Katars Hoffnungen wachsen

Mit dem Sieg beim Asien-Cup zahlen sich die kostspieligen Spitzensportstrukturen nun auch im Fußball aus

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Im März 1970 bestritt das katarische Nationalteam sein erstes Länderspiel. Fast fünfzig Jahres später hat es seine Statistenrolle abgelegt. Nach sieben Siegen in sieben Spielen, mit einer Torbilanz von 19:1, gewann Katar am Freitagabend in Abu-Dhabi die Asienmeisterschaft. Für diesen fußballerischen Aufstieg interessieren sich nun immer mehr Medien außerhalb Asiens, doch Trainer Félix Sánchez Bas sagt: »Für uns sind diese Leistungen keine Überraschung. Wir haben dafür Jahre lang hart gearbeitet, wir sind als Gemeinschaft gewachsen.«

Der 43-jährige Spanier begann seine Laufbahn mit Anfang zwanzig als Jugendtrainer beim FC Barcelona. 2006 wechselte er in die »Aspire Academy« in Doha, eines der weltweit größten Trainingszentren für Spitzensport. Die 2004 eröffnete Akademie ist das Zentrum für die vielleicht größte Talentsichtung der Fußballgeschichte. Hunderttausende Jugendliche wurden in Dutzenden Ländern auf drei Kontinenten beobachtet. Die Vergabe der WM 2022 im Jahr 2010 intensivierte den Austausch mit Wissenschaftlern und Akademien in Europa. Fast wöchentlich reisen Jugendteams zu Testspielen und Trainingslagern nach Katar.

Sánchez übernahm 2013 die U19-Auswahl Katars und führte sie ein Jahr später zum Gewinn der Asienmeisterschaft. So lernte er in der Akademie auch jene Spieler kennen, die aktuell das Gerüst des A-Nationalteams bilden. Seit 2017 betreut er die Auswahl, die ein Durchschnittsalter von 24 Jahren hat. Etliche der 23 Spieler im Kader haben durch ihre Vorfahren Wurzeln in anderen Ländern, doch nur vier wurden nicht in Katar geboren, darunter Verteidiger Ró-Ró, der aus Portugal stammt, oder Mittelfeldspieler Karim Boudiaf, aufgewachsen in Frankreich.

Zwei andere Spieler lösten in den vergangenen Tagen Gerüchte aus, die einen Tag vor dem mit 3:1 gewonnenen Finale gegen Japan in Protest des Gastgebers mündeten. Der Fußballverband der Emirate verlangte den Ausschluss Katars. Er behauptete, dass der 22-jährige Almoez Ali, geboren in Sudan, und der ein Jahr jüngere Bassam Al Rawi, geboren im Irak, nicht für Katar spielberechtigt sind. Beide Spieler behaupten, dass ihre Mütter in Katar geboren seien. Die FIFA erlaubt Spielern den Einsatz für ein neues Land, wenn sie selbst dort geboren wurden, oder aber ein Teil der Eltern beziehungsweise Großeltern. Sollte nichts zutreffen, müssen die Spieler nach ihrem 18. Geburtstag fünf Jahre in dem Land wohnen. Ali und Al Rawi sind noch keine 23. Asiens Verband wies den Protest zurück.

Wieder sorgt das Thema Einbürgerung für Konfliktstoff. Lange hatten vor allem traditionelle Fußballmärkte in Europa misstrauisch auf Katar geblickt. Von den bislang vier Medaillengewinnern bei Olympischen Sommerspielen wuchsen zwei außerhalb des Landes auf. Besonders in der Kritik stand die Handball-WM 2015 in Katar: Der Gastgeber gewann Silber mit vielen eingebürgerten Spielern, die kaum Verbindungen mit dem Land gehabt hatten und teilweise schon für andere Nationen aktiv waren. Die FIFA jedoch hat strengere Regeln. 2004 stand zur Debatte, den Brasilianer Ailton nach Doha zu holen, der Plan wurde verworfen.

Womöglich auch wegen dieser Kritik aus Europa betonen Funktionäre aus Katar, dass man die heimischen Talente stärken wolle. Doch das Nationalteam repräsentiert die katarische Gesellschaft kaum. Von den 2,5 Millionen Einwohnern haben nur etwa zehn Prozent einen katarischen Pass, bei der großen Mehrheit handelt es sich um Arbeitsmigranten aus Indien, Pakistan oder Nepal. Sie bauen unter harten Bedingungen die WM-Stadien, sind aber für den geplanten Boom sonst weniger von Interesse. Einwanderer müssen 25 Jahre in Katar gelebt haben, um sich für eine Staatsbürgerschaft bewerben zu können, schreibt der Politikwissenschaftler Danyel Reiche von der Amerikanischen Universität Beirut in einem Aufsatz. Selbst wenn Kinder der Migranten durch Fußball das Interesse des Staates wecken: Sie erhalten meist nur vorübergehende Dokumente mit Einschränkungen. Der Zugang zu Förderungen bleibt limitiert.

Der Erfolg beim Asien-Cup dürfte die Aufmerksamkeit europäischer Spielerberater nach Katar lenken. Bislang war KAS Eupen eine der wichtigsten Ausbildungsstätten außerhalb des Emirats. 2012 hatten katarische Investoren den Verein gekauft, 2016 stieg er in die erste belgische Liga auf. Die Aspire Academy schickte bislang 19 Spieler nach Eupen. »Sie sollen sich dort mit dem hohen Niveau in Europa vertraut machen«, sagt Ali Al Salat, Sprecher des katarischen Fußballverbandes. »Das soll auch in Zukunft so sein.« Von den aktuellen Nationalspielern haben sieben in Eupen Erfahrungen gesammelt.

Nach anderthalb Jahrzehnten produzieren die teuren Spitzensportstrukturen die ersten sichtbaren Ergebnisse - und andere wollen daran teilhaben. Katar wird im Sommer neben Japan als Gastmannschaft an der Copa América in Brasilien teilnehmen. Aber reicht das? »Wenn Katar langfristig Erfolg haben will, braucht das Land eine Sportkultur«, sagt Danyel Reiche. Lokale Vereine, Breitensportgruppen oder ungezwungene Straßenspiele gibt es selten. Laut einer Studie des Nationalen Olympischen Komitees sind nur 15 Prozent der katarischen Frauen sportlich aktiv, aber so gut wie nie in Teamsportarten, auch nicht im Fußball. Laut Weltgesundheitsorganisation haben mehr als dreißig Prozent der Katarer Übergewicht.

Der Sender Al Jazeera hat zuletzt immer wieder Bilder von Zuschauern gezeigt, die in Doha die Tore ihres Teams bejubeln. Sie durften nicht in die Emirate reisen. Aber wird sich diese Stimmung auf den Alltag übertragen? Die erste Liga lockt nur wenige tausend Zuschauer an und gilt als Paradies für angehende Ruheständler, früher für Pep Guardiola, Stefen Effenberg oder Rául, zurzeit für Xavi und Gabi. »Die Hoffnungen in unserem Land wachsen«, sagt Ali Afif, seit 2006 Nationalspieler für Katar. »Aber das ist erst der Anfang eines langen Weges.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.