- Kultur
- Reportage - Suhl
»Der Lauf schießt, aber der Schaft trifft«
In Südthüringen behauptet sich eine 500-jährige Handwerkstradition, die die Region um Suhl heute wieder zur führenden Jagdwaffenschmiede Deutschlands macht. Die meisten Waffen allerdings sind Unikate für gutbetuchte Jäger.
Prüfend fährt Helmut Adamy über den hölzernen Schaft, wendet ihn nach allen Seiten, presst die Büchse an die Schulter. Sein Blick verrät Zufriedenheit. Der Kunde werde es wohl auch sein, sinniert der Büchsenmachermeister. »Immerhin war er höchstselbst zur Anprobe hier.« Zur Anprobe? »Ja, zur Anprobe. Ein Jagdgewehr hat etwas von einem Maßanzug«, erzählt Adamy voller Ernst. Vor allem die Schaftform müsse man sehr penibel anpassen: »Wie ein Designersakko!« Denn bei zehn Jägern finde man zehn verschiedene Schaftmaße. Der eine sei dick und klein, ein anderer lang oder dürr, manche hätten viel Hals, andere fast keinen. »Der Lauf schießt, aber der Schaft trifft«, prahlt der 57-Jährige ein wenig.
Helmut Adamys kleine Werkstatt in einem schiefergedeckten Suhler Haus erinnert ein wenig an ein Gemälde von Menzel oder Spitzweg. Niedrige Decke, holzgetäfelte Seiten, die mit der Zeit recht dunkel wurden, Arbeitstische voller Werkzeuge und Waffenteile. In den Ecken kleine mechanische Maschinen und an den Wänden darüber Büchsenkolben, Regale mit Arbeitsutensilien, hier und da auch Jagdtrophäen. Im Schraubstock vor ihm klemmt ein Gewehrschloss, an dem es noch Nacharbeiten gibt.
Tradition reicht bis ins Jahr 1563 zurück
Keine Frage, hier ist ein Handwerker von altem Schrot und Korn zugange. Und man glaubt ihm aufs Wort, wenn er versichert, er führe den Familienbetrieb schon in siebter Generation. Mithin gehört Adamy zu den knapp drei Dutzend Büchsenmachern in und um Suhl, die alle politischen und technologischen Zeitenläufe überstanden und bis heute auf althergebrachte Weise Flinten und Büchsen vom Feinsten fertigen.
Viele haben wie er ihre Werkstatt gleich im Wohnhaus und beschäftigen gerade noch ein, zwei Mitarbeiter. Damit halten sie eine authentische Tradition aufrecht, die bis ins Jahr 1563 zurückreicht. Damals erhielten die Suhler Büchsenmacher die Innungsprivilegien. Dass die Stadt hernach zu Europas Zentrum für Handfeuerwaffen aufstieg, hatte freilich auch mit dem nahenden 30-jährigen Krieg zu tun.
Es folgten Höhen und Tiefen, Stadtbrände und auch mal friedliche Zeiten, die für Waffenmacher halt nicht immer von Segen sind. Und schließlich ein allzu blutiger Krieg, dessen Sieger den Deutschen den Waffenbau völlig untersagten. Erst in den 1950er Jahren durften wieder Jagdwaffen entstehen. Doch nun war im Osten privates Gewerbe nicht mehr so gut gelitten, weshalb die Zahl von 450 selbstständigen Büchsenmachern nach und nach auf 15 schrumpfte.
Dann aber bestieg in Berlin mit Erich Honecker ein Mann den politischen Hochstand, der die Jagd zu seiner ersten Leidenschaft erkoren hatte. Damit genossen die Büchsenmacher gleichsam Artenschutz. Selbst die Verstaatlichungswelle 1972 sparte sie aus. »Es gab gar neue Gewerbegenehmigungen«, erinnert sich Adamy, der 1977 die väterliche Werkstatt übernahm. Ein anderer hatte schon 1960 eine eigene Büchsenmacherei gründen dürfen: Günter Retz in Goldlauter. Nunmehr 76-jährig, führt er bis heute mit Sohn Thorsten eine erfolgreiche Jagdwaffenmacherei. Eigentlich sei er ja Systemmacher, betont Retz sen., quasi Vertreter jener Sparte unter den einst 15 Teilhandwerken der Büchsenmacherkunst, die sich gern als Königsdisziplin feiert. »Denn wir liefern das Herz der Waffe«, betont er stolz, als wolle er sagen: Was sind schon Schaft, Rohr oder Beschläge gegen das Verschlussstück einer Kipplaufbüchse!
Wer mit Vater und Sohn Retz spricht, spürt es schon nach zwei Sätzen: In ihrer beschaulichen Werkstatt pulsiert noch das, was die Welt einst als »Suhler Stil« bei Jagdwaffen feierte: präzise gängige Mechanik, höchste Funktionalität in Schussleistung, Gewicht und Führigkeit sowie Pedanterie selbst bei Äußerem wie Schaftform, filigranen Gravuren und bunt gehärteten Systemteilen, was das Gewehr in bläulichem Perlmuttglanz schillern lässt. Und natürlich muss das Schaftholz vom Nussbaum stammen. »Ein Experte erkennt allein an der aufwendigen Optik, ob ein Jagdgewehr aus Suhl stammt«, so Retz. »Eine perfekte Waffe, die nicht gut aussieht, verkauft sich eben schlecht.«
Drillinge, Vierlinge und Fünflinge
Im Hause Retz obwaltet indes schon eine Art handwerklicher Purismus. Jede Waffe ist ein Unikat, eine individuelle Sonderbestellung. Ihre Kunden sind auch Politiker, Künstler, Wirtschaftsbosse. »Wir legen mehr Leidenschaft rein, als vielleicht nötig wäre«, meint Junior Thorsten. Der 38-Jährige scheint geradezu vom Ehrgeiz besessen, Büchsen und Flinten zu fertigen, die »teils noch nie einer machte oder aber schon lange nicht mehr«. Beispielsweise Vierlinge, die einen Schrot- und drei Kugelläufe haben - anstelle des Standards zweimal Kugel und zweimal Schrot. Oder den sogenannten Kronen-Drilling, der sich von außen spannen lässt, so dass ihn der Jäger auch mit einer Kugel im Lauf bei sich tragen kann, somit also schneller zum Schuss kommt. Lachen muss Thorsten Retz hingegen über einen »reichen Russen, der mal einen Fünfling bestellen wollte«. Nüchtern räumt er ein: »Rein technisch ist das nicht wirklich machbar.« Im Trend lägen indes Doppelbüchsen mit zwei Kugelläufen verschiedener Kaliber.
Ein gutes Dutzend Waffen fertigt die Firma Retz im Jahr. Auch bei Adamy sowie den meisten anderen Büchsenmachereien sind es nicht viel mehr. Präzision dauert halt. Dafür kostet ein gutes Suhler Gewehr auch leicht den Preis eines Kleinwagens, selbst wenn man ein Standardgewehr in Adamys Jagdwaffenshop am Suhler Markt auch schon für 3000 Euro bekommt. Es sind vor allem gutbetuchte Altbundesbürger, von denen die Suhler heute leben. »Einen Wendeknick haben wir nicht bemerkt«, meint etwa Günter Retz. 1990 habe es nicht lange gedauert, und die ersten Westdeutschen hätten an seiner Tür geläutet. Woher sie ihn kannten? Er lacht. Dem Namen nach seien die Adamy, Gißke, Ziegenhahn, Wolf, Reinhardt, Knopf, Keiner oder Retz im Westen auch vor der Wende ein Begriff gewesen. Denn Suhler Büchsenmacherkunst blieb dort unter Jägern nicht verborgen, auch wenn alles offiziell über die Büchsenmachergenossenschaft Bühag lief. Nur bedurfte manche Suhler Büchse, die sich einer über die Jahrzehnte bewahrt hatte, mit der Zeit doch einer gründlichen Visite vor Ort. »Bestimmte knifflige Reparaturen beherrschten die Kollegen im Westen einfach nicht mehr, denn sie waren gewohnt, defekte Teile auszutauschen. Wir dagegen mussten stets improvisieren und aus allem noch etwas machen«, erinnert sich Retz.
Heute beobachten die Thüringer nun mit Genugtuung, wie sie gegenüber der österreichischen Büchsenmacherstadt Ferlach ihre alten Marktpositionen zurückerobern. Denn die Kärntner profitierten nach dem Krieg lange von der deutschen Zweistaatlichkeit. In Suhl arbeitet überdies das älteste deutsche Beschussamt, wo jede neue Büchse mit Spezialpatronen auf Praxistauglichkeit geprüft wird. In Suhl hat der Bundesinnungsverband der Büchsenmacher seinen Sitz, geleitet übrigens in den letzten Jahren durch Helmut Adamy. In Suhl erhielt sich ein einzigartiges Jagdaffenmuseum. Und auch die Suhler Büchsenmacherschule ist neben jener im schwäbischen Ehingen die einzige in Deutschland.
Die Nachfrage junger Leute in den Meisterbetrieben ist heute wieder groß, registriert Thorsten Retz. Er selbst gehört übrigens zu den Gründern einer Deutsche Büchsenmachergilde, die sich konsequent dem Waffenbau im traditionellen Stil verpflichtet fühlt. Ihr gehören auch Büchsenmacher aus Bayern, Schwaben und dem Rheinland an. Mit dieser Gilde, so Retz jun., wolle man sich halt klar abgrenzen von Büchsen aus industrieller Fertigung. Denn auch diese gibt es heute wieder in Suhl, und auch sie bringen es wieder zu Weltruf. Eine »echte Merkel aus Suhl« - das gilt wie vor 10...
Helmut Adamys kleine Werkstatt in einem schiefergedeckten Suhler Haus erinnert ein wenig an ein Gemälde von Menzel oder Spitzweg. Niedrige Decke, holzgetäfelte Seiten, die mit der Zeit recht dunkel wurden, Arbeitstische voller Werkzeuge und Waffenteile. In den Ecken kleine mechanische Maschinen und an den Wänden darüber Büchsenkolben, Regale mit Arbeitsutensilien, hier und da auch Jagdtrophäen. Im Schraubstock vor ihm klemmt ein Gewehrschloss, an dem es noch Nacharbeiten gibt.
Tradition reicht bis ins Jahr 1563 zurück
Keine Frage, hier ist ein Handwerker von altem Schrot und Korn zugange. Und man glaubt ihm aufs Wort, wenn er versichert, er führe den Familienbetrieb schon in siebter Generation. Mithin gehört Adamy zu den knapp drei Dutzend Büchsenmachern in und um Suhl, die alle politischen und technologischen Zeitenläufe überstanden und bis heute auf althergebrachte Weise Flinten und Büchsen vom Feinsten fertigen.
Viele haben wie er ihre Werkstatt gleich im Wohnhaus und beschäftigen gerade noch ein, zwei Mitarbeiter. Damit halten sie eine authentische Tradition aufrecht, die bis ins Jahr 1563 zurückreicht. Damals erhielten die Suhler Büchsenmacher die Innungsprivilegien. Dass die Stadt hernach zu Europas Zentrum für Handfeuerwaffen aufstieg, hatte freilich auch mit dem nahenden 30-jährigen Krieg zu tun.
Es folgten Höhen und Tiefen, Stadtbrände und auch mal friedliche Zeiten, die für Waffenmacher halt nicht immer von Segen sind. Und schließlich ein allzu blutiger Krieg, dessen Sieger den Deutschen den Waffenbau völlig untersagten. Erst in den 1950er Jahren durften wieder Jagdwaffen entstehen. Doch nun war im Osten privates Gewerbe nicht mehr so gut gelitten, weshalb die Zahl von 450 selbstständigen Büchsenmachern nach und nach auf 15 schrumpfte.
Dann aber bestieg in Berlin mit Erich Honecker ein Mann den politischen Hochstand, der die Jagd zu seiner ersten Leidenschaft erkoren hatte. Damit genossen die Büchsenmacher gleichsam Artenschutz. Selbst die Verstaatlichungswelle 1972 sparte sie aus. »Es gab gar neue Gewerbegenehmigungen«, erinnert sich Adamy, der 1977 die väterliche Werkstatt übernahm. Ein anderer hatte schon 1960 eine eigene Büchsenmacherei gründen dürfen: Günter Retz in Goldlauter. Nunmehr 76-jährig, führt er bis heute mit Sohn Thorsten eine erfolgreiche Jagdwaffenmacherei. Eigentlich sei er ja Systemmacher, betont Retz sen., quasi Vertreter jener Sparte unter den einst 15 Teilhandwerken der Büchsenmacherkunst, die sich gern als Königsdisziplin feiert. »Denn wir liefern das Herz der Waffe«, betont er stolz, als wolle er sagen: Was sind schon Schaft, Rohr oder Beschläge gegen das Verschlussstück einer Kipplaufbüchse!
Wer mit Vater und Sohn Retz spricht, spürt es schon nach zwei Sätzen: In ihrer beschaulichen Werkstatt pulsiert noch das, was die Welt einst als »Suhler Stil« bei Jagdwaffen feierte: präzise gängige Mechanik, höchste Funktionalität in Schussleistung, Gewicht und Führigkeit sowie Pedanterie selbst bei Äußerem wie Schaftform, filigranen Gravuren und bunt gehärteten Systemteilen, was das Gewehr in bläulichem Perlmuttglanz schillern lässt. Und natürlich muss das Schaftholz vom Nussbaum stammen. »Ein Experte erkennt allein an der aufwendigen Optik, ob ein Jagdgewehr aus Suhl stammt«, so Retz. »Eine perfekte Waffe, die nicht gut aussieht, verkauft sich eben schlecht.«
Drillinge, Vierlinge und Fünflinge
Im Hause Retz obwaltet indes schon eine Art handwerklicher Purismus. Jede Waffe ist ein Unikat, eine individuelle Sonderbestellung. Ihre Kunden sind auch Politiker, Künstler, Wirtschaftsbosse. »Wir legen mehr Leidenschaft rein, als vielleicht nötig wäre«, meint Junior Thorsten. Der 38-Jährige scheint geradezu vom Ehrgeiz besessen, Büchsen und Flinten zu fertigen, die »teils noch nie einer machte oder aber schon lange nicht mehr«. Beispielsweise Vierlinge, die einen Schrot- und drei Kugelläufe haben - anstelle des Standards zweimal Kugel und zweimal Schrot. Oder den sogenannten Kronen-Drilling, der sich von außen spannen lässt, so dass ihn der Jäger auch mit einer Kugel im Lauf bei sich tragen kann, somit also schneller zum Schuss kommt. Lachen muss Thorsten Retz hingegen über einen »reichen Russen, der mal einen Fünfling bestellen wollte«. Nüchtern räumt er ein: »Rein technisch ist das nicht wirklich machbar.« Im Trend lägen indes Doppelbüchsen mit zwei Kugelläufen verschiedener Kaliber.
Ein gutes Dutzend Waffen fertigt die Firma Retz im Jahr. Auch bei Adamy sowie den meisten anderen Büchsenmachereien sind es nicht viel mehr. Präzision dauert halt. Dafür kostet ein gutes Suhler Gewehr auch leicht den Preis eines Kleinwagens, selbst wenn man ein Standardgewehr in Adamys Jagdwaffenshop am Suhler Markt auch schon für 3000 Euro bekommt. Es sind vor allem gutbetuchte Altbundesbürger, von denen die Suhler heute leben. »Einen Wendeknick haben wir nicht bemerkt«, meint etwa Günter Retz. 1990 habe es nicht lange gedauert, und die ersten Westdeutschen hätten an seiner Tür geläutet. Woher sie ihn kannten? Er lacht. Dem Namen nach seien die Adamy, Gißke, Ziegenhahn, Wolf, Reinhardt, Knopf, Keiner oder Retz im Westen auch vor der Wende ein Begriff gewesen. Denn Suhler Büchsenmacherkunst blieb dort unter Jägern nicht verborgen, auch wenn alles offiziell über die Büchsenmachergenossenschaft Bühag lief. Nur bedurfte manche Suhler Büchse, die sich einer über die Jahrzehnte bewahrt hatte, mit der Zeit doch einer gründlichen Visite vor Ort. »Bestimmte knifflige Reparaturen beherrschten die Kollegen im Westen einfach nicht mehr, denn sie waren gewohnt, defekte Teile auszutauschen. Wir dagegen mussten stets improvisieren und aus allem noch etwas machen«, erinnert sich Retz.
Heute beobachten die Thüringer nun mit Genugtuung, wie sie gegenüber der österreichischen Büchsenmacherstadt Ferlach ihre alten Marktpositionen zurückerobern. Denn die Kärntner profitierten nach dem Krieg lange von der deutschen Zweistaatlichkeit. In Suhl arbeitet überdies das älteste deutsche Beschussamt, wo jede neue Büchse mit Spezialpatronen auf Praxistauglichkeit geprüft wird. In Suhl hat der Bundesinnungsverband der Büchsenmacher seinen Sitz, geleitet übrigens in den letzten Jahren durch Helmut Adamy. In Suhl erhielt sich ein einzigartiges Jagdaffenmuseum. Und auch die Suhler Büchsenmacherschule ist neben jener im schwäbischen Ehingen die einzige in Deutschland.
Die Nachfrage junger Leute in den Meisterbetrieben ist heute wieder groß, registriert Thorsten Retz. Er selbst gehört übrigens zu den Gründern einer Deutsche Büchsenmachergilde, die sich konsequent dem Waffenbau im traditionellen Stil verpflichtet fühlt. Ihr gehören auch Büchsenmacher aus Bayern, Schwaben und dem Rheinland an. Mit dieser Gilde, so Retz jun., wolle man sich halt klar abgrenzen von Büchsen aus industrieller Fertigung. Denn auch diese gibt es heute wieder in Suhl, und auch sie bringen es wieder zu Weltruf. Eine »echte Merkel aus Suhl« - das gilt wie vor 10...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.