• Politik
  • Homosexualität in Sachsen

»Eine folterartige Hinrichtung«

Schwuler ist 17. Todesopfer von Nazis in Sachsen / Schwieriges Umfeld für Homosexuelle außerhalb der Städte

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein Verbrechen von unfassbarer Brutalität, das sich am 17. April 2018 in einem Abrisshaus im erzgebirgischen Aue zutrug. Drei Männer traten und schlugen auf einen Vierten ein; zum Schluss kam gar ein schweres Türblatt zum Einsatz. Das Gesicht des Opfers Christopher W. sei »bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen« worden, sagt Anne Pöhl von der Opferberatung RAA in Sachsen. Sie verfolgt den Prozess am Landgericht Chemnitz, in dem Anfang April das Urteil gegen die Täter erwartet wird.

Die Szenen, die in der Verhandlung geschildert werden, machen viele Zuhörer sprachlos. Pöhl nennt das, was sich in der Kleinstadt zutrug, eine »folterartigen Hinrichtung«. Anlass dafür war offenbar vor allem die sexuelle Orientierung des Opfers. Der 27-Jährige war homosexuell. »Du Schwuchtel! Ich ramme dir eine Flasche in den Hals«, soll einer der Täter gedroht haben, der im Prozess ein deutlich homophobes Menschenbild offenbart habe. Zudem haben er und seine Mittäter eine rechtsextreme Gesinnung, wie teils durch Vorstrafen, teils durch Tätowierungen, Musikvorlieben und favorisierte Internetseiten belegt ist. Das Verbrechen ist in der offiziellen Statistik der politisch motivierten Kriminalität Rechts aufgelistet. Christopher W., sagt Pöhl, sei damit das 17. Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990 in Sachsen.

Auf den ersten Blick könnte die Tat indes als Ausnahmefall gelten. In der offiziellen Statistik des kriminalpolizeilichen Meldedienstes würden für die Zeit von 2001 bis 2017 in der Rubrik »Hasskriminalität / sexuelle Orientierung« nur 55 Fälle erwähnt, sagt Martin Wunderlich von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) »Queeres Netzwerk« in Sachsen, einem Dachverband von 17 Organisationen. Die Zahl suggeriert, dass Schwule und Lesben im Freistaat nur selten Gewalterfahrungen machen müssen.

Die Beratungstätigkeit der LAG lege einen anderen Eindruck nahe. »Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus«, sagt Wunderlich – auch, weil viele Opfer sich scheuten, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Ein präziseres Bild soll nun eine Erhebung bringen, die per Crowdfunding finanziert und zusammen mit der Hochschule Mittweida durchgeführt wird. Abgefragt wurden Gewalterfahrungen in den vergangenen fünf Jahren. Ein Ergebnis wird für Frühsommer erwartet. Mit 300 seien aber schon bisher unerwartet viele Fragebögen ausgefüllt worden: »Das lässt aufhorchen«.

Tatsächlich gewalttätig gegenüber Menschen mit anderer sexueller Orientierung werden nur wenige Menschen. Allerdings bräuchten jene, die Gewalt anwenden, ein Umfeld: »Sie gehen davon aus, eine soziale Norm zu vollstrecken und gewisse Erwartungen zu antizipieren«, sagt Oliver Decker vom Kompetenzzentrum Demokratie- und Rechtsextremismusforschung an der Universität Leipzig.

In Sachsen ist ein solches Umfeld der Ablehnung von Homosexuellen durchaus zu beobachten. Die Gesellschaft sei vor allem jenseits der Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz »mehrheitlich wertkonservativ«, sagt Wunderlich; vorherrschend sei das »heterosexuelle, zweigeschlechtliche traditionelle Familienbild«. Eine bundesweite Studie habe gezeigt, dass nur 38 Prozent der Sachsen »kulturelle Wertschätzung« für Menschen mit abweichender sexueller Orientierung empfänden, »der niedrigste Wert aller Länder«. Bei der Befragung für den »Sachsen-Monitor 2018« gaben zwei Drittel der Bürger im Freistaat an, Homosexualität als »unnatürlich« zu empfinden. Die Ablehnung ist besonders stark in Regionen, wo christlich-fundamentalistische Einstellungen verbreitet sind, etwa der Oberlausitz oder dem Erzgebirge, die in Anlehnung an den »Bible Belt« im Mittleren Westen der USA gelegentlich als sächsischer »Bibelgürtel« bezeichnet werden. Dort kam es auch zu innerkirchlichen Konflikten um offen schwule Priester oder Kirchenmusiker. Gleichzeitig herrscht an sozialen und kulturellen Treffs oder Beratungsangeboten für diese Gruppen außerhalb der Städte eklatanter Mangel.

Die Alltagserfahrung vieler Homosexueller auf dem Land sei, sagt Wunderlich, daher »auch durch Diskriminierung, Stigmatisierung, Pathologisierung, verbale und psychische Gewalt« geprägt. Manche reagieren mit Heimlichtuerei, andere ziehen weg. Für Christopher W. in Aue hatte seine öffentlich ausgelebte Homosexualität dramatische Folgen. Was er in seinen letzten Stunden erlitt, beschreibt Anne Pöhl als »Martyrium«.

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