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Die SPD bekommt schnell kalte Füße

Ministerpräsident Dietmar Woidke nennt die Stimmung im Kabinett gut. Stimmt das?

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Ort nennt sich »An der blauen Wand«. Es ist ein Raum in der Potsdamer Staatskanzlei. Dort stehen nach der Sitzung des rot-roten Kabinetts Ministerpräsident Dietmar Woidke und Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (beide SPD) und informieren über ihre Sicht auf den Strukturwandel im Lausitzer Braunkohlerevier. Woidke hat gleich noch einen anderen Termin. Er muss sich beeilen. Regierungssprecher Florian Engels entschuldigt seinen Chef schon einmal und bittet die Journalisten, weitere Fragen - wenn möglich - an den Wirtschaftsminister zu richten, der noch bleiben könne. Doch eine Frage soll Woidke noch selbst beantworten: Wie ist die Stimmung im Kabinett?

»Gut, ausgezeichnet«, versichert der Ministerpräsident hastig. Die Arbeit mache ihm Spaß, schiebt er nach. Es klingt trotzig. Woidke wirkt angefressen. Ein paar Tage zuvor publizierte die Wochenzeitung »Die Zeit« online einen Beitrag unter der Überschrift: »Gibt es noch einen Ausweg?« In Brandenburg drohe ein Wahlsieg der AfD, heißt es da. Der Ministerpräsident würde ihn gern verhindern. »Doch wirkt er ziemlich hilflos.«

Der lange Text beginnt mit dem Woidke-Zitat »Da müssen wir uns keine Sorgen machen« und er endet auch damit. Doch die präsentierten Fakten und Einschätzungen sprechen eine andere Sprache. Kurz zusammengefasst: der Ministerpräsident sei wankelmütig, stehe im Schatten seiner Vorgänger Manfred Stolpe und Matthias Platzeck und habe nichts geleistet. Es liest sich so, als habe er allein die brandenburgische SPD innerhalb von fünf Jahren von 32 auf 23 Prozent heruntergewirtschaftet.

Freilich wird Woidke zugestanden, dass die miserable Situation nicht allein auf sein Konto geht. Als Versager stellt ihn CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben hin. Das ließe sich verschmerzen. Kritik von der Opposition ist Alltag im politischen Leben. Schwerer zu verkraften sind zwei kurze Passagen, die von einer tiefen Unzufriedenheit der Linkspartei mit dem Regierungschef handeln. Woidke hatte Ende 2017 während einer Reise in der Prignitz verkündet, dass die Kreisgebietsreform wegen des zu großen Widerstands dagegen abgeblasen wird. Nur so nebenher, auf einem Parkplatz, beerdigte er das wichtigste Projekt der rot-roten Koalition. In diesem Moment, so steckte ein nicht näher bezeichneter »Koalitionär« der Wochenzeitung »Die Zeit«, sei bei den Sozialisten der Eindruck entstanden, man habe es in der SPD nur noch mit Amateuren zu tun.

Doch es kommt noch dicker. In einer zweiten Passage ist davon die Rede, dass alle anderen Parteien von der seit 1990 in Brandenburg regierenden SPD genug haben, dass sogar den Sozialisten nach der Landtagswahl im September 2019 eine Dreierkoalition mit CDU und Grünen lieber wäre. Wer so denkt und es hinter vorgehaltener Hand sogar ausspricht, bleibt ein Rätsel - obwohl es einzelne Politiker gibt, denen das zuzutrauen wäre. Realistisch betrachtet wird eine Koalition mit der CDU bei den Sozialisten jedoch nur für Fall in Betracht gezogen, dass anders keine stabile Landesregierung zu bilden ist. Finanzminister Christian Görke (LINKE) zum Beispiel hat eine rot-rot-grüne Koalition nicht abgeschrieben. Dazu müsste die SPD sich fangen, die Grünen müssten ein bisschen zulegen und die LINKE müsste wenigstens stabil bleiben. Das könnte reichen. Mal abgesehen von nahezu unüberbrückbaren Differenzen zwischen CDU und LINKE, ein Dreierbündnis dieser zwei Parteien mit den Grünen ist auch rechnerisch weniger wahrscheinlich. Hinter der Option Rot-Rot-Grün lag ein solcher Dreibund in den zwei jüngsten Umfragen zwei beziehungsweise vier Prozent zurück.

»Natürlich gibt es in einer Koalition unterschiedliche inhaltliche Sichtweise und Problemlagen«, erklärt Görke. Bevor diese das Kabinett erreichen, seien sie »in der Regel politisch bearbeitet«. Görke versichert: »Die Arbeitsweise des Kabinetts ist professionell und auf die zu lösenden Aufgaben im Land konzentriert.« Das klingt, als müsste sich Ministerpräsident Woidke tatsächlich keine Sorgen machen. Muss er aber doch. Schließlich wird geflüstert, in seiner eigenen Partei gebe es Zweifel, ob er der richtige Mann sei, bis zum September eine Trendwende zu schaffen. Und es heißt, es gebe Genossen, die ihn lieber loswerden möchten.

Dazu kommt, dass die anderen Genossen, die LINKEN, zunehmend genervt sind. Die SPD traue sich nicht mehr an Projekte heran, bei denen Gegenwind droht. Die Sozialdemokraten seien nervös, wollen sich fast nur noch um die innere Sicherheit kümmern, beklagen gleich mehrere Landtagsabgeordnete.

Dazu passen die harten Verhandlungen über das Polizeigesetz, das Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) unbedingt verschärfen möchte. Dazu passt aber auch der Fall von Ex-Sozialministerin Diana Golze (LINKE). Sie trat Ende August wegen eines Pharmaskandals zurück. Nun wollte sie nicht untätig herumsitzen und von ihrem Übergangsgeld leben. Sie wollte einen deutlich schlechter bezahlten Job bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) annehmen. Es gilt in Brandenburg aber seit 2015 eine Karenzregelung. Demnach dürfen ehemalige Minister zwei Jahre lang nicht ohne Weiteres in Branchen arbeiten, für die sie vorher als Politiker zuständig waren. Golze beantragte eine Genehmigung. Die Staatskanzlei hatte offenbar anfangs wenig dagegen einzuwenden. Doch dann soll der Ministerpräsident »kalte Füße« bekommen haben. Wäre der Wunsch Golzes abgeschlagen worden, so hätten Finanzminister Görke, Justizminister Stefan Ludwig und die neue Sozialministerin Susanna Karawanskij (alle LINKE) im Kabinett sicherlich gegen eine solche Entscheidung gestimmt. Es hätte ordentlich Krach gegeben.

Daran schrammte die Koalition knapp vorbei. Kurz vor Weihnachten zog Golze ihr Gesuch überraschend zurück. Sie ließ aber durchblicken, noch nicht auf die Stelle bei der AWO zu verzichten. Sie wartet ab, was die Kommission empfiehlt, die dem Kabinett nun raten soll, wie mit ähnlichen Fällen künftig zu verfahren sei.

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