Fußball als politisches Vehikel

Palästina nutzt den Sport zur staatlichen Anerkennung - derzeit beim Asien-Cup.

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Der 26. Oktober 2008 war ein historischer Tag für die Palästinensischen Gebiete. Über zehn Jahre hatte die Fußballnationalmannschaft Palästinas ihre Heimspiele aus Sicherheitsgründen im Ausland bestritten, nun feierte sie gegen Jordanien ihre Heimpremiere. Fast 7000 Zuschauer sahen das 1:1 in Al-Ram, einer Kleinstadt nordöstlich von Jerusalem. Mit dabei: der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter sowie zahlreiche Journalisten und Nichtregierungsorganisationen.

Politikwissenschaftler Danyel Reiche von der Amerikanischen Universität Beirut sagt, dieses Spiel verdeutliche ziemlich eindringlich Palästinas Plan, mit dem Sport Anerkennung zu erlangen: »Palästina ist noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen und hat nur Beobachterstatus. Es hat aber sehr erfolgreich die Strategie entwickelt, Mitglied von internationalen Organisationen im Kultur- und Sportbereich zu werden.« Seit 1996 nimmt Palästina an Olympischen Spielen teil, 1998 folgte die Mitgliedschaft in der FIFA. »Palästina betrachtet dies als ein Zeichen der Staatlichkeit«, sagt Politologe Reiche.

Seit anderthalb Wochen läuft in den Vereinigten Arabischen Emiraten die Asienmeisterschaft. Zu den 24 Teilnehmern gehört auch Palästina, das sich in der FIFA-Weltrangliste auf Platz 99 vorgearbeitet hat, trotz großer Beschränkungen - und einer Geschichte mit vielen Hindernissen.

Die Anfänge des palästinensischen Fußballs liegen ein Jahrhundert zurück. Im britischen Mandatsgebiet Palästina übernahmen jüdische und englische Teams die prägende Rolle. Viele Araber islamischen Glaubens sträubten sich gegen den »westlichen Import« Fußball. In den Verbandsstrukturen Ende der 1920er Jahre blieben sie außen vor. Als der Staat Israel entstand, wurde der Sport politischer. Palästinensische Nationalisten beschrieben den Fußball als Symbol für die »Stärke und Reinheit einer neuen Generation«. 1962 formierte sich der Palästinensische Fußballverband.

Der Durchbruch gelang jedoch erst 2008, vor allem mit Spielern aus der Diaspora, aus Libanon, den USA oder Chile, wo eine große palästinensische Gemeinschaft lebt. An die Verbandsspitze rückte Jibril Rajoub, der auch das Nationale Olympische Komitee leitet. »Die politische Kontrolle des Fußballs ist offensichtlich«, sagt der Publizist James M. Dorsey, der den Fußball im Nahen Osten seit Jahren beobachtet. »Jibril Rajoub ist seit langem Mitglied der palästinensischen Befreiungsorganisation.« Rajoub saß jahrelang in israelischen Gefängnissen. Unter Jassir Arafat wurde er Geheimdienstchef, später dann Sicherheitsbeauftragter. Manche glauben, er könnte irgendwann Präsident der Autonomiebehörde werden. »Die Basis für seine Ambitionen ist auch der Sport«, sagt Dorsey.

2008 lag der Etat des palästinensischen Fußballverbandes bei 870 000 Dollar, längst ist er zehnmal so groß. Neue Stadien und Trainingsstätten wurden gebaut. Trotzdem stößt die Entwicklung an Grenzen. Immer wieder wurden Spieler an der Ausreise aus dem Gazastreifen gehindert, so konnte Palästina an einigen Qualifikationsspielen für Turniere nicht teilnehmen. 2009 wurde der Stürmer Mahmoud Sarsak auf dem Weg zum Training von israelischen Beamten festgenommen, wegen Terrorverdachts. Er trat in den Hungerstreik und wurde nach einer internationalen Kampagne 2012 freigelassen. »Die Spieler können sich nicht frei bewegen«, sagt James M. Dorsey. Es gibt zwei Fußballligen, im Gazastreifen und im Westjordanland. »Diese Ligen symbolisieren die Teilung der palästinensischen Bewegung. Geografisch, aber auch politisch, denn sie unterstehen unterschiedlichen Machtansprüchen.« Und auch der Versand von Bällen, Paketen und Material werde oft verzögert.

Ob es um die die Festnahme von palästinensischen Spielern oder die Durchsuchung ihres Fußballverbandes geht: Israelische Sicherheitsorgane beschreiben die Maßnahmen stets als Terrorprävention. Zeitweise sah es nach Entspannung aus. Sportler konnten bei Schwierigkeiten an Kontrollpunkten eine Hotline anrufen. Nationalspieler übernachteten in Trainingsstätten, um Zeit zu sparen. Doch der Fußballverband sah keine Fortschritte. Jibril Rajoub wehrte sich gegen Spiele israelischer Teams in Siedlungsgebieten und rügte die islamfeindlichen Gesänge der Fans von Beitar Jerusalem.

Rajoub stellte 2015 bei der FIFA einen Antrag auf den Ausschluss Israels aus dem Weltverband. Gegenüber dem Magazin »Vice Sports« sagte er damals: »Wir Palästinenser leiden, wir werden gedemütigt. Wir sehen uns einer rassistischen Politik vonseiten Israels ausgesetzt, die sogar vor dem Sport nicht Halt macht.« Nach langen Vermittlungen, auch mit Beteiligung des Deutschen Fußball-Bundes, zog Rajoub seinen Antrag zurück. Doch er nutzt den Fußballverband weiter als politisches Vehikel. Im Juni 2018 plante Argentinien ein Testspiel gegen Israel in Jerusalem. Der Status der Heiligen Stadt ist zentraler Streitpunkt im Konflikt. Rajoub rief dazu auf, Trikots von Lionel Messi zu verbrennen. Das Spiel wurde abgesagt und Rajoub von der FIFA für ein Jahr gesperrt. Nun bei der Asienmeisterschaft will Palästina durch sportlichen Erfolg auf sich aufmerksam machen.

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