- Kultur
- Debatte um Heimatbegriff
Ein brutales Gefühl
Die Rede von der »Heimat« ist der Soundtrack zur völkischen Mobilmachung.
Schwetzingen, eine Kleinstadt bei Heidelberg, im August 2018. Die Grünen-Parteispitze ist auf politischer Sommertour. Annalena Baerbock und Robert Habeck wollen mit den Menschen über das Thema Heimat sprechen. Doch während der Diskussion kommt es zu tumultartigen Szenen, eine Gruppe Rechter hat sich unter das Publikum gemischt. Sie wollen ihre völkische Definition von »Heimat« stark machen, die grünen Heimatfreund*innen im Saal versuchen sie zu übertönen, keine Seite will der anderen die Heimat überlassen. Schöner lässt sich wohl kaum die aktuelle Debatte in Deutschland versinnbildlichen.
Heimat boomt, und es scheint kein Entrinnen zu geben. Ob in der Werbung, in den Medien oder in der Politik. Jeder und jede muss sie haben, lieben, verteidigen. Dabei tun alle Beteiligten so, als ob ihnen die Heimat schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen sei. Was eine glatte Lüge ist, denn bis vor wenigen Jahren spielte sie in der Politik kaum eine Rolle. Wann das begann, lässt sich recht einfach bestimmen: Nämlich als in Österreich »die soziale Heimatpartei« FPÖ sich anschickte, ihren Platz auf der Regierungsbank wieder einzunehmen, und sich in Deutschland abzeichnete, dass die AfD, die »einzig wahre Heimatpartei« (Gauland), ernstzunehmende Chancen auf politische Einflussnahme im Bund hat. »Heimat« entspringt dem Diskurs der Rechten. Und noch vor wenigen Jahren wähnte diese sich damit in Opposition zum Mainstream: »Heimatliebe ist kein Verbrechen«, fühlte sich damals die neofaschistische Identitäre Bewegung genötigt zu betonen. Heute müssen sich die Neofaschisten mit den Grünen streiten, wessen Liebe zu Deutschland größer ist. »Wir lieben dieses Land. Es ist unsere Heimat. Für diese Heimat werden wir kämpfen.« Dieser Schlachtruf stammt nicht etwa von den Identitären, sondern von der grünen Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.
Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, gehalten auf der Konferenz »Bekenntnis zur Heimatlosigkeit« Anfang Oktober in der Roten Flora in Hamburg. Thorsten Mense, Soziologe und Journalist, arbeitet gerade zusammen mit Thomas Ebermann an einem Anti-Heimat-Abend, der unter dem Titel »Eine Besichtigung des Grauens« ab April 2019 auf Tour gehen wird.
Der Boom der Heimat ist das Grundrauschen der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung. In ihm zeigt sich nicht nur die Übernahme rechter Begriffe in den öffentlichen Diskurs, sondern ebenso ein weit verbreitetes reaktionäres Bedürfnis nach natürlicher Zugehörigkeit, Authentizität und Ursprünglichkeit. Seit Jahren erleben die Verkaufszahlen bei der Trachtenmode einen rasanten Anstieg, die auflagenstärkste Publikumszeitschrift (neben den Fernsehmagazinen) ist das Blumen- und Boden-Lifestyle-Magazin »Landlust«, und überall sprießen Heimatfestivals und -Projekte aus dem Boden, massiv gefördert und gefordert vom Staat.
Die gesellschaftlichen Ursachen hierfür herauszuarbeiten, das wäre die Aufgabe der Linken. Denn die Erfahrung der Entfremdung, des Kontrollverlustes und der sozialen Desintegration, aus dem sich dieses Bedürfnis speist, ist real. »Heimat« aber ist die falsche Antwort auf die falschen Verhältnisse. Wer sich in die Heimat flüchtet, will die Welt nicht ändern, sondern die Menschen mit den Verhältnissen versöhnen. Die Heimatdebatte überdeckt die materiellen Ursachen der Entfremdung und geht einher mit einer Entpolitisierung gesellschaftlicher Probleme. Plötzlich ist alles »Heimat«: der Ausbau des Breitbandnetzes, der Nahverkehr, bezahlbarer Wohnraum, ausreichende Rente, der Schutz der Natur. Als bloße soziale Forderungen scheint all das kaum noch Berechtigung zu besitzen. Und wenn die Mieten weiter steigen, die Renten weiter sinken und der Bus immer noch nicht ins Dorf fährt, sind eben die Leute verantwortlich, die hier »fremd« sind und denen an »unserer Heimat« nichts liegt. Aus dem Gerede über die »globalistische Klasse« und die »wurzellose« Elite lugt bereits das antisemitische Ressentiment hervor. Und die Beschwörung eines Konkurrenzkampfes zwischen Autochthonen und Zugewanderten wird selbst im Lager der Linkspartei zelebriert.
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Der »Heimatminister« Horst Seehofer machte im April in der »FAZ« deutlich, worum es bei der Debatte eigentlich geht: Nation und Leitkultur seien mittlerweile zu »streitbelastet«. »Heimat« ist die Modernisierung ethnisch-kultureller Gemeinschaftsvorstellung, eine Neuauflage der bekannten Debatten um »Volk«, Nation und »Identität«. Und somit eine Einstimmung auf kommende Zumutungen und Unmenschlichkeiten. Die Deutschen sind wieder einmal auf der Suche nach sich selbst. Eine Suche, die, auch aus der Erfahrung der letzten hundert Jahre, jene, die möglicherweise nicht zum vergemeinschafteten »Wir« gehören dürfen, mit Sorge betrachten sollten.
Es ist keineswegs Koinzidenz, dass die Heimatdebatte 2015 mit der Ankunft der ersten Geflüchteten begann. Es ging darum, sich zu vergewissern, warum jene nicht dazugehören. Je stärker das Gefühl der Heimatverbundenheit, desto größer das Ressentiment gegen Migrant*innen. Dieser Zusammenhang wurde kürzlich erst vom Thüringen-Monitor der Universität Jena empirisch unterfüttert. Bodo Ramelow, der Ministerpräsident des Freistaates, dessen Bevölkerung zu 58 Prozent die Bundesrepublik für »in gefährlichem Maß überfremdet« hält, will das nicht sehen. Stattdessen betont er stolz, dass er das »Brauchtum« in Thüringen so stark gefördert habe wie kein Landeschef zuvor. Im März sagte er: »Wenn jemand seine Heimat als Schutzraum sieht, soll er diesen Schutzraum haben.« Ein gefährliches Versprechen, denn »Heimat als Schutzraum« liegt näher am »Thüringer Heimatschutz«, als Ramelow lieb sein kann. Darüber sollte man sich trotz aller pluralistischen und weltoffenen Heimatideen keine Illusionen machen. Wenn die AfD den Slogan »Heimat bewahren« plakatiert, weiß jeder und jede, was gemeint ist.
»Heimat« ist im Kern eine völkische Idee, denn sie verwechselt Menschen mit Bäumen und spricht ihnen einen natürlichen Platz in der Welt zu. Aber wer Menschen verwurzelt, entmündigt sie und ordnet sie der Natur und dem Kollektiv unter, macht sie zu Sklav*innen der Gerüche und Geschmäcker ihrer Kindheit. Dass »Heimat« nur »ein Gefühl« sei, wie allerorts zu lesen ist, verstärkt den Verdacht der in ihr schlummernden Brutalität. Denn wenn nur ein von der Mehrheit geteiltes »Gefühl« bestimmt, was »Heimat« ausmacht, gibt es keine Institution, keine höhere Instanz, auf die sich die Minderheit berufen könnte, die von jener Bestimmung unterdrückt oder ausgeschlossen wird. »Heimat« bedeutet die Tyrannei der Mehrheit, »Lynchjustiz« und damit »prinzipiell Erlaubnis zum Mord«, wie es Klaus Theweleit kürzlich treffend formuliert hat. Sie ist bereits der Schlachtruf, mit dem Nicht-Weiße in Chemnitz durch die Straßen gejagt werden, und ebenso die Legitimation des Staates, Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Das »Recht auf Heimat« - abgesehen davon, dass dies bei den Vertriebenenverbänden bis heute den völkischen Anspruch auf die »deutschen Ostgebiete« bezeichnet - verweigert zwangsläufig anderen jenes Recht.
Grundsätzlich kann »Heimat« als Wert nur Bedeutung haben in einer Welt, in der zugleich Millionen Menschen auf der Flucht sind. Und jene sind eben nicht nur aus ihrer Heimat geflohen, sondern ebenso vor ihrer Heimat, nämlich einer spezifischen Vorstellung davon, in der sie und ihre Angehörigen keinen Platz hatten. »Ein Heimatloser hat keine Heimat, aber ein Exilant glaubt, eine zu haben. Er hat nicht mit denjenigen gerechnet, die in der sogenannten Heimat geblieben sind«, erinnerte sich Georg Kreisler an seine Flucht vor den Nazis. Das Idyll der Heimat vernichtet die Erinnerung an ihre Opfer. Diese Idylle ist nicht nur eine falsche, sie ist auch gefährlich. Denn die »Liebe zur Heimat« trägt den Hass auf alles, was die vermeintliche Idylle stört - das »Fremde«, Störenfriede und jegliche Form von Emanzipation - bereits in sich.
Die Idee der »Heimat« kann man also den Rechten überlassen, denn da gehört sie hin. Die Linke hingegen sollte nicht dafür eintreten, dass alle eine Heimat haben, sondern dafür, dass niemand mehr eine braucht. Und sich dieser autoritären Formierung einer neuen deutschen Identität verweigern.
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