• Politik
  • Thema Frankreichs Linke und die Wahl

Klippen vor dem Traditionsschiff FKP

Fest steht, dass die Bäume der Linken bei den Parlamentswahlen am Sonntag nicht in den Himmel wachsen werden

  • Bernhard Schmid
  • Lesedauer: ca. 10.5 Min.
Die Schadenfreude war spürbar: »Finanzielle Krise bei der französischen KP«, schlagzeilte die konservative Tageszeitung »Le Figaro« am Mittwoch auf ihrer Titelseite. Im Blattinneren füllt das Thema eine volle Seite: »Die Französische KP bereitet sich auf eine finanzielle Beresina vor.« Der Name des Flusses, an dem Napoléon I. die erste schwere militärische Niederlage während seines Russlandfeldzugs erlitt, steht in Frankreich als Metapher für das Anfang vom Ende.
Den Anlass für den Bericht bildet ein Gerücht: Die FKP plane den Verkauf in ihrem Besitz befindlicher Kunstschätze. In Umlauf gebracht wurde die Nachricht zunächst durch »Le Monde«. Die Zeitung hatte am vergangenen Sonnabend berichtet, die KP-Spitze habe Fernand Légers Wandbild »Liberté, j'écris ton nom« (Freiheit, ich schreibe deinen Namen), das derzeit in der Führungsetage des Parteigebäudes hängt, sowie ein Picasso-Porträt von Edouard Pignon einer Schätzung unterziehen lassen. »Ich habe verstanden, dass sie dabei sind, ihre letzten Besitztümer zu verkaufen«, wurde ein anonym bleibender Museumsdirektor zitiert.
Genau dies wurde inzwischen aber von der FKP dementiert. Ebenfalls am Mittwoch berichtete etwa die Boulevardzeitung »Le Parisien«: »Die KP will ihre Schätze behalten.« Am Vortag hatte Parteisprecher Olivier Dartigolles für Journalisten eine Führung am Parteisitz an der Pariser Place du Colonel Fabien organisiert. Dass der Direktor des Musée d'Art moderne de la Ville de Paris eingeschaltet worden sei, um manche Kunstwerke zu begutachten, leugnete er nicht. Dies stehe jedoch im Zusammenhang mit Plänen, die Werke durch Leihgaben an Museen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen - ohne finanzielle Hintergedanken, versicherte Dartigolles.
Dennoch steht fest: Die finanzielle Lage der Französischen Kommunistischen Partei (Parti communiste français) ist auch nach den Worten ihres Finanzbeauftragten Jean-Louis Frostin »angespannt«. Schlechte Wahlergebnisse sind die Hauptursache.

Tiefstand bei der Präsidentenwahl
Dass die Parteivorsitzende Marie-George Buffet (59), die frühere Ministerin für Jugend und Sport (1997-2002), die ihr Parteiamt im Herbst dieses Jahres abgeben möchte, als Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl nicht die Fünf-Prozent-Hürde erreichen würde, war erwartet worden. Des-wegen hatte die Partei finanzielle Rücklagen gebildet. Denn erst ab fünf Prozent der Stimmen bekommt ein Kandidat die Hälfte der nachgewiesenen Wahlkampfkosten zurückerstattet, unterhalb dieser Grenze gibt es nur eine pauschale Unkostenerstattung, dieses Jahr in Höhe von 808 000 Euro.
Dass die FKP-Bewerberin aber mit 1,93 Prozent der Stimmen einen historischen Tiefstand erreichen würde, traf die Partei dann doch unerwartet schwer. Nun droht es für die Partei finanziell ums Eingemachte zu gehen, falls die Parlamentswahlen ähnlich desaströs ausgehen. Denn auf deren Ergebnissen bauen die Berechnungen auf, die als Grundlage für die staatliche Parteienfinanzierung dienen: Für jede Stimme bei den Parlamentswahlen gibt es für eine politische Formation 1,63 Euro pro Jahr bis zur nächsten Wahl.
Aller Voraussicht nach werden sich die FKP-Ergebnisse beim ersten Durchgang der Parlamentswahlen an diesem Wochenende leicht erholen: Momentan rechnet man mit rund 4 Prozent der Stimmen im nationalen Durchschnitt. Denn ein Teil des Einbruchs bei der Präsidentschaftswahl resultierte aus dem extrem starken Trend zum vote utile (»nützliche Stimmabgabe«). Neben diesem konjunkturellen Grund gibt es freilich auch tieferliegende, strukturelle Ursachen für den Niedergang. Sie reichen vom Ende des »sowjetischen Modells« als Orientierungspunkt über die negative Bilanz vergangener Regierungsbeteiligungen der französischen KP (1981-84 und 1997-2002) bis zu den soziologischen Veränderungen in der Zusammensetzung der französischen Arbeiterschaft beziehungsweise der Klasse der Lohnabhängigen.

Der Schock des Jahres 2002 wirkte nach
Im April 2002 hatte ein Großteil der Linkswählerschaft den damaligen sozialdemokratischen Premierminister Lionel Jospin für seine fünfjährige Regierungsbilanz abstrafen wollen. Jospin verpasste daraufhin den Einzug in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl. Letztere machten daraufhin der konservative Amtsinhaber Jacques Chirac und der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen untereinander aus. Dieses Szenario wirkte auf die politische Linke wie ein Schock. Daher rührte in diesem Jahr der verbreitete Hang zum »kleineren Übel«, der übrigens sowohl der (rechts)sozialdemokratischen Kan-didatin Ségolène Royal als auch dem liberal-christdemokratischen Bewerber François Bayrou zugute kam.
Diese Entwicklung markiert den Rückschlag des Pendels seit 2002, als die Sozialdemokratie noch hart abgestraft worden war. Damals erhielt die radikale Linke in Gestalt zweier Kandidaten der außerparlamentarischen Linkskräfte - der Alttrotzkistin Arlette Laguiller (damals 5,7 Prozent) und des undogmatischen Trotzkisten Olivier Besancenot (4,3 Prozent) - genau 10 Prozent. Deren Anteil ist in diesem Jahr ebenso zurückgegangen wie der Stimmenanteil der FKP, wobei Frau Laguiller (nur noch 1,3 Prozent) stärkere Einbußen hinnehmen musste als Besancenot (4,1 Prozent). Alle Varianten der marxistisch geprägten Linken, die beiden in trotzkistischer Tradition stehenden Parteien ebenso wie die KP, verloren massiv Wähler an Royal, in geringerem Maße auch an Bayrou.
Dass der 33-jährige Briefträger und studierte Historiker Besancenot sich besser zu behaupten verstand als die pensionierte Bankangestellte Arlette Laguiller (67) und absolut sogar hinzugewann (1,5 Millionen Stimmen gegenüber 1,2 Millionen vor fünf Jahren), liegt vor allem daran, dass er neue Wähler vor allem aus der jungen und sehr jungen Generation, aus dem Milieu der »globalisierungskritischen« Linken und der sozialen Bewegungen gewann. Dort stand er zwar in Konkurrenz zum parteilosen Linkspopulisten und früheren »Bauernrebellen« José Bové, doch der erhielt nach einem konfus wirkenden und schlecht konzipierten Wahlkampf nur 1,3 Prozent.
Wahrscheinlich fand zudem noch eine Umschichtung von Wählerstimmen zwischen den beiden Formationen der außerparlamentarischen Linken statt. Bei ihrer sechsten und letzten Präsidentschaftskandidatur bezahlte Laguiller den Preis dafür, dass sich ihre Partei Lutte Ouvrière (LO - Arbeiterkampf) sowohl aus dem Abwehrkampf gegen Le Pen zwischen den beiden Wahlgängen 2002 als auch aus der Kampagne der Linken gegen den EU-Verfassungsvertrag 2005 weitgehend herausgehalten hatte.

Jeder will eine andere »neue Partei«
Anders als die aus der französischen 68er-Revolte hervorgegangene Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), der Besancenot angehört, setzt LO, deren Vorläuferorganisation Voix ouvrière (Arbeiterstimme) im Mai 1968 schon seit zwei Jahrzehnten existierte, seit jeher stärker auf Alleingänge. Und darauf, durch langfristige Kleinarbeit in den Betrieben eine »neue Arbeiterpartei« aufzubauen, die Arlette Laguiller als eine Art Neubelebung der KP der 20er Jahre beschreibt. Dagegen setzt die LCR mehr oder weniger erfolgreich darauf, unterschiedlichste soziale Bewegungen aufzugreifen, sich in ihnen zu verankern und sie politisch zu radikalisieren: Streikbewegungen, aber auch Jugend- und Studierendenproteste, Antirassismus, Antimilitarismus, Trikont-Solidarität, ökologischer und antinuklearer Protest. In der vergangenen Woche verkündete Olivier Besancenot seine Absicht, eine breitere »neue Partei« der radikalen Linken zu schaffen. Deren Gründung sei durch seine Ergebnisse bei der Präsidentschaftswahl ermutigt worden. Die genaueren Konturen dieser Partei sind aber in den Reihen der LCR, die das Fraktionsrecht garantiert und drei größere politische Strömungen umfasst, umstritten. Manche fordern vorrangig den Zusammenschluss der »revolutionären Marxisten«, während andere Stimmen eine breiter gefasste linke Partei unter Einschluss bisheriger Mitglieder der KP, des »globalisierungskritischen« Milieus und anderer Teile der Linken fordern.
Bei den Parlamentswahlen am Sonntag dürften die Bäume für die Linkskräfte, die neben der Soziali-stischen Partei (Parti Socialiste, PS) zur Wahl antreten, nicht in den Himmel wachsen. Für die beiden trotzkistischen Parteien sind die Parlamentswahlen ohnehin kein sonderlich gutes Terrain. In den letzten Jahren haben sie es zwar - erstmals in der Geschichte - vermocht, die FKP bei Wahlen zu überflügeln, insbesondere zwei-mal bei der Präsidentenwahl. Noch aber ist ihnen der Sprung zu echten »Massenparteien« nicht gelungen, was ihre Mitgliederzahl und damit ihre örtliche Verankerung in ganz Frankreich betrifft. Deswegen sind auch ihre Parlamentskandidaten wesentlich weniger bekannt als ihre durch die Medien prominent gewordenen Galionsfiguren Besancenot und Laguiller. Beide Parteien, LCR und LO, dürften je rund 3000 Mitglieder haben, die Ergebnisse ihrer Parlamentskandidaten hinter denen ihrer Präsidentschaftskandidaten zurückbleiben. Gerechnet wird derzeit mit rund 3 Prozent für die außerparlamentarische marxistische Linke.

Kommunisten vor doppelter Zitterpartie
Die FKP hat dagegen andere Probleme. Nach wie vor ist sie eine mitgliederstarke Kraft, offiziell zählt sie über 100 000 Beitragszahler. Darunter sind aber eine Reihe von »Karteileichen«, und ein wichtiges Problem ist die Überalterung der Mitgliedschaft. Real dürfte die Mitgliederzahl zwischen jenen 53 000, die sich an einer Urabstimmung 2002 beteiligten, und den 93 000 Teilnehmern der internen Kandidatenwahl im vorigen Herbst liegen.
Auf zwei Klippen steuert die Partei in nächster Zukunft zu: Zunächst einmal geht es darum, den Fraktionsstatus in der Nationalversammlung zu behalten. Daran allein hängen 1,6 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln für die Parlamentsarbeit. Um eine Fraktion bilden zu können, benötigt die Partei mindestens 20 Abgeordnete. Derzeit liegt sie noch knapp über dieser Schwelle. In der künftigen Nationalversammlung werden ihr jedoch nur noch 4 bis 12 Abgeordnete vorausgesagt.
Danach gilt es, bei den Kommunalwahlen Anfang 2008 einige Rathäuser zu »behalten«. Derzeit regiert die FKP um die 30 Rathäuser in mittelgroßen Städten, aber nur eine Kommune von über 100 000 Einwohnern (Calais). An beidem - der Fraktion und der Position in den Städten - hängt nicht nur ein Gutteil des Prestiges der Partei, sondern auch ein beträchtlicher Teil ihrer Finanzquellen. Noch verfügt die FKP über 12 000 gewählte Mandatsträger, auf nationaler Ebene, in Rathäusern und Kommunalparlamenten. Alle sind laut Parteistatuten verpflichtet, ihre Diäten abzuführen. Was aber, wenn ihre Zahl rapide abnimmt?

PS sucht Verbündete eher »in der Mitte«
Um dieses Problem zu lösen, setzt die Parteiführung darauf, es sich nicht auf Dauer mit der französischen Sozialdemokratie zu verscherzen. Denn von der Möglichkeit, mit ihr Wahlabkommen zu schließen - vor den Wahlen oder zwischen beiden Durchgängen - hängt vielerorts die Möglichkeit für die KP ab, einen Wahlkreis oder eine Kommune zu halten. Böten die PS-Sozialdemokraten gewichtige Gegenkandidaten auf, wäre es damit an den meisten Orten vorbei. Die Bereitschaft der PS, Rücksicht darauf zu nehmen, ist jedoch gesunken. Zumal die Parteirechte seit der Wahlniederlage Ségolène Royals mächtig in die Offensive gegangen ist. Ihrzufolge wurde die Wahl »nicht links, sondern in der Mitte verloren«, und der künftig zu umwerbende Bündnispartner müsse statt der KP das christdemokratisch-liberale Zentrum unter François Bayrou sein. Vor der Wahl vom Sonntag hat die Sozialdemokratie mit der KP kein frankreichweites Abkommen über die Aufteilung der Wahlkreise geschlossen, übrigens auch nicht mit den inzwischen völlig marginalisierten Grünen.
Wie wird es sich damit in der kommenden Woche, also zwischen den beiden Wahlgängen, verhalten? In die Stichwahl können alle jene Kandidaten einziehen, die im ersten Wahlgang von mindestens 12,5 Prozent der eingetragenen Wahlberechtigten gewählt worden sind. Das entspricht zwischen 15 und 18 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen. Im Gefolge von Verhandlungen zwischen den Linkskräften dürften vielerorts die aussichtsärmeren Bewerber zugunsten des jeweils Bestplatzierten auf der Linken zurückgezogen werden. Abzuwarten bleibt, ob und inwiefern es zu Rückzügen sozialdemokratischer Kandidaturen zugunsten der KP kommen wird.
Unter dem Druck einer zunehmend auf Bündnispartner zu ihrer Rechten schielenden Sozialdemokratie bleiben der KP im Kern zwei strategische Optionen: Entweder sie schlägt eine außerinstitutionelle Strategie ein, die den Bruch mit der in die wirtschaftsliberale »Mitte« rückenden Sozialdemokratie in Kauf nimmt - damit aber auch auf bestimmte institutionelle Machtbastionen verzichtet. Oder aber dieses Risiko wird als zu hoch bewertet. Damit bleibt die Partei aber auf ihre »Bündnisfähigkeit« gegenüber der Sozialdemokratie, und bis zu einem gewissem Grade auf deren Wohlwollen angewiesen.

Hue, Buffet und die Refondateurs
Wie es in Zukunft weitergehen soll, darüber streiten sich innerhalb der KP die Geister. Die Anhänger des vormaligen Parteivorsitzenden (1994-2002) und Präsidentschaftskandidaten Robert Hue streben ein privilegiertes Bündnis mit der Sozialdemokratie an, das einen Vorrang für »Regierungsfähigkeit« einschließt. Hue hielt sich im diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf stark zurück, saß jedoch während der Veranstaltung zum Wahlkampffinale der rechtssozialdemokratischen Kandidatin Ségolène Royal am 1. Mai auffällig platziert unter den Kameras. Dagegen setzte die Hauptfraktion in der Parteiführung unter ihrer Vorsitzenden Buffet auf ein »anti-neoliberales« Bündnis. Ähnlich wie die Refondateurs oder »Neugründer«, die dafür eintreten, dass die KP ihre tradierten Parteistrukturen überwindet und in einer breiteren, pluralistischen Allianz auf der Linken aufgeht.
Im Unterschied zu den Neugründern wollten Buffet und ihre Anhänger jedoch, dass die »anti-neoliberale Linke« durch eine Kandidatin oder einen Kandidaten der Partei selbst bei der Präsidentschaftswahl vertreten wird - im Sinne eines Kurses der kontrollierten Öffnung. Als das Bündnis jedoch im Dezember platzte, zog die Buffet-Fraktion die Eigenkandidatur der Partei durch, bemühte sich freilich um Unterstützung aus anderen Teilen der Linken.
Daraufhin räumte die Fraktion der Refondateurs ihre sämtlichen Sitze in der Parteiführung. Auch innerhalb der LCR kreidete eine starke Minderheit, die zumindest zeitweise über 30 Prozent der Organisation repräsentierte, ihrer Leitung den kompromisslosen Kurs etwa gegenüber der KP und das Scheitern der Bündnispläne an. Aus beiden Lagern rekrutierten sich in der Folge viele Unterstützer der Kandidatur José Bovés. Der aber legte nicht nur ein schlechtes Ergebnis hin, sondern enttäuschte auch etliche seiner politischen Freunde, als er kurz nach dem ersten Wahlgang ein Angebot der französischen Blair-Kopie Ségolène Royal annahm. Die hatte Bové angeboten, in ihrem Namen einen Untersuchungsbericht über »Globalisierung und Ernährungssouveränität« zu erstellen, worauf der frühere Bauernrebell bereitwillig einging.
Teile der Linken liegen seitdem in Scherben. Die »herkömmlichen Parteistrukturen«, die Bové im Wahlkampf als Verantwortliche für das Nichtzustandekommen einer Bündniskandidatur schalt, haben sich zumindest vorläufig durchsetzen können. Bisher hat sich aber auch keine Alternative zu ihnen herausschälen können.

Bernhard Schmid (Jahrgang 1971), lebt seit 1995 in Paris und hat bereits mehrere Bücher über Innen- und Außenpolitik Frankreichs veröffentlicht. Demnächst erscheint bei Pahl-Rugenstein: Das Frankreich der Reaktion. Neo...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.

- Anzeige -
- Anzeige -