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Was wollen die?
Die Forderungen in den Brexit-Verhandlungen reichen von Neuverhandlung des Abkommens bis zum »harten Brexit«.
Am Dienstag ist es so weit: Das Unterhaus stimmt über den Brexit-Deal ab. Dieser stößt auf Widerstand – nicht nur bei Labour, sondern auch in der rechten Opposition und der konservativen Parteidissidenz. Die Forderungen reichen von Neuverhandlung des Abkommens bis zum »harten Brexit«.
Die Tory-Brexiteer
Für konservative Brexit-Fans wie Boris Johnson oder John Redwood ist das Vereinigte Königreich eine Großmacht. Und für diese Großmacht ist Theresa Mays Brexit-Deal schlichtweg zu klein. Auf den Punkt gebracht, besteht das Problem darin, dass Großbritannien zu nah an der Europäischen Union bleibt und deren Regeln übernehmen muss. Der sogenannte Backstop sieht beispielsweise den vorübergehenden Verbleib Großbritanniens in der Zollunion vor. Bevor diese Phase zu Ende gehen kann, müssen beide Seiten ihre Zustimmung geben, also sowohl London als auch Brüssel. Brexit-Anhänger befürchten, dass dies unter Umständen eine zeitlich unbeschränkte Mitgliedschaft in der Zollunion bedeuten könnte.
Das hätte auch zur Folge, dass Großbritannien keine Handelsverträge mit Drittstaaten schließen könnte – eines der wichtigsten Ziele der Brexit-Anhänger in Westminster, wenn auch nicht unbedingt der Brexit-Wähler im Rest des Landes. Die Rhetorik der Hardliner ist pathetisch: Sie sprechen von der drohenden Erniedrigung, von Vasallentum und vom sterbenden Brexit-Traum. Ihre alternativen Pläne, soweit sie diese überhaupt präsentiert haben, sind allerdings wenig vielversprechend.
Sie wünschen sich eine Beziehung zur EU, die sich den Freihandelsvertrag mit Kanada zum Vorbild nimmt. Dieser sollte innerhalb der 21 Monate, die die Übergansphase dauert, ausgehandelt werden – eine Aufgabe, die laut Experten im Prinzip unmöglich ist. Eine solche lose Beziehung zur EU würde es Großbritannien erlauben, mit Ländern wie den USA Freihandelsverträge zu schließen. Libertäre Thinktanks zählen zu den enthusiastischen Befürwortern eines solchen Abkommens, weil dies zu einer Aufweichung der Regulierungen führen könnte, etwa in Bezug auf chlorgewaschene Hühner aus den USA oder die Datenschutzrichtlinien der EU.
Für das Problem der irisch-nordirischen Grenze haben die Brexiteers eine scheinbar einfache Antwort: eine technische Lösung mittels elektronischer Zollkontrollen. Freilich gibt es eine solche Technologie derzeit noch nicht.
Angesichts solcher Probleme liebäugeln manche Hardliner sogar mit einem No-Deal-Brexit, falls die EU den Vorschlägen nicht zustimmt. Dass dies zu einem Wirtschaftseinbruch führen könnte, wie es die überwältigende Mehrheit der Ökonomen sagt, halten sie für unwahrscheinlich: Dies sei nichts als »unverantwortliche Panikmache«, sagte Johnsons Parteikollege Redwood vor einigen Wochen.
Die nordirischen Unionisten
Die Democratic Unionist Party (DUP) ist eine kleine Partei mit viel Einfluss in Westminster. Nachdem Theresa May die Wahl vom Juni 2017 vermasselt hatte, gewann sie mithilfe einer deftigen Finanzspritze die Unterstützung der erzkonservativen Unionisten, deren zehn Abgeordnete die Premierministerin bei wichtigen Abstimmungen unterstützen. Um bei der entscheidenden Brexit-Abstimmung auf die DUP zählen zu können, versuchte die Regierung, den Forderungen der Partei so gut wie möglich entgegenzukommen – aber es reichte nicht.
Denn die DUP-Abgeordneten sind schwierige Bettgenossen: Sie sind völlig kompromissunfähig und wollen den Brexit – anders als die Mehrheit der Nordiren, die mit fast 56 Prozent für den Verbleib in der EU gestimmt haben. Wichtiger als der EU-Austritt ist für die DUP jedoch der Zusammenhalt des Königreichs, die nahtlose Anbindung an Großbritannien.
Die vereinbarte Notlösung bei der irisch-nordirischen Grenze, der Backstop, hätte zur Konsequenz, dass Nordirland in regulatorischer Hinsicht enger mit Irland verknüpft wäre als der Rest Großbritanniens. Das ist nötig, um das Karfreitagsabkommen von 1998, mit dem der Nordirlandkonflikt offiziell beigelegt wurde, zu respektieren. Aber diese Lösung will die DUP auf keinen Fall akzeptieren: Jegliche Regelung, die einen Keil zwischen Nordirland und Großbritannien treibt, ist tabu. Der DUP-Abgeordnete Paul Girvan sagte, dass Mays Brexit-Deal zu einer Wiedervereinigung Irlands führen könnte.
Dass die Unionisten einlenken könnten, ist unwahrscheinlich. Die absolutistische Logik sei der Daseinszweck der DUP, schreibt die Wochenzeitung »New Statesman«: Gerade weil die Partei unnachgiebig ist, hat sie es zum Erfolg gebracht. Kein Deal sei besser als Mays Deal, sagte Nigel Dodds, der DUP-Fraktionsvorsitzende im Unterhaus. Dass ein solches Szenario zur Rückkehr der harten Grenze zu Irland führen und so den Friedensvertrag gefährden könnte, scheint die Partei nicht zu kümmern. »Das Karfreitagsabkommen ist nicht unantastbar«, sagte DUP-Chefin Arlene Foster; es könne geändert werden, um dem Brexit Rechnung zu tragen.
Die schottischen Nationalisten
Im Gegensatz zu Labour und den Tories ist die Scottish National Party (SNP) in der beneidenswerten Lage, von keiner inneren Spaltung gelähmt zu werden. Noch besser: Die Partei geht mit ihrem Brexit-Kurs im Gleichschritt mit dem Großteil der schottischen Bevölkerung, die mit 62 Prozent für den Verbleib in der EU gestimmt hat. Das Ziel der SNP ist seit Jahrzehnten, die »Unabhängigkeit in Europa« zu erreichen, also einen eigenständigen Staat, der Mitglied der Europäischen Union ist.
Die Kritik der SNP am Brexit-Deal lautet ähnlich wie die von Labour: Es fehlen jegliche Details bezüglich der zukünftigen Beziehung zwischen Großbritannien und der EU, sagte Parteichefin Nicola Sturgeon. Die Beantwortung aller kniffligen Fragen sei auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Zudem ist Sturgeon unglücklich über die Notlösung bei der irisch-nordirischen Grenze, den sogenannten Backstop: Weil Nordirland enger mit dem europäischen Markt verflochten bliebe, hätte die Region einen Vorteil gegenüber Schottland: Die Folge wären Stellenverluste sowie ein Einbruch der Investitionen.
Am liebsten wäre es der SNP denn auch, wenn der EU-Austritt abgeblasen und das ganze Land in der EU verbleiben würde. Das Ziel der Unabhängigkeit ist erst einmal auf Eis gelegt worden, bis beim Brexit Klarheit herrscht. Der erste Schritt zu einem Brexit-Stopp ist ein zweites Referendum, das sogenannte People’s Vote, für das sich die 35 SNP-Abgeordneten im Unterhaus ausgesprochen haben. Ein solches Plebiszit müsste jedoch aus Sicht der SNP die Option enthalten, dass Schottland in der EU verbleibt. Wenn das nicht möglich ist, dann will die Partei den Brexit-Deal ändern, und zwar so, dass entweder Schottland oder das gesamte Königreich sowohl im Binnenmarkt als auch in der Zollunion verbleibt – also ein ultraweicher Brexit.
Was die SNP unter allen Umständen verhindern will, ist der No-Deal-Brexit. Damit es nicht dazu kommt, unterstützt die Partei einen Vorstoß des Labour-Abgeordneten Hilary Benn: Im Fall, dass der Deal im Parlament scheitert, soll eine Zusatzklausel sicherstellen, dass das Unterhaus einen alternativen Vorschlag machen kann, um den chaotischen Austritt abzuwenden.
Die linken Labouristas
Dass Labour den Brexit-Deal von Theresa May ablehnen wird, ist schon seit Monaten klar. Die größte Oppositionspartei hat sechs Bedingungen gestellt, die der Austrittsvertrag erfüllen müsste: Er sollte beispielsweise die »exakt gleichen Vorteile« wie die derzeitige Mitgliedschaft im Binnenmarkt und in der Zollunion bringen. Der Zweck dieser schwammigen Kriterien besteht darin, eine Ablehnung des Deals zu rechtfertigen – es zählt nun mal nicht zu den Aufgaben der Opposition, die Regierung zu unterstützen.
Aber seit der Veröffentlichung des Vertrags hat Labour auch substanziellere Kritik geübt. Es sei ein »blinder Brexit-Deal«, sagte Brexit-Sprecher Keir Starmer; er gebe keine Sicherheiten und würde den grenzüberschreitenden Handel erschweren. Auch sei die Backstop-Regelung inakzeptabel, schrieb Jeremy Corbyn kürzlich, weil sie die Kontrolle an die EU abgebe. Aus linker Perspektive ist insbesondere problematisch, dass sich Großbritannien zu erheblichen Restriktionen bezüglich staatlicher Subventionen verpflichtet. Corbyns progressive Wirtschaftspolitik, die unter anderem umfassende Verstaatlichungsprojekte ins Auge fasst, wäre schwierig umzusetzen.
Die Labour-Führung besteht darauf, dass sie einen besseren Deal aushandeln könne, einen, der zu keinen Einbußen bei Lebensstandard, Jobs und Arbeitsplatzschutz führe. Zwar respektiert die Partei den Entscheid, aber sie will eine engere Anbindung an die EU. Zu einer Zollunion hat sich Labour bereits verpflichtet – was den Vorteil hat, dass das Problem der nordirisch-irischen Grenze gelöst wäre. Dennoch bleibt unklar, wie eine Labour-Regierung die deklarierten Ziele erreichen und die Zustimmung der EU gewinnen kann. Denn die Vorgaben in Brüssel sind strikt, insbesondere die vier Binnenmarktfreiheiten – Verkehr von Kapital, Personen, Waren und Dienstleistungen – dürfen nicht angetastet werden.
Erstes Ziel der Opposition bleiben Neuwahlen. Dieser Schritt ist jedoch unwahrscheinlich, denn dazu fehlt derzeit die nötige Unterstützung einer ausreichenden Anzahl von Tories. Möglicherweise wird Labour deshalb auf ein zweites Referendum pochen, das in den vergangenen Wochen an Unterstützung gewonnen hat.
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