Vom Mann, der an Telefonkästen steht

  • Robert Rescue
  • Lesedauer: 3 Min.

Gelegentlich begegne ich ihm, wenn ich das Haus verlasse und auf den Telefonkasten schaue. Er trägt das ganze Jahr einen abgewetzten Trenchcoat und einen breitkrempigen Hut. Dazu passt der Einkaufstrolley, der neben ihm steht.

Es ist kein neues Modell in schillernden Trendfarben, sondern ein alter, bleicher, von der vielen Nutzung ausgebeulter Einkaufswagen. Ein Markenzeichen der alteingesessenen Weddinger. Junge Zugezogene benutzen Trolleys überhaupt nicht und wenn sie es tun würden, dann sicherlich kein Modell von 1985, das seit dieser Zeit über die Straßen des Wedding hin- und hergerollt wird.

Der Mann steht am Telefonkasten und hat ein Bier abgestellt, so als sei der Kasten ein Tresen. Sein Blick ruht nachdenklich auf dem hektischen Verkehr der Seestraße Richtung Autobahnzufahrt. Jedes Mal denke ich, dass er reihum die Telefonkästen im Kiez abklappert, bei jedem eine Weile steht und ein Bier trinkt, bevor er weiterzieht. Neulich habe ich ihn angesprochen, weil mir eine Erledigung in den Sinn kam, bei der er mir helfen konnte.

»Ich wollte fragen, ob sie auch an Silvester hier stehen? Also ziemlich genau um Mitternacht.« Er schaute mich verwundert an.

»Also die Sache ist so«, holte ich aus. »Ich bin an Silvester nicht da. Also eigentlich müsste ich hier sein und genau an der Stelle, wo sie jetzt stehen. Die Sache ist nämlich - vor drei Jahren hat irgendein besoffener Halbstarker einen Polenböller dazu benutzt, den Telefonkasten förmlich in die Luft zu sprengen. Wir hatten tagelang kein Telefon, aber was schlimmer war, kein Internet. Drei oder vier schreckliche Tage. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, dafür zu sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholt. Jedes Mal an Silvester stehe ich von 23 Uhr bis zwei Uhr hier draußen und wenn einer mit Böllern kommt, dann sage ich dem meine Meinung. Der kann zwei Köpfe größer sein, da habe ich keine Angst vor. So etwas wie damals darf nicht nochmal passieren. Aber dieses Jahr bin ich nicht da. Die Eltern meiner Freundin feiern goldene Hochzeit. Und als ich gerade aus dem Haus trat, kam mir die Erleuchtung. Ich meine, Sie stehen ja oft hier und da wäre es wohl kein Problem für Sie, wenn Sie auch Silvester hier sind. Das war der Gedanke.«

Er schaute mich abwägend an. Ich zückte die Brieftasche. Nur ein 50-Euro-Schein. Na gut, das sollte mir die Sache wert sein.

»Ja«, sagte er und nahm den Schein. »Aller Voraussicht nach werde ich hier sein.«

Ich nickte zufrieden und ging meiner Wege.

Als ich am 2. Januar zurückkehrte, hielt ich am Telefonkasten an. Es war alles in Ordnung. Oben auf dem Deckel klebte ein Zettel: »Niemand wollte ihr Internet zerstören. Freundlichst, ihr Karl-Johann Amringer.«

Natürlich googelte ich den Namen gleich, um mehr über ihn herauszufinden. Aber ich fand nichts.

Er war einfach nur ein älterer Mann mit einem Hang zum Alkohol und einer Vorliebe für Telefonkästen.

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