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So elend und so schön

Daniel Wisser balanciert mit der Tragödie, als wäre sie ein bunter Ball

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Tod kommt als Feind zu uns - da bemühe einer noch so sehr das blöde Argument vom Kreislauf der Natur. Herr Turin aber - Betonung auf der ersten Silbe - will den Tod. Er ist fünfundvierzig, lebt nicht freiwillig im Rollstuhl, aber freiwillig im Heim, er liebt Whisky und Weiber und Wein. Greint und grollt und grabscht. Und er will sterben. Will in die Schweiz. All seinen Witz und tatkräftigen Zynismus klaubt er zusammen, ballt ihn zu einem herrlich farbigen Klumpen Aggressivität, den er allen entgegenschleudert, als stünde er im Vermächtnisdienst eines Thomas Bernhard. Alles ist so österreichisch finster und böse - und darin doch so bezaubernd, so licht. Das Leben ist elend, das Sterben schön, das Sterben ist elend, das Leben schön. »Geknetet, innig wie ein Teig, zusammen«, wie es bei Kleist heißt. Turins Galle läuft über, als wäre sie ein liebend Herz. Sein Schmerz ist ein Lustspiel.

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Daniel Wisser: Königin der Berge. Roman
Verlag Jung und Jung, 400 S., geb., 24 €.

Autor Daniel Wisser ist Österreicher, Schriftsteller und Musiker, er hat mit diesem Buch einen bewundernswert unbekümmerten und doch tiefen Roman geschrieben. Er packt unsere Zeit an einem neuralgischen Punkt: Gibt es nicht überall einen auffälligen Zuwachs an Endlichkeitsbefunden? Als dränge es den allwaltenden Geist, nach langen Perioden des ungebremsten utopischen Denkens nun zu einer mäßigenden Balance zurückzukehren. Bezogen auf den einzelnen Menschen kann es diese Balance nie geben. Wir wissen um unser Verwittern und Verschwinden, und doch beschwört jede Liebe zum Leben dessen Verlängerung; jede Erfüllung will Ewigkeit. Deshalb wirkt dieser Roman, der den Tod herbeisehnt und sich dabei doch an lauter Lebenseruptionen verschwendet, so aufheiternd provokant. »Ich lebe im Schmerz, ein künftiger Toter zu sein, und es ist mein Antrieb«, schrieb Camus.

Am Scheidepunkt zum Dunklen, Ewigen hin wird sichtbar, wie die eigene Seele lebte, wovon sie sich ernährte. Plötzlich kommt zum Vorschein, was im Leben gute Absicht oder nur falsche Rücksicht gewesen ist; es wird offenbar, wo ich erpressbar wurde für rein äußerliche, mir fremde Anforderungen; es kommt zum Vorschein, bis wann Lebenskraft Charakter genannt werden durfte, ab wann nur: müde gewordenes Temperament. Was ist die Behauptung eines selbstbestimmten Lebens wert, wenn sie Selbstbetrug und Selbstdeformation verdrängt? Irgendwann wird also offenbar, wie viele Tode man in der menschlichen Reifung schon gestorben ist. Der Tod tritt früh in unser Leben. Sobald wir Beziehungen eingehen. Um Beziehungen zu stören, hat der Tod viele Namen: Gewöhnung, Anpassung, Selbstgewissheit, Perfektion, Gier, Geltung, Macht. Bei Turin tritt der Tod auch als Impotenz und Harnkatheter auf.

Auferstehung vorm Sterben? Die Dinge sich setzen lassen, das ist Auferstehung. Loslassen ist: die Anstrengungen sterben lassen - im Dienst des (verbleibenden) Lebens. Defekt werden für Überforderungstechniken. Das Zeitliche segnen heißt: Meine begrenzte Zeit kehrt in einem ewigen »Nur jetzt« zu sich selber heim. Und erst die Vorausahnung des Endgültigen - Turin hat multiple Sklerose - bindet Sinn und Sinne an die Sehnsucht nach Beständigkeit. Gesundheit, Krankheit, Gewinn, Nutzen, Risiko, ja Liebe und Hass - alle Wertzuweisungen ergeben sich als Reaktion auf zeitliche Grenzen.

Das wird im Roman zügig, ohne Pomp erzählt, dann wieder zu Dialogen verdichtet, und Wisser schaut sich gleichsam selber beim Schreiben zu; der Text hat Streichungen, die sind kenntlich gemacht; Gröbliches oder Intimes ist hier und da geschwärzt. Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft purzeln ineinander. Also: Spiel und durchweg antipathetische Konstruktionen.

Turins lang schon toter Kater Dukakis ist ein herrlicher Einflüsterer für den Patienten: »Du solltest jetzt endlich mutig genug sein und nach einer Brust greifen.« Wohltuende Me-too-Persiflage - überhaupt die gesamte Bosheit und Mannestollheit dieses Unglücklichen in seinem rollenden Kerker: Es ist auch treffsicherer Spott wider all diese aktivistische mausgraue Militanz im Namen von Emanzipation und Gleichstellung. Und jenes Tier, das mit dem Menschen spricht: Es ist das Alternativ-Wesen - es lebt, ohne an den Tod denken zu müssen. Wird nicht gequält von einem ruhelosen Bewusstsein. Erst im Tier kommt die Natur zur Ruhe: kein Wahn, kein Hirn mit gefährlich freier, weil überflüssiger Kapazität.

Ein Buch, das frappierend leicht mit der Tragödie balanciert, als wäre sie ein bunter Ball. Die Kraft des Todes, uns Tränen zu entlocken, trifft sich mit dem Angebot des Lebens, sie zu trocknen.

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