Digitales Armutszeugnis

Eine Kleine Anfrage zu Gewalt gegen Frauen im Internet zeigt Wissenslücken und Planlosigkeit bei der Regierung

  • Lotte Laloire
  • Lesedauer: 4 Min.

Schnell ein sexy Foto über Whatsapp an den Freund schicken, der weit weg wohnt, oder freizügige Videos für den neuen Lover drehen. Was in der »Generation Smartphone« Alltag ist, wird gerade Frauen immer häufiger zum Verhängnis, etwa wenn der hasserfüllte Ex-Partner später mit der Veröffentlichung der Aufnahmen im Internet droht. Das nennt man »Rache-Porno«. Und obwohl zwischen 10 und 25 Prozent der Frauen schon einmal digitale Gewalt erlebt haben, sind »revenge porn« oder »doxing« für viele immer noch Fremdwörter.

Das zeigt auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu »Digitaler Gewalt gegen Frauen«, eingereicht von einer Gruppe von Parlamentarierinnen rund um die frauenpolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Cornelia Möhring. In der Antwort, die von der Adresse der Staatssekretärin Caren Marks (SPD) versendet wurde, heißt es: Bisher »gibt es keine allgemeingültige Definition für digitale Gewalt«. Zu dem Phänomen gehören neben Mobbing, Beleidigung und Stalking, was auch in der Realwelt möglich ist, ebenso neue Rechtsverletzungen.

»Doxing« bedeutet etwa, dass Täter personenbezogene Daten der Opfer online veröffentlichen. »Cybergrooming« bezeichnet die Kontaktaufnahme mit kleinen Mädchen oder Jungen über soziale Netzwerke, um diese sexuell zu missbrauchen. Und: Feministinnen müssen oft »Shitstorms«, also Hass in Massen, aushalten. Diese Machtmittel stellen laut Möhring »oft die Weiterführung bereits bekannter Formen häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt« dar. Sie dürften mit der Digitalisierung künftig an Brisanz gewinnen.

Die Anfrage hebt auch auf die Istanbul-Konvention ab, der die Bundesregierung im Februar zugestimmt hat. Denn dieses Abkommen des Europarates zum Schutz von Frauen gegen Gewalt schließt den digitalen Raum explizit ein. Artikel 11 der Konvention verlangt etwa, dass die Vertragsstaaten Daten erheben und Forschung zu digitaler Gewalt betreiben. Die Ratifizierung begrüßen die Frauen und weisen im gleichen Atemzug darauf hin, dass die Regierung Teile der Konvention schon jetzt nicht erfülle. »Es kann nicht sein, dass die letzte Studie zu Gewalt an Frauen inzwischen 14 Jahre alt ist«, so Möhring. Sie fordert einen Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen, besserer Finanzierung des Hilfesystems sowie mehr Forschung.

Aus der Antwort geht weiterhin hervor, dass digitale Gewalt in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht immer erfasst wird. Das Thema digitale Gewalt sei bisher nur Teil der polizeilichen Ausbildung in einem Bachelorstudiengang. Im Modulhandbuch des Studiengangs »Kriminalvollzugsdienst im BKA« werde das Thema nicht erwähnt, lediglich »Cybercrime«, aber ohne einen Bezug zu Frauen, kritisiert Möhring. Auch wenn man das Thema in der Regierung ernst nehme, sehe man keinen »Handlungsbedarf zur Schaffung weiterer Straftatbestände in Bezug auf Mobbing«.

Unter »Cybercrime« will die Regierung das Phänomen auch nicht fassen, da es sich bei digitaler Gewalt nicht um Straftaten handele, die sich gegen »das Internet, Datennetze, informationstechnische Systeme« richten, heißt es in der Antwort. Laut der Fragestellerin und netzpolitischen Sprecherin der Linksfraktion Anke Domscheit-Berg widerspricht das der »Cybercrime«-Definition des Bundeskriminalamts, da diese Tatbestände wie »Phishing«, also durch Betrug an Daten anderer zu gelangen, sehr wohl einschließe. Sie erkennt an der Antwort »ein bekanntes Muster: Wenn es um Digitalisierung geht, betont die Bundesregierung gern, wie wichtig das Thema sei, um dann alle anderen vorgehen zu lassen.«

Vorgehen - das macht etwa der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, der die Website »aktiv-gegen-digitale-gewalt.de« ins Leben gerufen hat. Dort finden Betroffene und Unterstützer*innen seit September dieses Jahres Informationen zu Gewaltformen, Techniksicherheit und rechtlichen Möglichkeiten - laut Projektmitarbeiterin Silvia Zenzen »erstmals im deutschsprachigen Raum«. Gefördert wird das Ganze zwar vom Frauenministerium.

»Weniger als 700 000 Euro für einen Projektzeitraum von fünf Jahren ist viel zu wenig, um die Aufgaben des Projekts auch nur im Ansatz zufriedenstellend zu erfüllen«, meinen die Fragestellerinnen. Domscheit-Berg resümiert deshalb: »Es ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, dass sie auch elf Jahre nach Einführung der ersten Smartphones so wenig darüber weiß, wie sich die Digitalisierung auf unser Leben auswirkt.«

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