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Heimat, ganz ungeschönt

Harry Schmidt nimmt sich der dörflichen Vergangenheit an

  • Jan Eik
  • Lesedauer: 3 Min.

An Büchern über das Leben auf dem Dorf, in denen die scheinbare Idylle sich als trügerisch erweist, mangelt es nicht. Juli Zehs »Unterleuten« oder Regina Scheers »Machandel« sind literarisch anspruchsvolle Beispiele dafür. Der aus der Gegend von Ribnitz-Damgarten stammende Mathematiker Harry Schmidt (69) legt nun mit »Eulenort. Aus dem unglaublichen Leben des Rudi Kleineich oder Glückssuche in einer harten Zeit« einen handfesten Roman vor, der in seiner vorpommerschen Heimat spielt.

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Harry Schmidt: Eulenort.
Edition digital, 308 S., br., 15,80 €.

Die edition digital verlegt eine reiche Auswahl an E-Books; Eulenort ist auch als gebundene Ausgabe erschienen. Der ausufernde Untertitel und Ungeschicklichkeiten in Typografie und Text - z. B. sind Plattdütsch und gängige Fremdwörter in Klammern übersetzt - sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Autor gelungen ist, ein ungeschöntes Bild vom dörflichen Leben der kleinen Leute zwischen 1919 und 1953 zu entwerfen. Mit schnörkellosen Sätzen und Dialogen vermag er seinen Protagonisten sehr nahe zu kommen, ihre Lebens- und die Zeitumstände atmosphärisch dicht abzubilden.

Schmidt hat nichts ausgelassen, nicht die großen politischen Ereignisse, die ihre Schatten bis in das unbedeutende Dorf werfen, nicht Neid und Missgunst der Dorfbewohner, kein Vorurteil und keine der Boshaftigkeiten, Intrigen und Auseinandersetzungen und nicht die existenzielle Not der Flüchtlinge, die kein Einheimischer als Umsiedler anerkennen will.

Die Haupthandlung um den an der Bluterkrankheit leidenden und deshalb nicht wehrfähigen Imker Rudi beginnt im Frühjahr 1945, als sich der winzige Eulenort Lindenhof auf den Einmarsch der Roten Armee einzustellen versucht. Vom Nachbarn und Schulfreund Albert weiß Rudi, was deutsche Soldaten im Osten angerichtet haben; einige seiner bösen Erwartungen gehen prompt in Erfüllung. Nach den schlimmen ersten Wochen jedoch belohnt die Besatzungsmacht den zögernden Opportunismus der Dorfbewohner. Rudis ungeliebter Vater, der rote Emil, nicht etwa seiner Haarfarbe wegen so genannt, war im Ersten Weltkrieg Sturmpanzerfahrer. Als Lokomobilmaschinist und zum Leutevogt aufgestiegener Privatchauffeur der Gräfin hat er sein Leben lang um einen eigenen Hof gekämpft. HOLTERDIEPOLTER wird der frisch konvertierte NEMETZKI BOLSCHEWIK zum Komiteevorsitzenden für die Bodenreform ernannt - und weiß sofort seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Der Spitzbart will betrogen sein, lautet noch 1953 seine Devise. Für den schwer kranken Sohn, der - im Gegensatz zu den Eltern - so etwas wie ein Familienglück gefunden hat, zeichnet sich immerhin eine Spur von Hoffnung ab.

»Ich könnte einen Roman schreiben« - das behaupten viele. Schmidt hat einen geschrieben: einen lesenswerten.

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