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Die Helden werden nicht geteilt
Viele Griechen sind im Namensstreit mit dem ex-jugoslawischen Mazedonien gegen Kompromisse - SYRIZA hofft dagegen auf Versöhnung
»Wenn es ein Referendum geben würde, würden alle gegen den Namen Mazedonien stimmen«, sagt Evgenia Stamateri und lächelt freundlich. Die junge Grundschullehrerin spaziert gerade durch den »Alexandergarten«, eine Parkanlage an der Promenade von Thessaloniki mit Sitzgelegenheiten und Meerblick. Optisch im Mittelpunkt thront die Statue Alexanders des Großen auf dem Pferd, auch an einem trüben Wochentag wie diesem ein beliebtes Fotomotiv. Hinter dem Herrscher des antiken Königreichs Mazedonien schwappt träge das Wasser aus dem Thermaischen Golf gegen das befestigte Ufer.
Ähnlich exponiert steht ein Reitermonument Alexanders in Skopje, der Hauptstadt des nördlichen Nachbarlandes. Jenes Mazedonien, die frühere jugoslawische Republik, wird in Griechenland nur »Skopia« genannt, die Bewohner »Skopianer«. Ausdruck des Streits um den offiziellen Namen des jungen Staates, der nach mehr als einem Vierteljahrhundert nun endlich beigelegt werden soll. Laut einem Abkommen, das die beiden Regierungschefs Alexis Tsipras und Zoran Zaev im Juni 2018 vor der Kulisse des grenzüberschreitenden Prespasees unterzeichneten, soll der junge Staat künftig »Republik Nordmazedonien« heißen. Das Abkommen soll Versöhnung bringen sowie Nordmazedonien den Weg in die NATO und die Europäischen Union ebnen. Das Parlament in Skopje hat dem Kompromiss trotz vieler Proteste bereits zugestimmt. Das Votum in Athen soll an diesem Freitagmittag stattfinden.
In Griechenland sind die Widerstände noch größer. Sie führten zum Bruch der Koalition der Linkspartei SYRIZA mit der kleinen rechtspopulistischen ANEL. Daraufhin setzte Ministerpräsident Tsipras vergangene Woche ein Vertrauensvotum an, das er knapp für sich entscheiden konnte. Auch deshalb rechnet Evgenia kurz vor dem neuerlichen Votum mit einer knappen Zustimmung - wie auch die meisten Medien.
Während Tsipras die Unterzeichnung des Abkommens als seine »historische Pflicht« bezeichnet, gibt es in beiden Ländern etliche, die hoffen, dass mit der Abstimmung in Athen noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Vor allem rechtsgerichtete Politiker, aber auch viele wütende Bürger wollen einen Volksentscheid. Was dessen hypothetisches Ergebnis angeht, hat Evgenia sicher recht: Die überwiegende Mehrheit der Griechen ist gegen das Prespa-Abkommen. Die Kritiker wähnen bedeutende historische Errungenschaften der griechischen Antike auf ihrer Seite.
Zwei groß gewachsene Männer, die durch die Parkanlage stadteinwärts laufen, unterhalten sich ebenfalls über das Nachbarland. Der Vater erklärt dem Sohn: »Dieses Land ist ein Konstrukt. Weil sie keine Identität besitzen, wurde ihnen diese verpasst«, sagt er. »Tito hatte sie so genannt. Seitdem glauben sie das. Was haben die mit den alten Mazedoniern zu tun?«, fragt der Mann rhetorisch. Eigentlich seien sie doch Bulgaren. Auf Nachfrage sind sich Vater und Sohn einig, dass sie den neuen Staatsnamen »nie im Leben« verwenden werden. Schließlich könne der Name Mazedonien niemals einer nicht-griechischen ethnischen Gruppe zugestanden werden, sonst gehe den Griechen ihr geistiges und kulturelles Eigentum verloren.
Evgenia ist humanistisch eingestellt. Sie beteuert, »keine Probleme mit den Menschen in Skopia« zu haben. Ihren ausländischen Freunden, die wenig für Griechenlands »Zimperlichkeit« bei diesem Thema übrig haben, stellt sie die Frage, wie es denn für sie wäre, wenn ein Nachbarland sich nennen würde wie eine eigene Region. »Alle sagten mir, sie würden das nicht mögen«, versichert sie und ergänzt: »Die Identität wird angegriffen, wenn die eigenen Helden von anderen benutzt werden.«
Dass man diese Helden nicht teilen will wie solche aus Comics, hängt wohl an dem Bedürfnis, eine homogene und so vermeintlich starke Gemeinschaft zu schaffen. Die Exklusivität der Geschichtsmythen erzeugt wiederum eine Kontinuität, die es bedarf, um die Parole der Demonstran-ten zu verstehen: »Makedonia is Greek«. Tatsächlich können »die« Griechen weit in die Geschichte zurückblicken und hinterließen, auch außerhalb ihres heutigen Staatsgebiets, Spuren. Slawische Stämme siedelten sich hingegen erst im 7. Jahrhundert an. Spätestens mit dem Osmanischen Reich ab 1430 etablierte sich ein Schmelztiegel verschiedener Sprachen und Ethnien. Insofern ist der Bezug zu Alexander relativ neu. War die Gegend doch von vielen Mächten geprägt und wurde bis ins späte 19. Jahrhundert »als Region gedacht«, wie die Historiker Dimitris Christopoulos und Kostis Karpozilos erläutern. Demzufolge waren damals mit »Mazedoniern« alle Bewohner der Region gemeint.
Angesichts der verhärteten Fronten ist heute so etwas wie Differenziertheit in der Mazedonien-Frage kaum vorstellbar. Die Hamburger Filmemacherin Elena Friedrich hatte 2018 sechs Monate lang für einem Dokumentarfilm im nordgriechischen Hinterland recherchiert. In der Grenzregion werden die bilingualen mazedonischen Familiengeschichten gelebt. Die Region sei »von Dorf zu Dorf gar nicht homogen«, schildert Friedrich ihre Eindrücke. »Es gibt radikale Nationalisten bis hin zu pro-mazedonischen Stimmen, die nicht für den Namen sind, aber das Bewusstsein einer Minderheit haben, genauso Menschen, die sich mit keinem dieser politischen Positionen identifizieren, denen aber Pluralität in Bezug auf Geschichte und kulturelles Erbe wichtig ist.« Die Menschen in der »gemischten Landschaft« leiden unter der politischen Polarisierung: Entweder man werde zum Verräter oder zum Nationalisten erklärt.
Ein Grund dafür könnte in der Art liegen, wie der öffentliche Diskurs geführt wird: Ein mazedonisches Tanzfest nahe Thessaloniki nutzten Lokalpolitiker der rechtsradikalen Goldenen Morgenröte (Chrisi Avgi) und der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND) kürzlich für ihre Mobilisierung zu Protesten.
SYRIZA ist sich im Klaren darüber, wie aufgeheizt die Stimmung im Land ist: »Es gibt patriarchalische Kräfte der Rechtsextremen, die das Halbwissen und die Reflexe des Grolls eines Teils der Menschen befeuern«, erklärt Parlamentsvizepräsident Tasos Kourakis (SYRIZA) gegenüber »nd«. »Ein Referendum wäre unter den gegebenen Umständen keine konstruktive Entscheidung.« Es verlange umfassende Informationen und eine nüchterne Diskussion, doch derzeit herrschten »Fanatismus und die Logik der Spaltung«.
Seit der Unterzeichnung des Pres-pa-Abkommens tragen vielen Griechen ihre patriotischen Gefühle auf die Straße. Darunter sind viele Alte, aber auch Schüler organisieren sich. Erst am vergangenen Sonntag kamen in Athen etwa 100 000 Menschen zusammen, um gegen den Namen Nordmazedonien zu demonstrieren. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Tränengas einsetze. Es gab Verletzte. Das Bündnis ist breit und durchaus divers: Es finden sich Konservative, Nationalistischen und Rechtsextreme, Geistliche der griechisch-orthodoxen Kirche, aber auch Mikis Theodorakis, der berühmte Komponist und Held des Widerstands gegen die Militärdiktatur (1967-1974).
Direkt am »Alexandergarten«, wo ebenfalls bereits demonstriert wurde, befindet sich ein kleiner Kiosk. Der Verkäufer, etwa 30 Jahre alt, strahlt Optimismus aus: »Mein Arbeitsplatz liegt im Herzen der Geschichte. Wenn die Leute auf die Straße gehen, um zumeist friedlich zu demonstrieren, bin ich Teil von ihnen«, erzählt er. »Ich freue mich zu sehen, dass das Volk zusammensteht und für seine Ideale kämpft.«
Dieser »Kampf« kennt unterschiedliche Eskalationsstufen: Vor etwa einem Jahr verübten Vermummte am Rande einer solcher Kundgebung einen Brandanschlag auf die besetzte Villa Libertatia. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude ist seither nicht mehr nutzbar. Politiker kleiner Oppositionsparteien, die für das Abkommen sind und Tsipras die fehlenden Stimmen für die Mehrheit beschaffen wollten, wurden mittels öffentlich plakatierter Steckbriefe bedroht. »Das kann uns nicht entmutigen«, meint SYRIZA-Mann Kourakis. Sorge bereiteten ihm eher »einige Bürger, die nicht anerkennen wollen, dass die historischen Angelegenheiten auf dem Balkan gelöst werden müssen«. Um den Feindbildern ein Ende zu setzen, sollen sie »richtig« informiert werden. »Im Vertrag ist die gemeinsame Anstrengung geregelt, die unsere Länder beim Schreiben neuer Geschichtsbücher unternehmen müssen.«
Auf der wirtschaftlichen Ebene ist der Namensstreit, nach einem Embargo gegen Mazedonien 1994/95, längst nicht mehr existent. Griechische Unternehmen investieren im Nachbarland und gehören dort zu den wichtigsten Importeuren. Unweit des »Alexandergartens« werden im Hafen Waren für »Skopia« verladen. Ob Mazedonien in der Antike griechisch war, spielt 2000 Jahre nach Alexander hier keine Rolle. Doch in Westeuropa sollte man nicht überheblich werden: Auch dort nutzen Politiker antike Stätten gern als Kulisse, um den ideellen Zusammenhalt in der EU zu beschwören.
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