- Brandenburg
- Schiffshebewerk Niederfinow
Die Wanne ist voll
Das »Neue Schiffshebewerk Niederfinow« ist bald fertig, 2019 beginnt die Erprobung
Schiffshebewerk Niederfinow? Kenne ich, da war ich schon als Kind mit meinen Eltern. In Berlin-Brandenburg bekommt man das oft zu hören, aber welches Schiffshebewerk meinen die Leute eigentlich? In dem kleinen Ort im Landkreis Barnim stehen schließlich gleich zwei dieser ungewöhnlichen Bauwerke nebeneinander.
In der Regel ist der stählerne »Schiffsfahrstuhl« von 1934 gemeint, dessen vernietete Träger ein wenig an den Pariser Eiffelturm erinnern. Der Gigant, seit 2007 als »Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland« anerkannt, zählt zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Region. Rund 150.000 Menschen, ganze Familien, bestaunen Jahr für Jahr die archaische Technik, beobachten, wie Schubkähne, Ausflugsschiffe oder Boote - in einem riesigen Stahltrog schwimmend - über die 36 Meter hohe Höhenstufe, die der Oder-Havel-Kanal hier überwindet, gehievt werden und genießen den Ausblick in Richtung Oderberg, Bad Freienwalde oder bis nach Polen. Ein gut ausgestattetes Besucherzentrum umsorgt Ortsfremde rundum.
- Seit 1746 verbinden künstliche Wasserstraßen dauerhaft Havel und Oder. 1914 ersetzte der 54 Kilometer lange Hohenzollernkanal, heute als Oder-Havel-Kanal Teil der Havel-Oder-Wasserstraße, den alten Finowkanal als Schifffahrtsweg.
- Um den Höhenunterschied von 36 Metern zwischen dem höchstgelegenen Kanalabschnitt und dem tiefergelegenen Oderbruch zu überwinden, wurde in Niederfinow eine vierstufige Schleusentreppe gebaut, die bis 1972 in Betrieb war.
- Das nach siebenjähriger Bauzeit 1934 eingeweihte Schiffshebewerk Niederfinow trägt auch Lastkähne, in einem an Seilen hängenden Trog schwimmend, in fünf Minuten von einer Kanalebene auf die andere.
- Seit fast 85 Jahren im Dauerdienst, erreicht das Technikdenkmal seine Grenzen, treiben veraltete Elektrik, Materialermüdung und Ersatzteilmangel die Kosten in die Höhe.
- Die Havel-Oder-Wasserstraße kann als transeuropäischer Wasserweg langfristig nur bestehen, wenn sie für 110 Meter lange Cointainer- und Kabinenschiffe durchlässig ist.
- Die technischen Voraussetzungen dafür schafft das »Neue Schiffshebewerk Niederfinow«. Grundsteinlegung war 2009, die Fertigstellung hat sich wiederholt verschoben und soll nun 2020 erfolgen.
- Für 300 Millionen Euro entsteht ein Hebewerk, dessen 115 Meter langer und 12,5 Meter breiter Trog mo᠆derne Großmotorgüterschiffe und 114 Meter lange Dreier-Schubverbände fasst. Sein Gesamtgewicht von 9800 Tonnen wird von 224 Stahlseilen getragen und durch 220 Gegengewichte von je 45 Tonnen im Gleichgewicht gehalten. tm
52 Meter erhebt sich das vor bald 85 Jahren nach siebenjähriger Bauzeit eingeweihte Schiffshebewerk über dem Wasserspiegel des unteren Vorhafens. Und steht doch mittlerweile buchstäblich im Schatten jenes Neubaus, der wenige Hundert Meter entfernt in den Jahren nach 2009 aus dem Boden gestampft wurde, um den technischen Oldtimer alsbald abzulösen. Erbaut aus Stahlbeton, mit viel Glas sowie gelben und blauen Stahlträgern optisch akzentuiert, wirkt das »Neue Schiffshebewerk Niederfinow«, wenn auch im technischen Layout ganz ähnlich, viel moderner. Und wuchtiger. Zwar ist es mit rund 55 Metern über Grund nur wenig höher, doch der Trog ist viel länger, ausgelegt für die Aufnahme deutlich größerer Schiffe.
Auf der Baustelle herrscht auch kurz vor dem Jahreswechsel emsiger Betrieb. Zwar gehen die Beton- und Stahlbauarbeiten ihrem Ende entgegen, doch die Errichtung eines solchen Bauwerks ist halt alles andere als Routine, sagt Projektleiter Raphael Probiesch vom Wasserstraßen-Neubauamt. »Nur einmal alle 50 oder 100 Jahre wird so etwas gebaut.« Ende November durchlebte die gesamte Besatzung vor Ort einen jener besonderen Momente auf dieser Baustelle der Extreme. Der geschweißte, fast 2800 Tonnen schwere Stahltrog musste seine erste echte Bewährungsprobe bestehen. Um zu überprüfen, ob alle Bauteile funktionieren, die Drehtore halten und der gewaltige Behälter auch dicht ist, wurde erstmals Wasser eingeleitet. 6000 Kubikmeter mit einem Gewicht von 6000 Tonnen. Material und Team haben den Stresstest am Ende bestanden.
Im unteren Vorfeld des Neubaus sind Bagger zugange, laufen die Arbeiten am neuen Vorhafen. Dort werden künftig die aus Richtung Osten ankommenden Schiffe warten, bis sie in den Trog des Hebewerks einlaufen können - und über ihn setzen die aus der Havelregion eintreffenden Schiffe ihre Fahrt nach Schwedt, zur Oder oder - wenn auf polnischer Seite die Haffgewässer ertüchtigt sind - verstärkt über Szczecin zur Ostsee fort.
Die Großbaustelle muss sich, wie gerade wieder am Beispiel des unteren Vorhafens deutlich wird, mit einer sie umgebenden, höchst sensiblen Naturlandschaft mit dem Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin arrangieren, erläutert Probiesch. Umweltbehörden und -verbände haben ein gewichtiges Wort mitzureden. Mit den Jahren, in denen man sich über Schutzmaßnahmen für Fischotter, Biber, Eisvogel und Rote Waldameisen sowie über zahlreiche Ersatzleistungen im Interesse von Artenvielfalt und der Erhaltung von Naturräumen verständigt habe, sei ein belastbares Vertrauensverhältnis gewachsen. Als man bei den Vorarbeiten für das Hafenbecken auf große Mengen wertvoller Torfböden gestoßen sei, habe man mithilfe des Biosphärenreservats eine unkomplizierte Lösung gefunden: die Torfschichten werden abgetragen und in den aufgegebenen Unterhafen der alten, 1972 stillgelegten Schleusentreppe nebenan umverlagert. So werden für beide Seiten die Einbußen begrenzt - für die Baustelle heißt das, der Zeitverlust hält sich in Grenzen, der neue Vorhafen wird 2019 fertig.
Der obere Vorhafen, vier Hektar groß, wurde schon 2015 geflutet. Er ist durch eine Kanalbrücke mit dem Hebewerk verbunden. Laut Probiesch wird sie von 28 mächtigen Stahlbetonpfählen getragen, die 40 Meter tief im Boden verankert sind. Auf ihnen lasten insgesamt 3300 Tonnen.
Was Ingenieure, Bauleute und Anlagenmonteure in Niederfinow geleistet haben, ist eindrucksvoll sichtbar. Fakt ist aber auch, dass das Gesamtvorhaben seinen ursprünglichen Zeitplan, nach dem das Schiffshebewerk 2014 fertig sein sollte, gesprengt hat. Ursachen dafür gibt es viele. Für Probiesch etwa hat bei einem derartigen Vorhaben Qualität oberste Priorität.
Qualitätssicherung und die eiserne Einhaltung des Kostenrahmens - in etwa so bringt es auch Rolf Dietrich, Leiter des zuständigen Wasserstraßen-Neubauamtes Berlin auf den Punkt. »Unser Generalauftragnehmer prognostiziert sein Abnahmeverlangen aktuell auf das Jahr 2020«, erklärt er dem »nd«. Seitens des Auftraggebers, dem Bund, bestehe keine Veranlassung, eine Beschleunigung der Bauarbeiten anzuordnen. Noch erfülle das alte Schiffshebewerk zuverlässig seine Funktion, der Weiterbetrieb sei bis 2025 vorgesehen. Der Neubau sei als Ersatzinvestition daher rechtzeitig veranlasst worden. Und man habe, nicht zuletzt dank der Verpflichtung eines Generalauftragnehmers, das Gesamtbudget in Höhe von rund 300 Millionen Euro eingehalten. »Wir haben es zuletzt zur Auftragsvergabe vor über zehn Jahren anpassen müssen«, so Dietrich. Man könne aber bei einem derart komplexen Vorhaben nicht sämtliche Risiken ausschließen. Unvorhersehbare Insolvenzen von Nachunternehmern oder Nacharbeiten mangelhaft ausgeführter Leistungen hätten den Bauablauf ebenso beeinträchtigt wie die eingeschränkte Verfügbarkeit von Ressourcen oder lange Materiallieferzeiten. Um etwa die Torfböden im Bereich des unteren Vorhafens, rund 100 000 Kubikmeter, umlagern zu können, habe man erst ein baubegleitendes Planänderungsverfahren initiieren und durchführen müssen.
Nach Dietrichs Einschätzung eröffnet das neue Hebewerk unmittelbar neue Chancen für den Transport von Containern und großvolumigen beziehungsweise sehr schweren Gütern auf der Havel-Oder-Wasserstraße. Ein modernes Containerschiff etwa könne bis zu 104 Standardcontainer (TEU) transportieren, bisher trage ein Kahn hier nur 27. Auch die boomende Kabinenschifffahrt werde profitieren. Wo die alte Anlage bis zu 82 Meter lange Schiffe bewältige, lasse die neue Troglänge dann auch 110 Meter und damit mehr Passagiere zu.
Informationszentrum Schiffshebewerk Niederfinow, Hebewerkstraße 70A,
16248 Niederfinow, 033362/619126
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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