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Gelbwesten als Vorbild
Sammlungsbewegung »Aufstehen« bringt bundesweit etwa 2000 Menschen auf die Straße
Die linke Organisation »Aufstehen« will eine ähnliche Bewegung wie die Gelbwesten in Frankreich auf die Beine stellen. Für den Samstag hatte die von Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht mitgegründete Sammlungsbewegung unter dem Motto »Bunte Westen – wir sind viele. Wir sind vielfältig. Wir haben die Schnauze voll!« zu Demonstrationen in allen Landeshauptstädten und anderen Städten aufgerufen. Insgesamt kamen etwa 2000 Menschen zu den Aktionen, deutlich weniger als die Zehntausenden Gelbwesten im Nachbarland. In Berlin waren es nach Polizeiangaben rund 500.
In Wiesbaden folgten rund 250 Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet und angrenzenden Regionen dem Aufruf der Sammlungsbewegung. Sie trugen Warnwesten unterschiedlicher Farbe. Seit dem Herbst engagieren sich viele der Teilnehmer in einer örtlichen »Aufstehen«-Gruppe. Bei sonnigem Wetter konnten sie erstmals mit Gleichgesinnten reden, die sie bisher nur aus dem Internet kannten.
Das verlesene Grußwort eines Aktivisten der französischen Gelbwesten fand viel Anklang. »Wir freuen uns, dass unser Kampf auch östlich des Rheins ein Echo findet«, so die Botschaft von Daniel Gauthier, der lange in Wiesbaden gelebt hatte. Der Protest habe ganz Frankreich erfasst und sei auch ein Aufstand Unterprivilegierter gegen das Ausbluten ländlicher Regionen, schlechte Infrastruktur und teure Mobilität. Während die Bewegung mehr Demokratie von unten etwa durch Bürgerentscheide fordere, wolle Präsident Emmanuel Macron das Volk nur über von oben gestellte Fragen abstimmen lassen. »Damit will er die Bewegung spalten. Das dürfen wir nicht zulassen«, so Gauthier.
Ein Plädoyer gegen die Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens hielt Emanuel Schaaf, Heilpraktiker aus Dreieich (Kreis Offenbach). »Es geht um Profite und nicht um die Gesundheit der Patienten«, so der »Aufstehen«-Aktivist. Zu den Folgen gehörten die Schließung vermeintlich unrentabler Krankenhäuser und Abteilungen sowie mehr tödliche Infektionen und Behandlungsfehler. Der Offenbacher Olav Müller zitierte den US-Multimilliardär Warren Buffet, der von einem »Klassenkrieg« gesprochen hatte, den die Klasse der Reichen führe und gewinnen werde. »Dieser Krieg wird auf vielen Ebenen geführt«, mahnte Müller.
Kris Kunst von der Mainzer »Aufstehen«-Gruppe bescheinigte dem globalen Kapitalismus das Potenzial für einen »Finanz- und realwirtschaftlichem Crash«, von dem niemand sagen könne, wann er eintrete. »Die politischen Bedingungen werden so zerbröseln, dass der Mainstream das nicht mehr managen kann.« Nun komme es darauf an, »dass wir uns zusammenschließen und auf die anstehenden Kämpfe vorbereiten«, so Kunst. »Dieser Tag ist eine erste gelungene Bestandsaufnahme im Rhein-Main-Gebiet«, rief er den Anwesenden zu.
»Wir stehen nicht im 100-Meter-Sprint, sondern am Anfang eines Marathons bei Kilometer 0,5.« Kunst grenzte sich von rechten Gruppen ab, die jüngst mit gelben Westen durch Wiesbaden gezogen waren. Ein Schulterschluss mit Leuten, die gegen Ausländer hetzten, den Sozialstaat abbauen und mehr privatisieren wollten, mache keinen Sinn. »Die missbrauchen die Idee der Gelbwesten in Frankreich und sind aus exakt entgegengesetzten Gründen gegen Kanzlerin Angela Merkel. Das ist mit uns nicht kompatibel«, rief er unter Beifall aus.
Die Aufbruchstimmung bei den jüngsten Schülerdemos gegen die globale Klimakatastrophe vermittelte Paul Berg von der Jugendbewegung »Fridays for Future«. »Wir müssen den Absprung aus unserer politischen Starre schaffen. Dazu braucht die Welt Menschen wie euch, und sie beherbergt so viele, die sich ihres Potenzials noch nicht bewusst sind.« Maren Jerusel, Mitglied im Kreisvorstand der Wiesbadener LINKEN, sagte, es werde eine Bewegung gebraucht, die in ganz Europa »friedlich, solidarisch, sozial gerecht, leidenschaftlich, liebevoll für unsere Ziele« kämpfe. »Die Vorbereitung war stressig, aber sie war es wert«, erklärte Mitorganisator Peter Kyritz mit Blick auf Zuspruch und Ablauf der Veranstaltung.
Derweil sprach in Hamburg Linksfraktionsvize Fabio De Masi zu den Demonstranten. Er prangerte unter anderem den Schaden in Milliardenhöhe für die Staatskasse an, der durch die dubiosen Cum-Ex-Geschäfte von Banken und Anwaltskanzleien mit Aktien entstanden ist. Als Konsequenz forderte De Masi ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland.
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