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Baden-württembergische CDU fordert Abschaffung von Bürgerentscheiden über neues Bauland

  • Dirk Farke, Freiburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf der zentralen Informationsveranstaltung zum geplanten neuen Stadtteil Dietenbach am 6. Februar 2019 im Freiburger Konzerthaus, begann Oberbürgermeister Martin Horn (34, parteilos) seine Begrüßungsrede mit einer Philippika auf die baden-württembergische Landesverfassung. Sehr stolz sei er, in einem Land zu leben, in dem nicht allein die gewählten Abgeordneten und Gemeinderäte über so wichtige Fragen wie den Bau eines neuen Stadtteils entscheiden können, sondern die gesamte Bürgerschaft.

Es könnte sein, dass Horn bald etwas weniger stolz ist auf »unsere« Landesverfassung, denn wenn es nach der CDU im Land ginge, wäre der Bürgerentscheid über den Bau des Stadtteils Dietenbach der letzte, bei dem die Bürger noch über die Versiegelung ökologisch wichtiger Flächen mitentscheiden durften.

Denn die von der grün-roten Landesregierung Ende 2015 vereinfachten und erweiterten direkt-demokratischen Partizipationsmöglichkeiten erfreuen sich im »Ländle« großer Beliebtheit. Die damalige Koalitionsregierung senkte nicht nur die Hürden für die Zulassung der Bürgerbegehren, sondern auch das Quorum, welches mindestens nötig ist, damit der Bürgerentscheid rechtlich bindend ist; anstatt 25 sind es seitdem nur noch 20 Prozent der Wahlberechtigten, die ihre Stimme abgeben müssen.

Auch über die Bauleitplanung - das heißt, ob ein vom Gemeinderat mehrheitlich beschlossenes Baugebiet tatsächlich bebaut werden darf - dürfen die Wahlberechtigten in den Kommunen seitdem mitentscheiden. Und von dieser Möglichkeit, den erschreckenden Flächenverbrauch im Land - laut Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist dieser im Jahr 2018 auf 7,9 Hektar, die täglich zugebaut, betonisiert oder geteert werden, angewachsen - etwas einzugrenzen, machen die Bürger Gebrauch.

In Freiburgs Nachbarstadt Emmendingen verhinderte die Bürgerschaft 2016 bei sehr hoher Wahlbeteiligung mit einer Dreiviertelmehrheit ein großes Baugebiet im Gebiet Haselwald-Spitzmatten. In der Kaiserstuhlgemeinde Endingen sprach sich im selben Jahr die Bürgerschaft gegen die Ausweisung weiterer Gewerbegebiete aus. Im Februar 2018 rettete ein Bürgerentscheid in der Großen Kreisstadt Stutensee (Region Karlsruhe) einen circa 13 Hektar umfassenden Mischwald, der einem Baugebiet weichen sollte.

Genau dies ist jedoch der baden-württembergischen CDU, die anstelle der SPD seit 2016 mit den Grünen in der Regierung sitzt, ein Dorn im Auge. Sie fordert vom Koalitionspartner nicht nur einen grundsätzlichen Wechsel in der Baupolitik, sondern vor allem die Abschaffung von Bürgerbegehren beim Thema Bauen. »Um mehr Wohnraum zu schaffen, braucht es vor allem neues Bauland, aber die Ausweisung neuer Baugebiete wird ständig durch Bürgerentscheide blockiert«, lässt sich Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhard von der »Badischen Zeitung« zitieren. Und Stefan Schlatterer (CDU), Bürgermeister von Emmendingen, führt laut der Zeitung »Der Sonntag« aus: »Die Gemeinderäte haben stets die Auswirkungen auf die Stadt als Ganzes im Auge - etwa zu Fragen der Finanzen«. Kritisch gegenüber bürgerschaftlicher Mitbestimmung äußern sich ebenfalls der baden-württembergische Städte-, Gemeinde- und Landkreistag, da es nun schwieriger sei, zu wachsen.

Auch Sarah Händel, Geschäftsführerin des Stuttgarter Landesbüros von Mehr Demokratie e.V., kritisiert die 2015 von grün-rot verabschiedeten direkt-demokratischen Reformen - allerdings aus der entgegengesetzten Perspektive. Gegenüber »nd« kritisiert sie vor allem die dreimonatige Frist, innerhalb der ein Bürgerbegehren gegen einen Gemeinderatsbeschluss initiiert werden muss. »Dieser Zeitraum ist für die meisten Bürger viel zu kurz, um die gesamten Konsequenzen, die in so einem Beschluss stecken können, vollständig zu überblicken.« Auch die Finanzen bildeten häufig ein Problem, den Weg des Bürgerentscheides zu gehen, denn ein kompletter Deckungsvorschlag zur Finanzierung des Entscheides sei gesetzlich vorgegeben. »Vollständig unhaltbar wird die CDU-Kritik, wenn man sich die Zahlen anschaut. Bei 1101 Gemeinden im Land, die mehrere Tausende von Bauleitbeschlüssen treffen, gibt es gerade mal sechs Bürgerentscheide dazu pro Jahr «, zitiert Sarah Händel die äußerst magere Statistik.

Weder die Mitarbeiter im Stuttgarter Staatsministerium noch die grüne Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Gisela Erler, standen trotz mehrfacher Nachfrage von »nd« für eine Stellungnahme zu den Forderungen des Koalitionspartners zur Verfügung. Ist dies Verhalten vielleicht so zu deuten, dass die Abschaffung von Bürgerentscheiden über Fragen der Bauleitplanung bereits beschlossene Sache ist und die Bevölkerung dies erst zu einem späteren Zeitpunkt erfahren soll?

Freiburgs Oberbürgermeister wäre dann vielleicht etwas weniger stolz auf »unsere« Landesverfassung, brauchte sich aber andererseits nicht mehr über die Querulanten zu grämen, die diesen Planeten so behandelt wissen wollen, als wenn es der einzige wäre.

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