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Fasziniert vom »Evatum«

Christine von Brühl schreibt ein Buch über Theodor Fontanes Frauen

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Vater, euphorisch wie selten, feierte ihre Geburt 1860 stolz in einem Brief. Sie hätten, schrieb der Vierzigjährige, nun auch ein Mädchen, »ein freundliches, liebes, kleines Dingelchen, das uns viel Freude macht«. Nach zwei Jungen nun Martha, ein Kind, das den Eltern keine Probleme bereitete und schnell Theodor Fontanes Liebling wurde, fröhlich, aufgeweckt, intelligent und wild.

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Christine von Brühl: Gerade dadurch sind sie mir lieb. Theodor Fontanes Frauen
Aufbau Verlag, 320 S., geb., 22 €.

Aber das sollte nicht lange so bleiben. Denn aus Mete, dem Sonnenschein, dem Mädchen mit nicht alltäglichen Begabungen, der Achtzehnjährigen, die den Vater mit vergnügten Briefen entzückte, wurde das Sorgenkind. Sie absolvierte noch das Königliche Lehrerinnen-Seminar, arbeitete kurze Zeit als Hauslehrerin, wechselte im Herbst 1884 an eine Berliner Mädchenschule, wurde dann aber krank.

War es die Milz, waren es die Nerven? Niemand wusste es. Die Ärzte ratlos. Sie klagte über Schlaflosigkeit und Migräne, dazu Angstzustände, heftige nächtliche Attacken. Die Belastung für die Familie gravierend. Einmal hätte sie sich beinahe verlobt, doch der auserkorene Bräutigam fiel durchs juristische Examen und zog sich zurück. Der liebende Vater hielt die Sache für »nachgerade affig« und meinte tröstend, sich mit »solchem ledernen Correktheitsphilister« durchs Leben zu schleppen, sei auch kein Vergnügen.

Es ist eine der ergreifendsten und dramatischsten Geschichten, die Christine von Brühl in ihrem Buch über Fontanes Frauen erzählt. Martha war, bis ihr Regine Dieterle 2006 eine große Biografie widmete, eine eher schwach beleuchtete Person in Fontanes Leben. Jetzt steht sie, mit klaren Strichen gezeichnet, neben ihrer Mutter, von der wir ja auch ein stimmiges Bild erst haben, seit Gotthard Erler den Ehe-Briefwechsel in drei Bänden edierte (der soeben in einer schönen einbändigen Auswahl bei Aufbau neu herauskam).

In Christine von Brühls eindrucksvoller Porträtgalerie sind natürlich beide vertreten: Tochter Martha und Mutter Emilie, die Ehefrau Fontanes, lange verkannt, lange für die zuweilen mürrische Hausfrau gehalten, die vom Talent ihres Mannes wenig überzeugt war; in Wahrheit eine liebevolle, couragierte Gefährtin, die über alle Unwägbarkeiten und Krisen hinweg fest zu ihrem Mann stand.

Zu den anderen Frauen aus dem Umfeld Fontanes, die im ersten Teil des Buches vorgestellt werden, gehören neben der Diakonissin Emmy Danckwerts, deren Pharmazielehrer Fontane war, die Nachbarin und hilfsbereite Freundin Henriette von Merckel, die den heranwachsenden Kindern verständnisvoll zur Seite stand, und Mathilde von Rohr, die Stiftsdame, die den Autor mit den unerlässlichen Informationen über den märkischen Adel versorgte und im »Stechlin« eines der Vorbilder der Domina Adelheid wurde, liebenswürdig bei aller Herbheit und ausgesprochen praktisch veranlagt.

Sie alle, Familienmitglieder oder Freundinnen, tauchen, mal nur schwach erkennbar, mal mit charakteristischen Zügen, irgendwo in den Romanen auf. Wenn es einen gibt, »der für Frauen schwärmt und sie beinahe doppelt liebt«, schrieb Fontane an Paul Heyse, »so bin ich es«. Er hatte tatsächlich schon in seinen frühen Jahren ein besonderes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht, und bis zuletzt hat ihn das »Evatum«, wie er es nannte, fasziniert.

Auffällig dabei, dass es, ob Stine, Jenny Treibel oder Effi Briest, die markanten Frauengestalten sind, die seine Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen transportieren. Christine von Brühl, die ihnen schöne, konzentrierte Studien widmet, macht dies im zweiten Teil ihres Buches immer wieder deutlich.

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