Sichtweisen, Absichten, Einsichten, Aussichten
Künstlerförderung als Arbeitsplatz für Behinderte in einem versteckten Winkel von Wedding
Viel versteckter hätte man die Ausstellung nicht unterbringen können. Wer die Schau »Sichtweisen: Absichten/ Einsichten/ Aussichten« besuchen möchte, die Werke von behinderten Künstlern und Exponate aus dem Bestand der Sozialen Künstlerförderung Berlin vereint, muss in einen versteckten Winkel Weddings vordringen. Er irrt über ein riesiges ehemaliges Industriegelände und steht irgendwann vor einem großen Fahrstuhl, der ihn in den 4. Stock bringt. Oder auch nicht. »Am Sonnabend war kein einziger Besucher da, weil der Aufzug blockiert war. Fünf Minuten vor Schließung ging er dann wieder!«, erzählt die freundliche Dame an der Kasse, die am ersten Tag selbst Probleme hatte, ihren Arbeitsplatz zu finden. Aber auch ohne solche Pannen wird die Schau nicht gerade von Besuchermassen überrannt - zu abgelegen ist das Gebäude, zu unbekannt das Neue Kunstquartier Berlin, wie sich der Standort nennt. Dabei ist der 4. Stock der Gustav-Meyer-Allee 25 mit seinen großzügigen, hellen Räumen ein Glücksfall für jede Ausstellung. Das Haus ist ein Hort der Kunst. Im Keller ist das Archiv der Berliner Künstlerförderung untergebracht - mit knapp 14 000 Exponaten eine riesige Sammlung. Von 1950 bis Ende 2003 kaufte der Senat regelmäßig Bilder und Skulpturen talentierter, aber noch unbekannter Künstler an, um diese beim Berufsstart zu unterstützen, darunter heute große Namen wie Georg Baselitz, Markus Lüpertz, Wolf Vostell und Cornelia Schleime. Nun ist die Förderung zwar eingestellt, das Depot will aber nach wie vor verwaltet werden. Da Mittel aus dem Haushalt dafür nicht mehr zur Verfügung stehen und die Artothek, also der Verleih von Exponaten an Firmen, Banken und Großkunden, nicht einmal die Personalkosten einspielt, hat der Paritätische Wohlfahrtsverband ein Konzept vorgelegt: Zur Erhaltung des Archiv sollen Arbeitsplätze für Behinderte geschaffen werden, verbunden mit der Gründung einer »Stiftung Soziale Kunst« zur finanziellen Sicherung des Projekts. Rainer Ehrke, Leiter der Artothek, kann sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten für behinderte Menschen vorstellen, zum Beispiel die Digitalisierung der Sammlung, Reparaturarbeiten und Rahmungen, Vorbereitung von Ausstellungen und Erstellung von Präsentationsmappen bis hin zu Hausmeisterdiensten. Die laufende Ausstellung vereint als Vorgeschmack auf die kommende Partnerschaft denn auch Bilder und Skulpturen behinderter Künstlern mit Werken aus der Sozialen Künstlerförderung, die allerdings fast untergehen. Gerade mal 50 dicht nebeneinander gehängte Exponate stehen rund 250 Werken aus Einrichtungen wie Sonnenuhr e.V., Lebenshilfe GmbH und anderen gegenüber. Da gibt es naturgetreu nachempfundene Blumenstillleben, farbenfrohe Bleistiftskizzen und düstere Kohlezeichnungen, Öl-, Acryl und Seidenmalerei, Abstraktes und Gegenständliches. Unter den Skulpturen ragen besonders Sabine Kaemmels anrührendes »Frühchen« aus Ton heraus sowie die gefährlich spitzen, nachtschwarzen Stahlskulpturen von Marco Born. Recht lieblos gestaltet wirkt im Gegensatz dazu die Auswahl der Sozialen Künstlerförderung, darunter ein Stillleben der »Jungen Wilden« Elvira Bach, zwei frühe Gemälde von Markus Lüpertz und vier von Archetypen und Fabelwesen bevölkerte Bilder von Cornelia Schleime. Die meisten Exponate zeigen mehr oder weniger gelungene Stadt- und Landschaftsszenen aus dem Großraum Berlin, hängen viel zu dicht nebeneinander und sind weder betitelt noch nummeriert. Wer wissen will, was welchem Künstler zuzuschreiben ist, muss mühsam Kataloge wälzen. Ob das potenzielle Investoren anlockt, ist fraglich. Und dass die Schau aus technischen Gründen ...
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