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Richtig blockieren
Welche Entwicklungen man verlangsamen, stoppen oder sogar umkehren sollte
Üblicherweise fordern Politiker Dynamik, Schwung, Geschwindigkeit und kritisieren ihre Gegner als Bremser und Blockierer. Derzeit jedoch sind Bremsen beliebt. Die CSU freundet sich mit einer »Steuerbremse« an. Sie soll den Staat zu Maßnahmen zwingen, die die steuerliche Belastung der Menschen nicht weiter steigen lassen. Das gefällt dem deutschen Steuerzahlerbund. Sein Präsident Reiner Holznagel möchte bei der Steuerbremse auch Sozialabgaben berücksichtigt sehen.
In die gleiche Kerbe schlägt die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«: Sie kritisiert den »immer weiter steigenden Aufwand der sozialen Absicherung«, mit dem allerdings »keine entsprechend wachsende Zufriedenheit der Begünstigten einhergehe«. Das könnte zwar schlicht daran liegen, dass von Sozialleistungen zu leben nicht unbedingt zufrieden macht. Die »FAZ« schlägt aber dennoch vor, eine »Sozialstaatsbremse im Grundgesetz« einzurichten, die als »Überforderungsschutz« dienen soll. So könnte zum Beispiel festgelegt werden, dass die Ausgaben für Soziales nicht schneller wachsen dürfen als die Wirtschaftsleistung, womit die Sozialquote fixiert wäre. Dahinter steht das Diktum von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, dass ab 50 Prozent Staatsquote der Sozialismus beginnt. Kohl wollte dies als Warnung verstanden wissen.
Die aktuelle Bremsenkonjunktur wollen wir nutzen, um ein paar alternative Blockade-Mechanismen ins Spiel zu bringen: Elf Ideen von Wolfgang Hübner, Stephan Kaufmann, Eva Roth, Velten Schäfer, Steffen Schmidt, Simone Schmollack, Ulrike Wagener und Lou Zucker.
Spaßbremse
Silvesterknaller, Fleischkonsum, große Autos – wer das kritisiert, setzt sich schnell dem Vorwurf der Spaßbremse aus. Angesichts von Klimawandel, Feinstaub- und Lärmbelastung können wir mit diesem Vorwurf allerdings gut leben. Auch Feminist*innen werden immer wieder als Spaßbremsen bezeichnet, wenn sie bei der Familienfeier mal wieder erklären, warum der Witz des Onkels nicht witzig sondern sexistisch war. Die Theoretikerin Sara Ahmed hat mit ihrem Blog den Begriff »feminist killjoy« geprägt. Sie hält es für eine feministische Aufgabe, »die Stimmung zu versauen«: Für eine Spaßbremsenbewegung! luz, kau
Rüstungsbremse
Die Geschäfte der Waffenindustrie florieren, es wird so viel gerüstet wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Auch in Deutschland, wo für die nächsten Jahre eine doppelte Beschleunigung vorgesehen ist: Von der steigenden Wirtschaftsleistung will die Regierung größere Anteile fürs Militär ausgeben. Da zusätzliche Rüstung bislang nicht zu mehr Frieden und Sicherheit geführt hat, wäre eine Rüstungsbremse vielleicht hilfreich. So könnte festgelegt werden, dass der Rüstungsetat nicht über dem für Entwicklungshilfe liegen darf. kau
Mietpreisbremse
Die gibt’s doch schon? Ja, sie existiert, aber sie wirkt nicht. Die Mieten steigen und steigen, vor allem in Metropolen wie München, Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis in München liegt laut Mietspiegel bei 19,44 Euro. Welche Krankenschwester, welcher Flugbegleiter, welche Einelternfamilien sollen das bezahlen? Da hilft nur eins: eine echte Mietpreisbremse, die Mieten nicht durch faule Tricks oder »Zweitmieten« wie teure Nebenkosten in unsägliche Höhen treiben kann. Eine Miete inklusive Betriebskosten sollte insgesamt zehn Euro pro Quadratmeter nicht übersteigen. Okay, das stellt die Reichen besser. Aber es verhindert, dass Wohnen für Geringverdiener*innen zum Existenzproblem wird. sis
Metapherbremse
Die schwäbische Hausfrau ist als Teamplayer gut aufgestellt, hat ihre Hausaufgaben gemacht und den Gürtel enger geschnallt. Nun kann sie ohne Rettungsschirm das Sparpaket als Elfmeter versenken: Politmetaphern sind so ärgerlich, wie sie machtvoll den Alltagsverstand strukturieren. Weniger davon – und nur nach semantischer Prüfung durch unabhängige Gremien! vs
Männerklubbremse
Was haben Horst Seehofer, Andreas Scheuer, Joachim Drees und Götz Ahmelmann gemeinsam? Sie sind Chefs von Männerklubs – dem Innen- und Verkehrsministerium, dem Lkw-Bauer MAN und der Mitteldeutschen Flughafen AG. Horst, Andy, Joe und Götz haben auf ihren Chefetagen ausschließlich ihresgleichen um sich geschart: Anzugträger. Eigentlich sollten die Horsts, Andys, Joes und Götzens längst zu den Dinosauriern in den Chefetagen gehören. Tun sie aber nicht; hierzulande gibt es noch jede Menge andere Männerklubs. Dagegen hilft nur, klar, eine Männerklubbremse. Die praktischerweise kombiniert mit einer Merz-Bremse, erspart uns den Männerklubfanatiker Friedrich Merz, bevor der nach seiner Kandidatenpleite als CDU-Chef auf die Idee kommt, Kanzler werden zu wollen. sis
Armutsbremse
Manche Menschen können es nicht mehr hören: Der materielle Wohlstand in Deutschland ist zwar kräftig gewachsen, aber zunehmend ungleich verteilt. Ein Indikator dafür ist die Armutsquote, die trotz gesunkener Arbeitslosigkeit seit 2010 gestiegen ist, von 14,5 auf 15,8 Prozent. Gleichzeitig prägt die Ungleichheit den Alltag von Millionen Menschen, die etwa auf Hartz IV angewiesen sind oder einen Niedriglohnjob haben. Beides spricht dafür, die Entwicklung umzukehren und eine gleichmäßigere Verteilung des Wohlstands durchzusetzen, was schwierig ist. Es wäre aber ein gutes Vorhaben, 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, in dem steht: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« rt
Umfragebremse
Kaum ein Tag vergeht, an dem die Öffentlichkeit nicht mit einer Wahlumfrage behelligt wird. Immer mehr Umfrageinstitute und solche, die sich dafür halten, simulieren, was die Bürger tun würden, wenn Wahl wäre. Der mehrfache Konjunktiv regiert, mit weitreichender Unschärfe; Politik und Medien hecheln hinterher. Eine Umfragebremse könnte allen Beteiligten helfen, mal kein Statement abzudrücken, sondern einen Gedanken zu fassen. wh
Transportbremse
Winterzeit ist Kohlzeit. Das gilt zumindest für jene, die versuchen, sich in Deutschland möglichst regional und emissionsarm zu ernähren. Discountsupermärkte machen einem schwer, diesem guten Vorsatz zu folgen. Denn hier kommen Birnen aus China, Lauchzwiebeln aus Marokko und Bohnen aus dem Senegal. Der Transport belastet die Umwelt schwer. Dabei gibt es Gutes in der Nähe: als Vitaminlieferanten neben Äpfeln, Möhren zum Beispiel Gartenkresse. Und die kann sich eigentlich gleich jede*r selbst anpflanzen. uwa
Niedriglohnbremse
Hierzulande arbeiten sehr viele Menschen für einen Niedriglohn, was eine schwache Leistung der deutschen Industrie ist, die mehr kann und von der Politik unterstützt werden sollte, damit sie ihr Potenzial für die Gesellschaft nutzbringend entfalten kann. Zum Beispiel mit der Methode Fordern und Fördern: Die Politik könnte einerseits den Mindestlohn kräftig erhöhen und Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären und andererseits tarifungebundene Unternehmen steuerlich sanktionieren. Ergänzend wäre eine Umsatzrenditebremse zu prüfen, die ebenfalls über Steuern funktionieren könnte. rt
Autobremse
Bremsen gibt es ja nicht nur in Gleichnissen von Politikern. Autos haben tatsächlich Bremsen. Und die werden meist auch genutzt – an roten Ampeln, an Kreuzungen, am Stauende. Allerdings müssten Autofahrer vermutlich weitaus seltener aufs Bremspedal treten, wenn sich die Verkehrspolitiker in Deutschland ein Beispiel an unseren Nachbarländern nehmen würden. Dort gilt auch auf Autobahnen durchgängig ein Tempolimit, während man hierzulande allenfalls wegen Baustellen, schadhaften Autobahnabschnitten oder eben Staus den Fuß vom Gas nehmen muss. StS
Zeitbremse
Fast neun von zehn Deutschen fühlen sich mittlerweile von ihrer Arbeit gestresst, immer häufiger kommt es zu Burn-out und Depression. Hauptgrund für die Erschöpfung ist ständiger Termin- und Leistungsdruck. Die Aufgaben liegen auf dem Tisch, doch die bezahlte Arbeitszeit ist zu kurz. Nützlich wäre daher eine Bremse, die die Zeit langsamer laufen lässt, so dass man in einer Stunde mehr schafft. Da das Quatsch ist, ist die einzige Lösung eine Anforderungsbremse. Weniger Leistung, längeres Leben. kau
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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