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  • Brandenburg
  • »100 Jahre Demokratie in Deutschland - Anspruch und Wirklichkeit«

Hinsetzen, Zuhören, Aufstehen, Fragen

Bei einer Veranstaltung in Teltow springt Bundestagsvizepräsidentin Pau für Linksfraktionschefin Wagenknecht ein

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau

Auf dem Marktplatz von Teltow (Potsdam-Mittelmark) ist eine Eisbahn aufgebaut. Am Dienstagabend läuft dort eine Mutter mit ihren Kindern Schlittschuh. Nebenan im Rathaus begibt sich Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (LINKE) gewissermaßen aufs Glatteis. Denn sie spricht dort zum Thema »100 Jahre Demokratie in Deutschland - Anspruch und Wirklichkeit«, konnte sich darauf aber kaum vorbereiten. Schließlich sollte hier eigentlich ihre Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht auftreten. Die ist aber krank geworden und musste am Montagabend absagen.

Kurzfristig ist Petra Pau eingesprungen. Sie ist ein erfahrener Politprofi, sagt aber, dass es nicht so einfach sei, mal eben auf ein Podium zu springen. »Erwarten Sie keinen durchgearbeiteten Vortrag«, dämpft Pau vorsichtshalber allzu große Erwartungen. Aber es wird ein durchaus interessanter Abend. Pau steht auf und hält ihre improvisierte Rede, setzt sich hin und beantwortet Fragen.

Der jüngste Befund einer erschreckenden Demokratieverdrossenheit speziell in Ostdeutschland hat die Bundestagsvizepräsidentin nicht überrascht. Dass die Stimmung in der Gesellschaft nach rechts kippt, dass wieder »Ausländer raus« gerufen wird und Gewalt als Politikersatz akzeptiert wird, so sagt sie, das habe sich bereits 2011 angedeutet - »bevor die Flüchtlinge kamen«. Verantwortlich sei der Neoliberalismus. Es gebe zwei Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Die eine wäre: »Wir gegen alle.« Gemeint ist damit: Die LINKE greift die übrigen Parteien scharf an. Aber es gebe eine zweite Möglichkeit, geboren aus der Erkenntnis, dass die Faschisten 1933 an die Macht kamen, weil die Demokraten zerstritten waren. Die Lehre daraus müsste lauten, breite Bündnisse gegen Rechts zu bilden. Was die Fraktionsvorsitzende Wagenknecht »dazu sagen würde, müssen Sie sie fragen, wenn die Veranstaltung mit ihr nachgeholt wird«, schließt Petra Pau dieses Gedankenspiel freundlich lächelnd ab. Das Publikum dankt ihr mit viel Applaus für den Einsatz, den sie zeigt.

Kurze Bedenkzeit hatte Petra Pau sich erbeten, als die Anfrage kam. Als sie hörte, dass über 100 Besucher erwartet werden, sagte sie zu. Es sind sogar 135 Bürger gekommen - nicht nur aus der Stadt Teltow, auch aus Berlin und Potsdam. Viele wollten Sahra Wagenknecht hören und haben erst vor Ort erfahren, dass sie gar nicht dort ist. Der eine oder andere ist ein bisschen enttäuscht. Kein Wunder: Der knapp 400 Mitglieder zählende Kreisverband Potsdam-Mittelmark gilt als einer von drei Kreisverbänden der Linkspartei in Brandenburg, in dem Wagenknechts linke Sammlungsbewegung »Aufstehen« das Sagen habe.

Darauf angesprochen runzelt der stellvertretende Kreisvorsitzende Thomas Singer die Stirn. Er kann aber erklären, woher diese Ansicht kommt. Schon im August 2018, noch bevor Wagenknecht und andere die Sammlungsbewegung am 4. September offiziell vorstellten, habe der Kreisvorstand eine Erklärung abgegeben, in der es sinngemäß hieß, man sollte die Chance, die sich durch die Sammlungsbewegung bietet, erkennen und nutzen. Singer hat sich selbst bei »Aufstehen« eingetragen, ebenso wie der zweite stellvertretende Kreisvorsitzende Bernd Lachmann. Der ist wie geschaffen für eine Sammlungsbewegung. Lachmann könne Menschen um sich scharen, die ihm zuhören und sich für eine gemeinsame Sache erwärmen, lobt Singer. Das hat Lachmann mit seiner Aktion für eine atomwaffenfreie Welt bewiesen. Auf seine Idee hin haben seit 2016 etliche Stadtparlamente und Gemeindevertretungen mit großer Mehrheit oder sogar einstimmig eine entsprechende Resolution verabschiedet. Weil Bernd Lachmann so ist, wie er ist, genießt er großen Respekt in seinem Kreisverband - auch bei Genossen, die mit »Aufstehen« nichts am Hut haben.

Bernd Lachmann ist Koordinator der Sammlungsbewegung für Brandenburg/Havel und Umgebung. Die Stadt Brandenburg/Havel grenzt an den Landkreis Potsdam-Mittelmark, gehört aber nicht dazu. In Potsdam-Mittelmark gebe es noch keine eigene »Aufstehen«-Ortsgruppe, sagt Singer. Er ist nach Teltow gekommen. Bernd Lachmann habe eigentlich auch kommen wollen, erzählt Singer. Aber nach der Absage von Wagenknecht habe er es gelassen.

Eine Veranstaltung der Sammlungsbewegung ist es sowieso nicht. Eingeladen hatte der Stadtverband der Linkspartei, wie dessen Vorsitzender Reinhard Frank betont. Die Sammlungsbewegung ist dennoch optisch präsent. Es sitzt jemand mit einer gelben Warnweste im Saal. Auf den Rücken aufgedruckt steht: »Team Aufstehen«.

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