- Politik
- Gelbwesten in Berlin
Aktivisten gründen Berliner Gelbwesten-Ableger
Auch in der Hauptstadt wollen Gelbwesten Aufmerksamkeit für soziale Kämpfe schaffen.
»Tous ensemble, grève générale«, alle gemeinsam Generalstreik, rufen die Teilnehmer*innen, und dann, inbrünstiger und textsicherer »Hoch die internationale Solidarität«. In einem großen Halbkreis stehen die Demonstrant*innen auf dem Pariser Platz zusammen. Hinter ihnen leuchtet goldgelb ein mit Lichtern behängter riesiger Weihnachtsbaum, einige Polizisten laufen an der Seite auf und ab. In Redebeiträgen fordern die Berliner*innen in ihren gelben Warnwesten ein gerechteres Sozialsystem, die Angleichung der Löhne im Osten und »nieder mit Macron und seiner Fünften Republik«.
»Frankreich ist eigentlich das Musterbeispiel für soziale Proteste. Dort gibt es alle zwei Jahre Sozialreformen, weshalb die Bevölkerung auf die Straße geht, aus Deutschland kommt überhaupt nichts«, sagt Martin Peters, der den Berliner Gelbwesten-Ableger gemeinsam mit anderen initiiert hat. Deswegen wollen sie jetzt in Berlin loslegen, explizit links und antifaschistisch. Rechte Meinungen von Teilnehmenden lehnen sie klar ab, anders als in Frankreich, wo Anhänger*innen vom linken und rechten Spektrum mit den gleichen gelben Hemdchen auf die Straße gehen.
»Der Anreiz eine klar antifaschistische Richtung hier aufzumachen waren für mich weniger die Nazis in Frankreich, das regelt die Bewegung dort dann selber, sondern Leute, die sich hier mit 600 Leuten am Brandenburger Tor versammeln und damit gegen den Migrationspakt protestieren wollen. Wir wollen das Symbol nicht der Rechten überlassen«, sagt Martin Peters. Er spielt damit auf eine Demonstration Anfang Dezember diesen Jahres an, als Pegida, »Merkel muss weg«-Leute und andere gegen den UN-Migrationspakt demonstrierten und einige der Anwesenden gelbe Westen trugen, wie auf Videoaufnahmen der Demonstration zu sehen ist. Auch in anderen Städten zogen sich Rechte die Warnwesten über und demonstrierten gegen den Migrationspakt.
Die an diesem Abend anwesenden Gelbwesten halten meist rote Fahnen, solche der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), der Gewerkschaft ver.di und »socialistworld«, einem Blog über Gerechtigkeitskämpfe vom Iran bis Brasilien, in den Händen. Viele junge Leute, aber auch ältere sind zum Pariser Platz gekommen. 124 Teilnehmende sind es, schätzt die Polizei, 150 sagt der Veranstalter. Angemeldet hat die Kundgebung das »Klasse gegen Klasse«-Bündnis, das sich mit dem »Gelbwestenblock«, wie sie es nennen, und anderen Initiativen für die Kundgebung zusammengetan hat.
Die Aufschriften der neongelben Westen der Demonstrierenden sind divers. Selbstgemalt wie »Aufstehen« und »Für globale rassismusfreie soziale Gerechtigkeit – wir sind keine Zitronen!« oder mit gedruckten Logos, wie die Weste eines Teilnehmers, auf der »airberlin group Crew« steht. Bastian Schmidt hat eine Weste mit ver.di-Logo, die er hier auf der Kundgebung wiederbenutzt: Bei einem Protest gegen die Arbeitsbedingungen bei Amazon in Brieselang trug er sie schon. »Ich bin hier, weil die Kämpfe in Frankreich mich inspirieren und es auch in Deutschland Angriffe auf die Rechte von Beschäftigten gibt: Hartz IV, Lohndumping, Befristungen zum Beispiel.«
Eine Gruppe von »Aufstehen«, einer von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht gegründeten Bewegung, ist gemeinsam aus Treptow-Köpenick gekommen. »Ich bin persönlich gegen Krieg und Kapitalismus hier. Da gehört mehr dazu als gegen das Sozialsystem zu sein, auch Umweltpolitik und Kriegspolitik der Bundesregierung gehören kritisiert«, sagt Lilo Lesch. Katja, die neben ihr steht, meint: »Es geht darum, sich zu solidarisieren mit denen, die auch so denken. Deswegen sind wir in den gelben Westen dabei.«
Dass die anwesenden Gruppen aus unterschiedlichen politischen Richtungen kommen, soll den Berliner Gelbwesten erst einmal nicht im Weg stehen. Sofortige Abgrenzungen voneinander hält Mit-Initiator Martin Peters nicht für sinnvoll. Einige Prinzipien müssen aber klar sein. »Wenn man Gelbwesten hier als Aktionsform und Protestsymbol etabliert, geht es darum, eine Querfront zu verhindern und klar zu sagen, die Trennlinie verläuft zwischen Arm und Reich und zu den Armen gehören eben auch Migranten und Migrantinnen.«
In Berlin ist es das erste Mal, dass Gelbwesten demonstrieren, deutschlandweit gab es bereits Aktionen, unter anderem in Aachen, Dortmund und München. Nach etwa zwei Stunden beendet der Veranstalter die Kundgebung, im Nieselregen verteilen sich die Teilnehmenden in die Stadt. »Ich finde, das war heute ein Erfolg, bei diesem Wetter und in der Weihnachtszeit ist es völlig okay«, resümiert Peters. Er will gerne »eine Fortsetzung machen, spätestens im Januar sollte man noch etwas Größeres organisieren«.
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