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Nicht die geringste Spur von Mitgefühl, sie lachten und scherzten
Das Tagebuch des Zygmunt Klukowski aus der Zeit der deutschen Okkupation in Polen klagt Nazis und polnische Mittäter an
»Der heutige Tag war sehr schwer für die Juden. Einige Monate lang hatten sie vergleichsweise Ruhe … Sie begannen schon, sich in einer für sie typischen Weise in Sicherheit zu fühlen, was man an ihrem Verhalten auf der Straße sehen konnte. Aber in den letzten Tagen kam plötzlich die Nachricht, dass 500 Juden aus Szczebrzeszyn in ein Arbeitslager gebracht werden sollen. Es entstand unter ihnen unheimliche Panik und Betriebsamkeit …« Dies notierte der 1885 geborene Arzt Zygmunt Klukowski, der das Krankenhaus von Szczebrzeszyn in der Region von Lublin leitete, am 17. Juli 1940 in seinem Tagebuch. Das bereits 1958 in Polen verlegte Buch liegt nunmehr auch auf Deutsch vor. Detailliert beschreibt Klukowski Leben und Leid der polnischen Juden unter deutscher Knute. Sie wurden beraubt, gequält, ermordet.
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Zygmunt Klukowski: Tagebuch aus der Zeit der Okkupation 1939 – 1944.
Hg. v. Christine Glauning und Ewelina Wanke. Metropol-Verlag, 583 S., geb., 29,90 €.
Der Tagebuchschreiber schildert die Qualen des »Judenrates«, von den Okkupanten bestimmt, selbst die Opfer auszuwählen. Es gelang jenem nach energischen Bemühungen erreichten sie endlich, die Zahl der auszuliefernden Juden auf 130 zu reduzieren. Mehrere junge Männer flüchteten jedoch, worauf aus Zamošé die Gestapo anrückte und 20 berittene Soldaten auf die Jagd nach ihnen losschickte. Einige wurden wieder eingefangen und sofort ermordet. »Auch die Mitglieder des ›Judenrates‹ wurden bestraft. Der stellvertretende Vorsitzende wurde mit Knüppeln geschlagen und musste eine Stunde lang flach auf dem Marktplatz liegen.« Weiter beobachtete der aufmerksame Zeitzeuge: »Die gesamte Zwangsrekrutierung wurde von einer großen Menge der polnischen Bevölkerung beobachtet. Auf den Gesichtern war nicht die geringste Spur von Mitgefühl zu erkennen, im Gegenteil, sie lachten und scherzten.«
Klukowski war ein guter Beobachter, der im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute offenbar Mitgefühl mit den jüdischen Mitbürgern hatte. Zwar wurde auch die nichtjüdische polnische Bevölkerung schikaniert und umgebracht, aber die Juden hatten wesentlich mehr Drangsalierungen und Demütigungen erleiden müssen, bis sich die deutschen Antisemiten ihrer endgültig »entledigten«.
Am 8. April 1942 schrieb Klukowski: »Wir wissen bereits jetzt mit völliger Sicherheit, dass nach Belzec täglich ein Zug aus Lublin und einer aus Lemberg kommt, jeder mit über 20 Waggons. Hier lassen sie die Juden aussteigen, treiben sie hinter die Umzäunung aus elektrischem Strom, vergiften sie mit Gas und verbrennen dann die Leichen. Bereits unterwegs sehen die Menschen, vor allem Eisenbahner fürchterliche Szenen, denn die Juden wissen schon gut, warum man sie dorthin bringt.« Während der Fahrt in die Lager erhalten sie nichts zu essen oder zu trinken. »Einwohner von Lublin erzählten mir völlig unvorstellbare Szenen, dass dort kleine jüdische Kinder aus dem Fenster geworfen werden, Kranke an Ort und Stelle und Gesunde außerhalb der Stadt erschossen und Tausende nach Belzec gebracht werden.«
Unglaubliches Grauen vermittelt dieses Tagebuch. Aus Szczebrzeszyn, Klukowskis Heimatstadt, wurden alle Juden nach Belzec gebracht. Diejenigen, denen es zuvor gelungen war, den Mördern zu entkommen und unterzutauchen, wurden später von willfährigen Polen aus ihren Verstecken gezerrt und den NS- Behörden übergeben. Eine Wahrheit, die man im heutigen Polen nicht akzeptieren will.
Das Tagebuch berichtet auch von Widerstandsaktionen und wie es für die deutschen Aggressoren immer enger wurde. Immer öfters wurden Besatzungssoldaten von Partisanen getötet, woraufhin die Okkupanten Racheexzesse an der polnischen Bevölkerung verübten, bis schließlich Ende Juli 1944 mit der Roten Armee die Befreiung nahte.
Klukowski, der selbst von den Nazis zwischenzeitlich verhaftet worden war, kam mit der neuen Staatsmacht in Polen in Konflikt, wurde drei Mal inhaftiert. Er starb 1959. Sein Tagebuch bleibt als erschütterndes Dokument des Holocaust.
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