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Unternehmer lassen öffentliche Aufträge liegen
Industrie- und Handelskammern kritisieren zu hohen Aufwand, um sich an Ausschreibungen zu beteiligen
Rund fünf Milliarden Euro an öffentlichen Aufträgen vergibt das Land Berlin pro Jahr. Händeringend suchen beispielsweise aktuell die kommunalen Wohnungsunternehmen nach Baufirmen, die die dringend benötigten Wohnungen bauen. Um die hochgesteckten Neubauziele von Rot-Rot-Grün zu erreichen, ist die Öffentliche Hand auf diese Privatunternehmen angewiesen.
Nur: Die große Mehrzahl der Unternehmen in Berlin (72 Prozent, siehe Grafik) beteiligt sich erst gar nicht an den Ausschreibungen. Das zeigen Zahlen der aktuellen Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammern in Berlin und Brandenburg (IHK), die am Dienstag vorgestellt wurden. Als Gründe für den Teilnahmeverzicht bei öffentlichen Ausschreibungen beklagen die Unternehmen unter anderem einen »zu hohen Aufwand«, »unklare Bewertungskriterien« oder angeblich »zu niedrige Preisspannen«.
»Das Vergabegesetz muss deutlich attraktiver werden«, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, Jan Eder. Mit Blick auf die derzeit laufende Debatte zur Novellierung des Berliner Vergabegesetzes fordert die IHK eine »Entschlackung« der bürokratischen Vorgaben. Außerdem kritisiert der Wirtschaftsverband die geplante Erhöhung des Vergabe-Mindestlohns auf 11,30 Euro pro Stunde. »Bei vielen Gewerben liegen die elf Euro und irgendetwas über den Tariflöhnen«, sagt Eder. Das sei ein »klarer Eingriff in die Tarifautonomie«.
Der Entwurf zur Novelle des Vergabegesetzes von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) liegt derzeit zur Mitsprache bei den Verbänden, damit diese ihre Meinung in die Gesetzgebung einbringen können. »Um die öffentliche Vergabe in Berlin praktikabler und attraktiver für Unternehmen zu gestalten, reformieren wir das Berliner Vergabegesetz«, sagt Pop dem »nd«. Zukünftig könnten sich Unternehmen unbürokratischer an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen. »Dafür werden beispielsweise Wertgrenzen vereinheitlicht und bisherige Hemmnisse beseitigt«, kündigt Pop an. Wie in Koalitionskreisen zu hören ist, soll die Wirtschaftsverwaltung planen, das neue Vergabegesetz bis zur Sommerpause durch das Abgeordnetenhaus zu bringen. Das klingt angesichts der Vorbehalte ambitioniert.
In der Linksfraktion bewertet man die Kritik der IHK an der Novelle als »pflichtgemäße Aufregung«, die sich in der Wirklichkeit anders darstelle. »Dass die Gewinne bei den öffentlichen Aufträgen zu niedrig sind, bestreite ich«, sagt der Abgeordnete Harald Wolf, der für die Linksfraktion im Wirtschaftsausschuss sitzt. So könne man bei den Bauleistungen deutliche Preisanstiege beobachten, die sich aus der hohen Nachfrage ergeben. Und wenn das Land Berlin künftig verlange, dass die Menschen vernünftig bezahlt werden, so Wolf, dann müsse Berlin auch einen vernünftigen Preis zahlen, damit die Löhne gezahlt werden können. Der Einwand der Bürokratisierung hält Wolf ebenfalls für verfehlt. »Im neuen Vergabegesetz ist vorgesehen, dass nur noch das Unternehmen, das erfolgreich war, die Unterlagen vorlegen muss.«
Wie wichtig die öffentlichen Aufträge bald für die regionale Wirtschaft werden könnten, lässt sich aus der allgemeinen Entwicklung der Konjunktur ablesen. Laut IHK-Umfrage befindet sich die Wirtschaft zwar immer noch in einer »Hochkonjunktur«, aber der Brexit, Handelskriege und schlechte Exportaussichten drücken die Stimmung bei den Unternehmern. »Die absolute Konjunkturparty ist vorüber«, behauptet IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder.
Im Nachbarbundesland Brandenburg sind die Unternehmen sogar noch pessimistischer als in Berlin. Als Haupthindernis wird hier auch der Fachkräftemangel gewertet, den sich die Unternehmen aber durch ihre schlechte Ausbildungspolitik zum Teil selber geschaffen haben.
Für die Hauptstadt erwartet Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop trotz der Eintrübungen in diesem Jahr weiter ein im bundesweiten Vergleich überdurchschnittliches Wachstum von 2,3 Prozent. »Das zeigt eine stabile Entwicklung, die nun verstetigt werden muss«, sagt Pop. Und: Alle Akteure seien gefragt, Anstrengungen zu unternehmen, um Investitionen als Konjunkturtreiber voran zu bringen und neue Kapazitäten hierfür zu erschließen.
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