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Entscheidung vertagt
In Venezuela blockiert das Militär Hilfskonvois an der Grenze, vier Menschen sterben
Es war eine Eskalation mit Ansage. Bei dem Versuch, gegen den Willen der venezolanischen Regierung die Einfuhr von Hilfsgütern zu erzwingen, ist es an den Grenzen Venezuelas am Sonnabend zu Ausschreitungen gekommen. Tausende Freiwillige hatten im kolumbianischen Cúcuta mehrere Lastwagen bis zur Grenze begleitet, wo venezolanische Sicherheitskräfte unter dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen jedoch ein Weiterkommen verhinderten. Laut schwer überprüfbaren Medienberichten wurden dabei fast 300 Menschen verletzt, zudem brannten zwei Lastwagen aus. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Hilfsgüter bewusst in Brand gesetzt zu haben.
In der venezolanischen Stadt Santa Elena de Uairén an der Grenze zu Brasilien kam es ebenfalls zu Gewalt. Laut der venezolanischen Nichtregierungsorganisation Foro Penal erlitten dabei 34 Personen Schussverletzungen, bis zu vier Menschen starben. Demonstrationen von Regierungsanhängern und der rechten Opposition in Caracas blieben hingegen friedlich.
Präsident Nicolás Maduro brach aufgrund der Vorfälle die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien ab. »Ich kann nicht dulden, dass das kolumbianische Territorium weiterhin für Aggressionen gegen Venezuela zur Verfügung gestellt wird«, rief er auf der chavistischen Großdemonstration in Caracas.
Seit Wochen hatte der selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaidó den 23. Februar zum Tag der Entscheidung hochstilisiert, an dem die humanitäre Hilfe »unter allen Umständen« ins Land kommen solle. Er selbst und Vertreter der US-Regierung forderten die venezolanischen Soldaten nahezu täglich dazu auf, die Hilfsgüter passieren zu lassen und drohten andernfalls mit Konsequenzen. Laut ihrem Kalkül wäre die Regierung am Ende, wenn venezolanische Militärs sich massenhaft den Befehlen Maduros widersetzt hätten. Nach Informationen der kolumbianischen Migrationsbehörde desertierten am Sonnabend aber lediglich 60 Mitglieder unterschiedlicher venezolanischer Sicherheitskräfte. Maduro bezeichnete die vermeintliche humanitäre Hilfe als »Show«, die das alleinige Ziel verfolge, einer militärischen Intervention das Feld zu bereiten. Um die schwierige Versorgungslage zu verbessern, sollten stattdessen die US-Sanktionen aufgehoben werden.
Tatsächlich machen selbst Guaidó und die US-Regierung kaum einen Hehl daraus, dass die humanitäre Hilfe für sie vor allem ein Hebel für den gewollten »Regimewechsel« in Caracas ist. Die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz hatten aufgrund der Politisierung der Hilfe im Vorfeld eine Beteiligung an der Aktion abgelehnt.
Einen Monat, nachdem sich Guaidó am 23. Januar selbst zum Interimspräsidenten erklärte, steht er somit immer noch weitgehend mit leeren Händen da. Zwar hat er die Rückendeckung der USA, etwa 60 weiterer Regierungen sowie gewichtiger Teile der venezolanischen Bevölkerung. Kompetenzen als Interimspräsident übt er bisher jedoch ausschließlich außerhalb Venezuelas aus. Laut dem Verfassungsartikel 233, auf den sich Guaidó maßgeblich beruft, hätten zudem innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen stattfinden müssen.
Mit dem Scheitern der medienwirksam inszenierten Hilfsaktion wächst die Gefahr einer militärischen Intervention der USA. US-Außenminister Mike Pompeo kündigte am Sonnabend »Maßnahmen« gegen jene an, die sich »der friedlichen Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela widersetzen«. Guaidó erklärte auf Twitter, der internationalen Gemeinschaft formal vorzuschlagen, »dass wir uns alle Optionen offen halten müssen«. Am Montag will er sich in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá mit Pompeo und den Außenministern lateinamerikanischer Staaten, der so genannten Lima-Gruppe, treffen.
Fraglich ist, ob der selbst ernannte Interimspräsident anschließend überhaupt nach Venezuela zurückkehren wird. Bereits seit Freitag befindet sich Guaidó außer Landes, als er in Cúcuta ein unter dem Motto »Venezuela Aid Live« organisiertes Konzert besuchte. Damit widersetzte er sich einem gerichtlich verhängten Ausreiseverbot und könnte bei der Wiedereinreise festgenommen werden.
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