Gefangen in der Matrix

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Folgt dem weißen Kaninchen! Ihr seid in der Matrix. Ihr liegt dösend in irgendeiner Bienenwabe, werdet mit Softdrinks und Flüssigburgern über eine Nabelschnur gut versorgt und träumt euer Leben im Rahmen eines ausgefuchsten Computerprogramms. Vermutlich von Apple. Die sollen ja weniger wartungsanfällig sein. Was die Geschwister Wachowski 1999 bis 2003 in ihren »Matrix«-Filmen mehrfach als Hypothese formulierten, es ist alles wahr! Und ich kann es beweisen.

Da fahre ich neulich mit dem Auto ins Krankenhaus, um meinen angeschlagenen Papa zu besuchen, damit der sich nicht so grämt in seinem kummerweißen Rollbett, und höre wie immer »Studio 9« von Deutschlandfunk Kultur. Thomas Macho ist der Gesprächsgast. Ich mag ihn als Autor, als klugen Essayisten, der kulturwissenschaftliche Kenntnisse spannend und ohne den gerade in seinem Fach üblichen Aufschneiderjargon zu präsentieren vermag. Auch als Radioredner macht er eine gute Figur. Er zeigt sich intellektuell wendig und eloquent und wirkt auch noch sympathisch dabei. Kunststück, es gibt ihn ja gar nicht wirklich, er gehört zur Matrix. Was Agent Smith bei den Wachowskis mit den Fäusten macht, kann er mit Worten. Und, wie gesagt, ich kann es beweisen.

So nämlich: Das Gespräch im Radio dreht sich gerade um die Wiederansiedlung des bösen Wolfes, der nicht nur im Bundesland Sachsen seit einer Weile seine artgemäßen Faxen macht. Bauern auf ihren Feldern erschrecken etwa, Schafe schlachten, den Mond anheulen - da bekommt man Angst. Ach nein, so blöd ist der Wolf nicht. Macho referiert ein bisschen die mythischen Dimensionen des Raubtiers, erzählt von den sogenannten Rauhnächten zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar, der Zwischenzeit also, in der man die Umkehrung der Verhältnisse fürchtete, in der Geister- und Werwölfe ihr Unwesen trieben, aber dafür noch keine besoffenen Teenager-Feuerwerker.

Da passiert es. Die Sendung wird durch ein starkes Störungsrauschen unterbrochen, das bekanntlich maximale Unbill ankündigt. In Bond-Filmen zum Beispiel verkündet jetzt irgendein Dr. No, dass er Nord- und Südpol vertauscht, wenn die Welt nicht eine Milliarde Dollar auf ein Schweizer Nummernkonto überweist. In B-Science-Fiction-Filmen attestiert der Kommandant einer technologisch weit überlegenen Alien-Spezies mit blecherner Stimme, dass man die primitive Menschheit unterjochen und den Kommunismus einführen werde.

Zu früh gefreut, nichts dergleichen passiert. Aber etwas viel Verstörenderes. Nach der Unterbrechung redet Macho nämlich nicht einfach weiter, uns fehlt also kein Unterhaltungsschnipsel, nein, die Tonspur wiederholt sich. Irgendwer da oben hat zurückgespult oder rebootet, und Thomas Macho beginnt denselben Satz noch einmal von vorn. Wie kann das sein bei einer Live-Sendung, frage ich mich, und ein Grausen fährt mir eiskalt den Rücken hinunter. Jetzt sitze ich bei sternenklaren Nächten am Fenster und suche nach dem Raster.

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