Erdogans Raketenproblem

Türkei verhandelt mit Russland über Syrien - und kauft von den USA Patriot-Raketen für 3,5 Milliarden Dollar

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

In dem Telefongespräch vom 14. Dezember, in dem US-Präsident Donald Trump seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan den Abzug aus Syrien versprach, den er dann einige Tage später auch gegenüber der Öffentlichkeit bekanntgab, ging es auch um Raketen. Erdoğan bekommt für die Türkei amerikanische Luftabwehrraketen vom Typ Patriot, und das auch noch mit einem Preisnachlass: »Nur« 3,5 Milliarden US-Dollar soll das Ganze kosten. Der Deal hat eine lange Vorgeschichte. Zunächst hatte man in den USA Sicherheitsbedenken, wollte dann aber doch unbedingt an Ankara verkaufen, auch damit sich die Türken nicht in Peking oder Moskau bedienen.

Sonderpreis und keine Sicherheitsbedenken, das hört sich nicht schlecht an für die Türkei. Doch Erdoğan hat ein Problem. Er hat nämlich bereits Flugabwehrraketen fest bestellt, nämlich vom Typ S-400 - in Moskau. Die russischen Raketen sind auch um eine glatte Milliarde billiger. Dass Erdoğan nun auf das verbilligte aber noch immer teurere amerikanische System setzt, mag mit Trumps Abzug aus Syrien zusammenhängen. Schließlich ist es mit der einen Milliarde auch nicht getan, Erdoğan muss entweder beide Systeme kaufen oder irgendwie aus dem Vertrag mit Russland herauskommen. Das kann teuer werden, finanziell und politisch.

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Also erzählten türkische Beamte anonym der Nachrichtenagentur Bloomberg, die Türkei habe die Absicht, die S-400 amerikanischen Experten zur Begutachtung zur Verfügung zu stellen. Die Meldung wurde dann durch die eigene Nachrichtenagentur Anadolu zwar sofort dementiert, aber das Gerücht ist in der Welt. Offenbar soll Moskau Angst bekommen, die USA könnten russische Militärtechnik ausspähen, um dann freiwillig auf den Verkauf zu verzichten. Oder ging es darum, allgemein Sicherheitsbedenken zu streuen, in der Hoffnung, dass einer der beiden Verkäufer abspringen wird?

Jedenfalls dürfte man in Moskau nicht erfreut sein. Der Einkauf russischer Raketen, der in der NATO und insbesondere den USA für großen Ärger sorgte, hatte für Erdoğan - abgesehen davon, dass er anfangs keine Wahl hatte, da Washington sich zierte - auch den Effekt, dass die Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin sich verbesserten.

Aus Putins Sicht mag der Raketendeal zwar auch ein erfreulicher Aspekt gewesen sein, aber viel wichtiger war für ihn wohl der Keil, den er so zwischen die NATO-Länder Türkei und USA treiben konnte. Jetzt, da Trump seine Soldaten aus Syrien abzieht, braucht er Erdoğan in dieser Hinsicht nicht mehr. Dafür braucht Erdoğan Putin um so mehr, denn dessen Rolle in Syrien wird durch den US-Abzug noch gestärkt. Ohne Putins Erlaubnis kann Erdoğan seine Luftwaffe in Syrien nicht gegen die Kurden im Norden des Landes gebrauchen.

Eine hochrangige Delegation, bestehend aus Außenminister, Verteidigungsminister, Geheimdienstchef und Erdoğans Sprecher, war deshalb am Samstag in Moskau und sprach anderthalb Stunden lang mit den Russen über Syrien. Für die Zahl der Teilnehmer und die Komplexität des Themas waren das keine langen Gespräche. Und die Erklärung, die Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach dem Treffen abgab, war sehr allgemein. Die Stadt Manbidsch, vor der die türkische Armee und ihre Verbündeten aufmarschiert sind, erwähnte er mit keinem Wort. Der russische Außenminister Sergej Lawrow betonte, man habe sich auf ein Verfahren zur militärischen Koordinierung geeinigt. Es sollten alle terroristischen Bedrohungen in Syrien beseitigt werden.

Es ist erst gut zwei Wochen her, da klang Erdoğan so, als könne die Türkei jederzeit gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte SDF, zu denen die überwiegend kurdische linke YPG gehört, losschlagen. Nun muss erst einmal koordiniert werden, und das mit den Russen, die gleichzeitig darauf drängen, dass sich die Kurden mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad einigen. Bei »Terroristen« denkt man in der Türkei an die YPG, in Moskau aber eher an Rebellenorganisationen in Idlib. Es spricht alles dafür, dass Erdoğan in Moskau derzeit auf Granit beißt, nicht in erster Linie, aber auch wegen der Raketenfrage. Wenn bei Folgegesprächen Iran wieder dazukommt, dürfte es für Ankara nicht einfacher werden, denn auch den dortigen Machthabern geht es vor allem darum, Assads Souveränität in Syrien wieder herzustellen.

Ein pikantes Detail in der Frage des Raketendeals ist überdies, dass es 1998/99 für die NATO schon einmal ein ähnliches Problem gab. Die Republik Zypern wollte russische S-300 Luftabwehrraketen stationieren. NATO und USA waren damals empört, die Türkei drohte und verhängte ein Embargo gegen den griechischen Teil der Insel. Die Raketen wurden bezahlt, aber nicht auf Zypern stationiert. Das Embargo besteht aber bis heute - und führte zu manchen Querelen zwischen der Türkei und der EU.

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