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Bang in der Birne

Warum der Motivationstrainer Jürgen Höller Bundespräsident werden muss

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt Texte, die schreibt man schon der Überschrift wegen. »In der Birne muss es Bang machen!« Diesen Hammersatz hört, wer ein sog. »Power Weekend« bucht, das »Mr. Motivation« Jürgen Höller z.B. in der Münchner Olympiahalle veranstaltet, für 99 Euro pro Person plus Mehrwertsteuer, und die Personen sind der »Süddeutschen Zeitung« bekannt: »Am Freitag ist er mit seiner Frau und dem Sohn zuhause losgefahren, sie standen im Stau, sechs Stunden hat es bis nach München gedauert. Die Familie kommt aus Nordrhein-Westfalen, in Olpe haben sie ein Autohaus. Vor fünf Jahren haben sie das Geschäft übernommen. Leicht hatten sie es nicht. Eine Nachbarin hat ihnen Jürgen Höller empfohlen. Sie sind zu einem seiner ›Power Weekends‹ gegangen« und mussten sich an viel gewöhnen: »Das Abklatschen mit dem fremden Sitznachbarn, die ›Ich schaffe es‹-Rufe, das Geduze, das Tanzen, das Trommeln auf die Brust, um die Thymusdrüse zu aktivieren. Das war vor drei Jahren.« Jetzt sind sie zum fünften Mal da, weil ihnen »die Masse«, sagen sie, »Energie« gibt.

Denn Energie ist eine Funktion von Masse, wissen wir, falls wir’s wissen, denn mit der Bildungsrepublik Deutschland steht es am Ende sogar noch schlechter als gedacht, wenn der Mittelstand nicht merkt, wenn und wie er vorgeführt wird; derselbe Mittelstand freilich, der mit übergeschnappten Riesenautos dem Untergang entkommen will, den Jürgen Höller bereits durchgestanden hat, als er wegen Meineids, Insolvenzverschleppung und Steuerhinterziehung im Knast saß. Weshalb jetzt Demut Trumpf ist und Höller seiner alten Nullparole »Du schaffst es!« einen zweiten Schwindel beigeben kann: dass Krisen stärker machen. Hat ihm seine Frau damals ins Gefängnis geschrieben, und Höller hat den Brief ganz klar dabei: »Steh auf und sei Vorbild für die anderen, die Krisen hatten!« Das gibt gleich »donnernden Applaus«, etwa von »100 Angestellten einer Versicherung in Rosenheim, die vom Chef nach München geschickt wurden«, dem es 10 000 Euro netto wert war, aus trotz Branche vielleicht noch brauchbaren Menschen Zellhaufen zu machen.

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Höller begleitet mich bald zwanzig Jahre. Im Jahr 2000 widmete ich dem blendend idiotischen Motivationsmagazin »Noch erfolgreicher!«, dessen Galionsfigur und Titelheld der Schweinfurter war, einen langen »Titanic«-Bericht, 2012 freute ich mich über die fünfzigste, kein bisschen weniger idiotische Ausgabe des selbsterklärten Leib- und Magenblatts der »First Class der Erfolgselite«. Da hatte Höller seine »Krise« (Höller) bereits gut verarbeitet, heißen doch seine Vorbilder nicht umsonst »Muhammad Ali, Steve Jobs und Jesus Christus«. Drunter macht es der Ferrari-Fan mit »Louis-Vuitton-Schal« (»SZ«) nicht, und Jan Philipp Reemtsmas Buch über Muhammad Ali hat Höller erst gar nicht gelesen, denn da steht drin, dass Niederlagen uns nicht stärker machen, sondern brechen.

Dagegen Höller ungebrochen: »Ich bin einmalig, einzigartig, wunderbar!« Das sollen wir uns sagen, doch stimmt das vorher nicht und nachher nicht, denn wenn es stimmte, wäre Höller ja schon wieder pleite. Aber da besteht keine Gefahr, denn die drei vom Autohaus in Olpe, die es nicht immer leicht hatten, wünschen sich keine Welt, in der es alle leicht hätten, sondern lieber eine »Umsatzexplosion« (Seminartitel), nach deren Eintritt sie dann in die Südsee fahren könnten, Urlaub machen. Dass solche Urlaube erst die Leute in der Südsee und dann uns alle umbringen werden, kümmert nicht.

Das ist die Sache mit dem Bang in der Birne, doch mit Höller darf man einverstanden sein, weil, wie mein Vater selig zu sagen pflegte, zum Betrug immer zwei gehören, und hat nicht auch Enzensberger die Wölfe wider die Lämmer verteidigt? Bei Höller ist der leistungsbereite Mittelstand, bekanntlich das Rückgrat des Landes, so ganz und gar bei sich wie der Kapitalismus selbst und die von der SPD zu seinen Gunsten erfundene »Chancengesellschaft«: Du schaffst es, und wenn du es nicht schaffst, dann ist Hartz IV die Krise, aus der du lernen kannst. Widerlich, natürlich, aber doch fester Bestandteil dessen, was die »Süddeutsche Zeitung« in ihrem Leitartikel vom 10.11. als »vielleicht ideale Staatsform« pries. Und ist rücksichtslose Selbstausbeutung nicht eine Säule des Betriebs?

Der Leerverkaufsprofi Höller, wie er da »stark gebräunt, durchtrainiert«, mit Plastik-Wasserkanone und zum Platzen voller Thymusdrüse durch die Halle powert, deucht da um Grade ehrlicher als Heribert Prantl, Carolin Emcke oder der Bundespräsident, die uns ständig mit ihren Wie-wollen-wir-miteinander-leben-Heuchelfragen behelligen. Ein Bundespräsident Höller brächte den Laden auf den Begriff, und mehr kann man von einem Bundespräsidenten nicht verlangen.

Juli Zeh wird ja nun auch Verfassungsrichterin. Wir nähern uns.

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