Wegen nichts zwei Wochen eingesperrt

Außerparlamentarische Anhörung zum neuen brandenburgischen Polizeigesetz

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

»Ist es eigentlich notwendig, Polizeigesetze so neu zu stricken? Ich finde nein«, sagt Dirk Burczyk. Er ist Referent für Innenpolitik bei der Linksfraktion im Bundestag. Normalerweise schreibe er kluge Gedanken auf, die andere vortragen, schmunzelt er. Am Sonnabend, bei der außerparlamentarischen Anhörung zur Polizeigesetznovelle, muss Burczyk aber selbst ans Rednerpult treten.

Im Saal des Potsdam-Museums spielt das Bündnis gegen ein neues Brandenburger Polizeigesetz eine Anhörung nach, wie es sie nebenan im Landtag bereits gegeben hat. Iris Burdinski schlüpft in die Rolle der Ausschussvorsitzenden und stellt formlich fest, es sei »ordnungsgemäß« eingeladen worden. Reichlich 130 Zuhörer sind gekommen. Sie dürfen Fragen stellen und benehmen sich dabei wie echte Volksvertreter. Sie repräsentieren auch wirklich das Volk, zumindest den Teil der Bevölkerung, der mit erweiterten Befugnissen der Polizei seine Schwierigkeiten hat.

Würden in der Linkspartei alle so denken wie Referent Dirk Burczyk und konsequent danach handeln, dann wäre das Polizeigesetz eventuell schon vom Tisch. Da aber einige Genossen glauben, ein modernes Gesetz sei durchaus angebracht, verhandelt die LINKE seit Monaten mit der SPD von Innenminister Karl-Heinz Schröter, die ganz versessen darauf ist, Stärke zu zeigen.

Der Innenminister musste an seinem ursprünglichen Gesetzentwurf allerdings schon etliche Abstriche machen. Gestritten wird jetzt, so heißt es, noch über den Staatstrojaner zum Ausspähen von Nachrichten, über heimliches Eindringen der Polizei in Wohnungen, über Meldeauflagen und über das Recht auf einen Pflichtverteidiger, wenn ein Bürger vorsorglich einfach ein paar Tage weggesperrt wird, weil die Polizei vermutet, er könnte Landfriedensbruch begehen. Setzt sich die LINKE in den genannten Fragen auch noch durch, bliebe von Schröters Absichten nicht viel mehr übrig als längere Fristen, bis die Aufnahmen von Überwachungskameras gelöscht werden müssen.

Einstweilen droht aber noch der vorsorgliche Gewahrsam. Linke Rechtsanwälte und Aktivisten erinnert das entfernt an die faschistische Schutzhaft im Konzentrationslager. »Wehret den Anfängen«, sagen sie. Das ist einer der Gründe, warum sich das Bündnis gegen das neue Polizeigesetz gebildet hat. Zur außerparlamentarischen Anhörung hat das Bündnis eingeladen, weil es mit der offiziellen Anhörung im Innenausschuss des Landtags nicht zufrieden gewesen ist. Dabei haben doch im Innenausschuss Polizeirechtsexperten fast durch die Bank den Gesetzentwurf quasi in der Luft zerrissen. Lediglich Jörg Göhring, Vizelandeschef der Gewerkschaft der Polizei, und Ex-Polizeipräsident Klaus Kandt haben dort ein gutes Haar an den Absichten des Innenministers gelassen.

»Eigentlich hätte man die Polizeigesetznovelle nach dieser Anhörung beerdigen können«, findet der Landtagsabgeordnete Volkmar Schöneburg (LINKE). Er ist zur außerparlamentarischen Anhörung ins Potsdam-Museum gekommen. Alle 88 Abgeordneten sind extra eingeladen worden. Erschienen ist von ihnen außer Schöneburg aber nur noch Björn Lakenmacher (CDU).

Diese Offenheit wird Lakenmacher hier hoch angerechnet. Dabei macht dieser keinen Hehl daraus, dass ihm nicht einmal der erste, noch sehr scharfe Gesetzentwurf des Innenministers ausreichte. Da sei zu wenig Videoüberwachung drin gewesen, erklärt Lakenmacher. Der CDU fehle jetzt beispielsweise die Erlaubnis zur Onlinedurchsuchung und eine Schleierfahndung im gesamten Verkehrsraum des Bundeslandes. Was SPD und LINKE beabsichtigen, sei zu kurz gesprungen. »Damit fehlt der Polizei das Handwerkszeug, das sie braucht, um ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen.«

Schockiert ist Lakenmacher, als er bei der außerparlamentarischen Anhörung vernimmt, die Polizei sei angeblich eine »bewaffnete Bande«, die Schwarze und andere Ausländer auf offener Straße schikaniere und terrorisiere. Die Polizei sei doch nicht rassistisch, betont Lakenmacher. Er hat für solche Formulierungen kein Verständnis.

Von einer »bewaffneten Bande« hat Biplap Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt gesprochen. Basu sieht das so, nachdem er eigenen Angaben zufolge zahlreiche Betroffene beraten und begleitet hat, die ihre schlechte Behandlung nicht widerspruchslos hinnehmen wollten. Die weiße Bevölkerung werde sehr wenig von den Maßnahmen spüren, die durch das neue Polizeigesetz erlaubt werden sollen, sagt Basu. Treffen werde es aber alle anderen. »Die Polizei kann willkürlich Menschen festnehmen.« Dazu trage »beschämenderweise« ausgerechnet eine linke Regierung bei.

Dass durchaus auch Weiße im Visier sind, erklärt Elisabeth Niekrenz vom Verein »Digitale Gesellschaft«, der sich gegen staatliche Überwachung einsetzt. Denn Überwachung könne dazu führen, dass man nicht auffallen wolle und bestimmten Demonstrationen fern bleibe. Die Überwachung könne so dazu dienen, eine legitime Opposition klein zu halten. Zu glauben, mit technischen Mitteln ließen sich Anschläge verhindern, sei ein Trugschluss, meint Niekrenz. Frankreich habe die Vorratsdatenspeicherung seit zehn Jahren und musste trotzdem Terrorakte erleben.

Ähnlich argumentiert auch Protest- und Bewegungsforscher Peter Ullrich von der Technischen Universität Berlin. Er kritisiert, dass die Politik Regelungs- und Handlungskompetenz fast nur noch in Sicherheitsfragen beweisen wolle anstatt bei sozialen Belangen. »Stärke und Härte wird wieder zum Leitbild polizeilichen Handelns«, beklagt Ullrich. »Die Bürgerpolizei verschwindet hinter Panzern und Rüstungen.«

Auch Norman Lenz fragt, warum ein neues Polizeigesetz überhaupt notwendig sei. Lenz ist Vorsitzender der brandenburgischen Strafverteidiger-Vereinigung. Von Bomben oder Schießereien in Cottbus oder Finsterwalde, die eine Aufrüstung der Polizei rechtfertigen würden, hat er nichts gehört. Es droht nach Einschätzung von Lenz aber etwas anderes: »Es könnte sein, dass jemand am Wochenende auf einer Veranstaltung war und dann zwei Wochen von seiner Arbeitsstelle wegbleibt, ohne dass jemand dort weiß, wo er ist, ohne dass sich ein Anwalt darum kümmern kann.« Denn bei der geplanten vorsorglichen Ingewahrsamnahme sei ein Pflichtverteidiger nicht vorgesehen. Wer sich einen Anwalt nicht leisten könne, müsste ohne juristischen Beistand auskommen, sagt Lenz.

Ein Anruf bei den Angehörigen würde sicherlich nicht verweigert werden, gibt der Landtagsabgeordnete Schöneburg zu. Doch Norman Lenz wirft ein: »Das ist rechtlich nicht geregelt.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.