Der Leitartikel als Schiffbruch

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass niemand mehr richtig schreiben könne, das ist gelegentlich die Klage der hohen Herren des staatstragenden Leitartikelns. Dass sie aber selbst noch nie schreiben konnten, das ist ein Geheimnis, verborgen unter dem Schutt des längst verpfuschten öffentlichen Satzbaus. Womit wir bei rasch hingezimmerten Metaphern wären - und bei Jasper von Altenbockum von der »FAZ«-Politik; ein Mann wie sein Name, aber so solide ausgebildet im klassischen Fertigmeinungsbau, dass man ihn jederzeit zu jedem Thema etwas in die Tastatur hämmern lassen kann. Etwa unter der Überschrift »Der Staat als Supermarkt« zu … mmh, ja, wozu eigentlich? Vermutlich zu den »Entscheidungen, die am Donnerstag im Bundestag getroffen wurden«, die »eine Schlagseite haben, von der großen Koalition an anderer Stelle als großes Defizit erkannt«, aber »indirekt geht es dabei auch um die ›Bildungsinfrastruktur‹« - also, bei Schlagseite und Infrastruktur, wohl um Seewege.

Schlagseite von anderer Stelle aus als Defizit zu erkennen, das braucht die erfahrensten Seefahrer. Also schippern wir mal mit Kapitän Altenbockum weiter: Die Städte haben sich »durch Fehldiagnosen in die falsche Richtung lotsen lassen« - was die Schlagseite erklärt. Nun »werden die Aufgaben größer«, und »die Länder müssen in den Stand gesetzt werden, sie selbst zu bezahlen - und nicht am Tropf des Bundes«. Es ist also jemand infolge eines Schiffsunglücks ins Krankenhaus gekommen, soll aber ohne Tropf seine Aufgaben selbst bezahlen. Und »als Schraube dieser Anpassung sollte die Verteilung der Umsatzsteuer dienen«. Die Schiffsschraube? Es wird kompliziert.

»Die Entflechtung der Aufgaben und deren Finanzierung von Bund und Ländern verkehren sich dadurch wieder in die Verflechtung und Zentralisierung, die in der Vergangenheit als Verschiebebahnhof für politische Verantwortung erkannt worden sind.« Wer mittlerweile nur noch Verschiebebahnhof versteht, den beruhigt vielleicht, den »FAZ«-Odysseus schon im nächsten Satz wieder Schlagseite bekommen zu sehen: »Die aktuelle Grundgesetzänderung ist schon die dritte derartige Welle in kurzer Zeit, die über die Verfassung hinwegschwappt.« Platsch. »Der Föderalismus, ohnehin in der Defensive, wird ausgehöhlt« - stetes Schwappen höhlt noch den defensivsten Stein - »die Polemik aber gegen den ›Flickenteppich‹ wird dadurch nicht etwa besänftigt, sondern nur noch bestätigt«. O weh, wo kommt jetzt der Flickenteppich her, meint er nicht einen Algen- oder Ölteppich? Da wird man ja seekrank - und muss am Ende am Tropf die Aufgabenschraube bezahlen, »weil Gelder zu langsam oder gar nicht abgerufen werden«, aufgrund von »Schneckentempo und wirklichkeitsfremder Gießkannenpolitik«.

Von der See durchs Krankenhaus schwappt uns das Jasperle in den Garten - wo es tatsächlich wirklichkeitsfremd zugeht: »Das Grundgesetz wird in eine Richtung geschliffen, die Zuständigkeiten in ein Gestrüpp verwandelt.« Herrje, geht der Mann mit der Schleifmaschine an seine Hecken?

Ach, und das alles, fast schon wieder vergessen, unter der Überschrift: »Der Staat als Supermarkt«. Er ist schon ein armer Tropf, der Jasper von Altenbockum.

Der Autor ist früherer Chefredakteur des Satire-Magazins »Titanic«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -