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»Fünf Minuten Größenwahn«
Bitte ein Bier und bloß kein Trübsinn: Der Schriftsteller Dietmar Sous wird 65
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an Ihren 65. Geburtstag denken?
Seit meinen Zwanzigern lassen mich Geburtstage kalt. Ich denke nie über den Sinn des Lebens und nur selten über den Tod nach. Und wenn doch einmal ein Gedanke aufkommt, in der Art »langsam wird’s ungemütlich«, dann lege ich eine gute Platte auf … Was, wirklich schon der 65.? Bitte schnell die nächste Frage, bevor ich einem Trübsinnsanfall erliege.
Dietmar Sous, am 30.1.1954 in Stolberg (Rheinland) geboren, überlebte dort eine Leistenbruchoperation und das altsprachliche Goethe-Gymnasium. 1981 veröffentlichte er seinen ersten Roman bei Rotbuch: »Glasdreck«, zuletzt »San Tropez« (2017, bei Transit). Die »taz« nannte ihn einmal den »rheinischen Nick Hornsby«. Tatsächlich haben seine realitätsgesättigten Geschichten einen unverwechselbaren Sound. Lakonisch aus der Ich-Perspektive erzählt, behandeln sie große Themen: Fußball, Musik, vor allem aber die Beziehung zwischen Männern und Frauen. Mit dem Schriftsteller sprach Martin Willems.
Welche Autoren haben Sie beeinflusst? Stehen Sie in Kontakt mit Kollegen?
Als ich 17, 18 war, fand ich Max von der Grün gut, der »traute« sich, über Arbeiter zu schreiben. Bei von der Grün kamen Arbeiter nicht nur vor, sie spielten die Hauptrolle. Texte aus der Popmusik und Filme haben mich allerdings stärker beeinflusst. Und ein paar Amis und Briten. Meine Lieblingsbücher sind »Die Musik des Zufalls« von Paul Auster und Jim Burns’ Gedichtband »Fred Engels bei Woolworth«. Von 1988 bis 1995 durfte ich Lesungen für den Burghaus-Verein in Stolberg organisieren. Ich lud meine persönlichen Favoriten ein. Franz Josef Degenhardt, Thomas Meinecke, Emine Sevgi Özdamar, Thomas Kling, Wilhelm Genazino, Chris Howland, und viele andere.
Sonst habe ich wenig Kontakt zu Kollegen. Autorentreffen, so genannte »Werkstattgespräche«, Podiumsdiskussionen über die Zukunft der Literatur meide ich wie die Opern von Wagner. Da ist mir zuviel Eitelkeit im Spiel.
Fällt Ihnen spontan eine Anekdote aus Ihrer Burghaus-Zeit ein?
Beeindruckend war, wie freundlich und unprätentiös der große Franz Josef Degenhardt war. Der saß kurz vor seinem Auftritt in Filzpantoffeln und Bademantel in der Garderobe und kämpfte gegen Lampenfieber. Oder der Abend mit der niederländischen Autorin Connie Palmen. Sie reiste aus Amsterdam an. Ihre Eltern hatten es nicht so weit. Sie wohnten knapp hinter der Grenze, ein Katzensprung bis Stolberg, und sie wollten endlich mal eine Lesung ihrer berühmten Tochter erleben. Die war damals Mitte 30 und kriegte zwanzig Minuten vor dem Auftritt plötzlich das große Flattern. Sie machte sich Sorgen wegen der Sex-Szenen in ihrem Buch, von denen sie einige vortragen wollte. Für eine Änderung des Programms sei es zu spät, raunte sie mir zu. »Aber es ist so scheiß peinlich vor meinen Eltern!« »Verstehen die denn Deutsch?«, fragte ich. »Jedes Wort«, antwortete sie. »Ich brauch ein Bier!« Bis zum »Weißen Rößl« waren es nur ein paar Schritte. Wir kippten zwei schnelle Helle, gewürzt von einem kleinen Doppelkorn. Das Zeug schien rasch bei ihr zu wirken. Sie las mit charmantem niederländischem Akzent aus ihrem Buch, auch die »Stellen«, und ihre Eltern amüsierten sich und waren sichtlich stolz auf sie.
Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zum Literaturbetrieb?
Vor vielen Jahren riet mir ein Lektor: »Du musst nach Berlin ziehen«. Da triffst du an jeder Ecke die richtigen Leute. Ein anderer meinte: »Komm nach München, und wir starten durch.«
Letztlich bin ich froh, dass ich es nicht gemacht habe. Ich kann mich schlecht verkaufen, egal ob in Berlin oder einem Dorf wie Aachen. Ich lasse meistens alles auf mich zukommen. Trotz dieser schlafmützigen Haltung hat es ganz gut geklappt. Mein Glück war auch, dass ich in einer Zeit begonnen habe, in der tolles Aussehen und schicke Klamotten nicht so wichtig waren.
Wenn ich heute junge Autorinnen und Autoren sehe, habe ich den Eindruck, die kommen frisch von der Schriftsteller- und Modelschule. Durchgestylt, trainiert mediengewandt. Dagegen war und bin ich ein Trottel mit rheinischem Tonfall.
Empfinden Sie während des Schreibens manchmal so etwas wie pure Freude?
Wenn ich merke, dass sich eine Geschichte fast von selbst schreibt. Fünf Minuten Größenwahn, dann muss es aber auch gut sein.
Gab es Situationen, in denen Sie aufhören wollten, zu schreiben?
1988. Ein Rowohlt-Lektor hatte mein Manuskript angenommen, er schickte mir ein Ticket für die Bahn 1. Klasse. Wir trafen uns zu Vorarbeiten in Hamburg und Reinbek, lief alles prima. Eine Woche später hieß es, Michael Naumann, der damalige Verlagsleiter, habe sich überraschend gegen das Buch entschieden. Das hat mich getroffen. Ich bin zum Arbeitsamt gegangen, um meine Chancen in anderen Berufen auszuloten, Altenpfleger oder so. Der Job-Berater mäkelte die ganze Zeit an meinem hohen Alter rum, ich war 34. Walter Hellmann, den ich von Rotbuch kannte, war Art-Director bei Rowohlt. Walter fand das Manuskript gut und hat Naumann »bearbeitet«, bis der sein Veto zurückzog. Auch dreißig Jahre danach würde ich jederzeit für Walter Hellmann einen Meineid schwören. Oder Schlimmeres tun.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Ich sitze an einer Geschichte, bei der ich noch nicht sicher bin, ob es eine längere Kurzgeschichte oder ein kurzer Roman wird. Vielleicht gewinne ich aber auch im Lotto, dann wird es weder das eine noch das andere, dann hör ich auf und leg die Füße auf den Schreibtisch. »Ohne Schreiben kann ich nicht leben« - dieser romantische Satz trifft auf mich nicht zu. Für mich war es immer Gelderwerb, nicht Kunst und auch nicht Psychotherapie. In diesem Sinne bin ich gar kein richtiger Schriftsteller. Dazu fehlen mir mindestens zwei Dinge: während der Arbeit an einem Buch schon das nächste im Kopf zu haben und diese Unbedingtheit, schreiben zu müssen.
Anlässlich des 65. Geburtstags erscheint das »Dietmar-Sous-Lesebuch« (zusammengestellt von Martin Willems), Edition Virgines, 147 S., br., 8,80 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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