE fordert »sanktionsfreie Mindestsicherung« in Höhe von 1050 Euro. Fraktionschef Dietmar Bartsch hatte SPD und Grüne kürzlich aufgefordert, an einem Strang zu ziehen. Er sehe zwischen den Vorschlägen von Nahles und Habeck und dem Modell seiner Partei »weit mehr Verbindendes als Trennendes«. Mit den jüngsten Äußerungen aus der SPD dürfte eine Übereinkunft jedoch wieder schwieriger geworden sein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.