- Politik
- USA und der Syrien-Krieg
Ein schwieriger Besuch in Ankara
USA könnten Truppenabzug aus Syrien bis auf unbestimmte Zeit verschieben
Vor seinem Besuch am heutigen Dienstag in Ankara hat US-Sicherheitsberater John Bolton angekündigt, der Truppenabzug aus Syrien sei an die Ziele der USA in dem vom Krieg geplagten Land geknüpft. Die Ansage überrascht, denn sie ist das Gegenteil von dem, was Präsident Donald Trump seinem türkischen Amtskollegen Tayyip Erdogan am 14. Dezember in einem Telefonat gesagt hat.
Bolton kommt in Begleitung des amerikanischen Generalstabschefs Joseph Dunford und des Sondergesandten für Syrien, James Jeffrey. Ihnen am Tisch gegenüber werden der Chef des türkischen Geheimdienstes, Hakan Fidan, und Verteidigungsminister Hulusi Akar Platz nehmen. Damit sitzen auf beiden Seiten die für die Syrienpolitik verantwortlichen Regierungsvertreter beider Länder.
Wie die konkreten US-Interessen in Syrien aussehen, ließ Bolton zwar offen. Man kann sich darunter jedoch weitere Fortschritte im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vorstellen - aber auch mehr. Ein weitgehend übersehenes Detail - der in den Medien kolportierten Aussagen von Bolton - weist in diese Richtung. Die wenig beachtete amerikanische und britische Präsenz in einem Wüstengebiet im Süden Syriens könnte länger bestehen bleiben. Dort stehen die US-Truppen an der direkten Straßenverbindung zwischen Damaskus und Irak, die für iranische Operationen gegen Israel Bedeutung haben könnte.
Außerdem fordert Bolton, dass die Türkei Militäroperationen in Syrien mit den USA abstimmen. Das zielt auf die Bedrohung der kurdischen Verbündeten der USA durch Ankara. Bezeichnend ist, dass die türkische Regierung das Gleiche, etwas diplomatischer verpackt, Moskau versprechen musste. Kurz vor dem Besuch Boltons hatte der US-Außenminister Mike Pompeo noch erklärt, die USA wollten sicherstellen, dass die Kurden nicht »abgeschlachtet« werden.
Dass Washington nun doch bemüht ist, einem neuen türkischen Feldzug in Syrien einen Riegel vorzuschieben, muss in Ankara sauer aufstoßen. Erdogan kann sich zurecht getäuscht fühlen. Doch hinter vorgehaltener Hand dürften einige - insbesondere beim türkischen Militär - nicht ganz unglücklich sein. Zwei hohe und mit der türkischen Syrienpolitik betraute Offiziere, Viersternegeneral Ismael Metin Temel und der Kommandant der 4. Kommandobrigade, Mustafa Barut, wurden plötzlich von ihren Posten abgezogen. Die für ihre guten Beziehungen zum Militär bekannte Zeitung »Sözcü« behauptet, den Grund zu kennen. Die Experten für den Krieg in Syrien hätten Bedenken wegen des neuen Feldzuges geäußert.
Drei Punkte sollen die versetzten Kommandanten angesprochen haben: Die YPG-Miliz ist in ihrem Hauptgebiet weit stärker als in Afrin. Weder Washington noch Moskau haben der Türkei für den Feldzug bisher die Nutzung des syrischen Luftraumes in diesem Teil Syriens gestattet. Schließlich verpflichtet sich die Türkei, mit dem Angriff auch die Rolle der YPG und der USA im Kampf gegen den IS zu übernehmen. Die türkische Armee ist aber auf einen Einsatz so weit im syrischen Hinterland nicht vorbereitet.
Andere Militärexperten hatten vorher bereits auf die Überdehnung der türkischen Armee hingewiesen. In Syrien ist sie ja noch in anderen Gebieten engagiert. Dazu kommen die Bedrohung durch die PKK in der Türkei und ein gefährdeter Außenposten in Irak. Schließlich dürften die noch immer anhaltenden Säuberungen des Offizierskorps von mutmaßlichen Gülen-Anhängern die Einsatzbereitschaft des Militärs auch nicht gerade erhöhen.
Kein Zweifel, Erdogan kann auf die neue Volte der US-Politik in Syrien nur mit Empörung reagieren. Insgeheim dürfte aber auch er gemischte Gefühle hegen. Schließlich sollte die Verschiebung des amerikanischen Abzuges aus Syrien auf unbestimmte Zeit seine Verhandlungsmacht bei dem demnächst geplanten Treffen mit Putin und dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani stärken. Überlegen wird er sich vielleicht, ob er noch immer die bei Trump bestellten Patriot-Flugabwehrraketen will.
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